der Freitag: Sahra Wagenknecht ist in ihrem Element

Eine Presseschau mit Fabio De Masi zur Aufstehen Veranstaltung in Hamburg mit Sahra Wagenknecht und Mathias Petersen

15.03.2019
Mathias Petersen (SPD), Sahra Wagenknecht und Fabio De Masi (beide DIE LINKE & Aufstehen) am 14.03.2019 in Hamburg

der Freitag: Sahra Wagenknecht ist in ihrem Element

"Die Linken-Politikerin tritt in Hamburg erstmals nach ihrer Rückzugsankündigung öffentlich auf – und spricht über die Zukunft der Sammlungsbewegung. 

Bevor der Showmaster die Bühne betritt, ist der Warm-Upper dran. Er soll das Publikum auf Touren bringen, damit es bei der anschließenden Fernsehproduktion richtig mitzieht. Die nicht gerade einfache Rolle des Anheizers übernimmt an diesem Abend Fabio De Masi, Bundestagsabgeordneter der Linken und Vertrauter Sahra Wagenknechts – sie ist hier heute der Stargast. Dieser Abend im Kulturzentrum Fabrik im Hamburger Stadtteil Ottensen ist ihr erster öffentlicher Auftritt, nachdem sie ihren Rückzug von der Aufstehen-Spitze und dem Vorsitz der Bundestagsfraktion verkündet hat.

Fabio De Masi heizt ein, als hätte er nie im Leben etwas anderes gemacht. Er habe Sahra Wagenknecht gerade im Auto erzählt, dass es in Hamburg nicht immer regne. Ein Lacher, der in Hamburg immer funktioniert. Seine rechte Hand umschließt das Mikro, mit der linken gestikuliert er ausschweifend, vor allem dann, wenn er über Hartz IV, Kitas und Menschen spricht, die Flaschen sammeln müssen, um über die Runden zu kommen. Er blickt in die Gesichter der Leute, die gekommen sind, um vor allem eine zu sehen: Sahra Wagenknecht. Was hat es mit ihrem Rückzug aus der Spitze der Fraktion auf sich? Wie geht es weiter mit der Sammlungsbewegung Aufstehen? Zieht sie sich womöglich ganz aus der Politik zurück? Als De Masi fertig ist und sie die Bühne betritt, stehen die meisten auf: Wagenknecht lächelt und wirkt fast ein wenig erleichtert. (...)

Dann geht es los: De Masis Warm-up, die Standing Ovations für Wagenknecht und das Podiumsgespräch. Wagenknecht braucht gerade einmal 30 Sekunden, um sich warm zu reden. Sie kritisiert die Selbstgerechtigkeit derer, die sich angesichts der schwierigen politischen Situation wünschen, dass Aufstehen scheitert. Dann sagt sie das, was sie eigentlich immer sagt, wenn es um Aufstehen geht: Es gehe nicht um Spaltung, sondern darum, „gemeinsam auf die Straße gehen, sich gemeinsam Gedanken machen, gemeinsam Konzepte zu entwickeln“, denn es könne nicht so bleiben, wie es ist.

Wagenknecht ist in ihrem Element. Sie verhaspelt sich nie, spricht sachlich und pointiert über den nicht funktionierenden Mietmarkt, die Angst vieler Menschen, wegen der hohen Mieten ihr Zuhause zu verlieren. Es brauche eine radikale Mietpreisbremse für zehn Jahre, den Rückkauf von Wohnungen. Außerdem müssten Miethaie wie Deutsche Wohnen natürlich enteignet werden. Häufig wird sie von Applaus unterbrochen. In diesen Momenten lächelt sie.

Manchmal grätscht ihr Sitznachbar dazwischen: Mathias Petersen, Arzt, Abgeordneter in der Hamburgischen Bürgerschaft und bekanntes SPD-Mitglied des linken Flügels. Er macht zwar nicht offiziell bei Aufstehen mit, betont an diesem Abend aber auffällig oft das Wort, das auch Wagenknecht wichtig ist: gemeinsam. Man müsse bei Sachfragen überlegen, wie man sie gemeinsam lösen könne, müsse gemeinsam überlegen, was gerecht ist, müsse gemeinsam schauen, wie man etwa den Spitzensteuersatz wieder erhöhen könnte. (...) 

Petersen bekommt für seine kritischen Nachfragen öfters etwas aus dem Publikum zu hören, wenn er gegen Privatisierungen spricht auch mal zaghaften Applaus. Der Lokalmatador Fabio De Masi hält sich an diesem Abend zurück und überlässt Wagenknecht die großen Punkte. Sie präsentiert sich an diesem Abend, so wie man sie kennt: Sie ist zwar keine für das Bad in der Menge, aber sie hat eine Fähigkeit, die vielen Berufspolitiker*innen fehlt: Sie wirkt glaubwürdig. Die Menschen in der Fabrik nehmen es ihr ab, dass sie sich darum sorgt, dass die Gesellschaft auseinander fällt, dass die Armen immer ärmer werden. Viele ihrer Sätze sind klassisch sozialdemokratisch, etwa wenn sie sagt, früher habe es noch mehr soziale Mischung in den Bezirken gegeben, heute würden sich Wohlhabendere und Ärmere kaum noch begegnen. Und so nimmt man es ihr auch an diesem Abend ab, wenn sie für eine mehrheitsfähige Mitte-links-Politik wirbt."