Manager Magazin: "Millionenspenden an Parteien korrumpieren"

Ein Interview mit Fabio De Masi

23.09.2021

Manager Magazin: "Millionenspenden an Parteien korrumpieren"

 

"Der Linken-Bundestagsabgeordnete Fabio De Masi ist einer der profiliertesten Finanzpolitiker des Landes.Nun hört er auf. Im Abschiedsinterview spricht er über die Mühen bei der Bekämpfung von Finanzkriminalität, den Einfluss von Lobbyisten – und die eigene Anfälligkeit für Korruption.

Der Bundestagsabgeordnete Fabio De Masi (41) ist einer der profiliertesten Finanzpolitiker des Landes. Mit medialer Dauerpräsenz kämpfte er gegen Finanzkriminalität und Steuerbetrug, im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Pleite von Wirecard wurde er zu einem der prominentesten Aufklärer. Lob bekam der Linken-Abgeordnete dabei häufiger aus dem eigentlich anderen politischen Lager als von der eigenen Partei. Auch viele Banker, Manager, Topbeamte sind beeindruckt vom Fachwissen und Engagement des Politikers. Nun tritt De Masi nicht mehr zur Wahl an.

manager magazin: Herr De Masi, sieben Jahre waren Sie Abgeordneter in Brüssel und Berlin. Nun treten Sie zur Bundestagswahl nicht mehr an und hören freiwillig auf. Warum?

Fabio de Masi: Ich habe in den vergangenen Jahren meinen Sohn viel zu selten gesehen, da habe ich einiges verpasst, das möchte ich nachholen. Ich habe zudem den Eindruck, dringend mal einen Gang runterschalten zu müssen. Ich habe extrem viel gearbeitet, gleichzeitig stieg der Frust …

Das klingt fast nach Burn-out.

Ich war frustriert darüber, dass es uns nicht gelungen ist mehr für die "einfachen Leute" rauszuholen. Ich fühlte mich lange Zeit auch bei meiner Arbeit von meiner Partei im Stich gelassen. Jetzt freue ich mich aber total auf die neuen Aufgaben. Alle sieben Jahre eine neue Herausforderung schadet nicht.

Sie lassen nicht irgendeinen Job los: Sie hatten enorme öffentliche Aufmerksamkeit, haben manchen Minister ins Schwitzen gebracht, haben dafür auch jenseits der Linken Anerkennung bekommen. Fällt es Ihnen schwer, selbstbestimmt Macht abzugeben?

Absolut. Ich würde auch lügen, wenn ich sagen würde, dass mir der Abschied leichtfällt. Ich bin politiksüchtig, ich belohne mich durch Schlagzeilen, die ich setzen kann. Aber ich wollte nicht zu denen gehören, die abhängig werden vom Parlament. Ich wollte wieder durchatmen. Und einige Monate später kann ich sagen: Ich wurde durch den Rückzug belohnt. In der Fußballsprache hat sich mein Marktwert erhöht.

"Ich bin politiksüchtig, ich belohne mich durch Schlagzeilen, die ich setzen kann." Wie meinen Sie das?

Ich bekomme jetzt Angebote für Kolumnen, Filmprojekte, Bücher. Damit kann ich in meinen Gebieten – Finanzmärkte, Finanzkriminalität, Steuerhinterziehung – freier wirken. Ich glaube, ich werde da künftig ganz anders ernst genommen, weil ich dann nicht mehr der Finanzpolitiker bin, sondern der Finanzdetektiv.

Vom Kick der großen Bühnen lassen Sie also nicht los.

Ich werde öffentlich sichtbar bleiben, aber natürlich nicht mehr mit der Schlagzahl wie jetzt. Worauf ich mich freue: Keine unproduktiven Sitzungen mehr, dafür kann ich selbst Akten lesen, Quellen treffen.

Auf der anderen Seite fehlen Ihnen aber nun einige Privilegien.

Natürlich, am meisten meine Mitarbeiter. Auch parlamentarische Anfragen werden andere stellen müssen. Dafür kommen viele Insider und Whistleblower auf mich zu, die ich nun auch treffen kann. Wobei mir schon bewusst ist, dass ich ohne Mandat ungeschützter bin. Ich habe meinem persönlichen Umfeld versprochen, nicht James Bond zu spielen.

Sind Sie im Nachhinein zufrieden mit dem, was Sie politisch erreicht haben?

Deutschland ist weiterhin ein Paradies für Geldwäsche. Weiterhin gibt es Steuerbetrug, der ähnlich abläuft wie Cum-ex. Auch bei Wirecard ist vieles nicht aufgeklärt. Ich habe keine besseren Gesetze umsetzen können. Dazu fehlte mir die Macht. Aber auch durch Druck konnten wir einiges erreichen. Etwa die Verjährung von Cum-ex-Tatbeute zu unterbinden.

Ihr selbsterklärtes Ziel im Bundestag war es, transparent zu machen, was hinter den verschlossenen Türen der Berliner Republik passiert. Können Abgeordnete unabhängig von Lobbyisten agieren?

Lobbyismus ist normal, auch Gewerkschafts- und Umweltverbände machen das – aber es gibt eine Schieflage von Macht und Ressourcen, die mich beunruhigt. Es gibt immer mehr Politikbereiche, in denen man Nischen- und Expertenwissen braucht. Und in diesen Bereichen sind oft Interessengruppen mit einer enormen wirtschaftlichen Macht unterwegs. Die haben großen Einfluss auf die Politik. Besonders im Europäischen Parlament.

Warum?

Das Europäische Parlament steht zum einen weniger stark im Rampenlicht als der Bundestag. Gleichzeitig werden Entscheidungen in Verhandlungen zwischen Rat und Parlament hinter verschlossenen Türen vorbereitet. Einzelne Abgeordnete haben eine sehr hohe Verhandlungsmacht – nicht Wenige profilieren sich jedoch damit, dass sie Interessen eines Industriezweigs vertreten.

Wie muss man sich das konkret vorstellen? Wie oft wurden Sie von Lobbyisten kontaktiert?

Im Europäischen Parlament werden Sie ständig kontaktiert, im Bundestag war das am Anfang weniger, mit der Zeit wurde es mehr. Da erlebt man schon Interessantes: Ich habe etwa der Deutschen Bank sehr viel Kummer bereitet, weil ich ziemlich viele Fragen gestellt habe zu ihrer geplanten Fusion mit der Commerzbank . Die haben dann irgendwann festgestellt, dass das auch marktrelevant sein kann, ob ich mich zu Dingen äußere oder nicht. Dann haben die mir so einen netten PR-Vertreter zur Seite stellt. Natürlich höre ich mir an, was der zu sagen hat. Ich will deren Interessen und Standpunkte verstehen. Aber ich habe es nun mal immer öffentlich gemacht und auch über die Gesprächsinhalte informiert, sodass man mir niemals unterstellen kann, dass ich mich ungebührlich habe beeinflussen lassen.

Das Geschäft von Lobbyisten ist es, einseitige Informationen zu verbreiten. Wie oft sind Sie Gesprächspartnern auf den Leim gegangen?

Man bekommt oft Informationen, die klingen zunächst überzeugend, dann gleicht man das mühsam mit anderen Quellen ab und erfährt, es war doch nicht so. Ich habe bei Wirecard zwischenzeitlich auch an mir selbst sehr gezweifelt, ob ich denen vielleicht Unrecht tue, weil die Finanzaufsicht die so in Schutz genommen hat. Das ist eine Grunderkenntnis meiner Abgeordnetenjahre: Früher dachte ich, wir hätten einen sehr professionellen Regierungsapparat. Heute weiß ich, alle kochen nur mit Wasser, es werden auch in Ministerien sehr viele Fehler gemacht.

Haben Sie jemals ein unmoralisches Angebot erhalten: etwa Geld oder Gefälligkeiten, um eine Sache zu unterstützen?

Immer wieder haben Leute mal getestet, ob ich mir vorstellen könnte, in einer Art werbenden Funktion aufzutreten. Das habe ich immer klar abgelehnt. Jüngst habe ich zudem das Angebot erhalten, mich mit Christian Olearius zu treffen, dem Eigentümer der Warburg-Bank, der tief in Cum-ex-Geschäfte verstrickt sein soll. Er wollte mir seine Sichtweise erläutern. Das ist nicht unmoralisch, aber angesichts der Tatsache, dass er nicht gegenüber einem Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft aussagen wollte, habe ich das als problematisch empfunden. Das habe ich also entsprechend öffentlich gemacht. So viel Transparenz mag nicht jeder. Das Gesprächsangebot wurde dann von der anderen Seite zurückgezogen.

Die Anfälligkeit für Lobbyisten ist aber nicht nur ein Problem der anderen Parteien.

Nein. Ich habe mir diese Transparenz verordnet, um mich selbst zu schützen – nicht weil ich ein besserer Mensch bin. Der Mensch ist schwach. Und auch die Linke ist ja nicht die Partei der besseren Menschen. Wir haben unsere klaren Regeln zum Selbstschutz: Wir nehmen beispielsweise keine Parteispenden von Unternehmen an.

Die Grünen haben jüngst eine 1,25-Millionen-Spende bekommen. Sie würden sagen: Das geht nicht, ohne sich in irgendeiner Form korrumpieren zu lassen?

Ja. Millionenspenden an Parteien korrumpieren. Die Spenden sind ja keine Almosen, sondern die Geldgeber erwarten etwas. In einer Demokratie muss aber jede Stimme gleich viel wert sein.

Hätten die Grünen das Geld nicht annehmen sollen?

Wer selbst ein Verbot von Parteispenden von Unternehmen fordert, sollte diese auch nicht annehmen. Und Bernie Sanders hat doch in den USA gezeigt, dass man selbst im Land der von der Wall Street finanzierten Wahlkämpfe Millionen begeistern kann, ohne sich abhängig zu machen. Außerdem würden wir uns manche teure Materialschlacht sparen. Etwa durch von den Parteien vereinbarte Obergrenzen für Wahlkampfkosten. Dann wäre das Engagement von Mitgliedern wichtiger als das Engagement von Millionären.

Wäre das nicht ein Nachteil? Die FDP hat mehr als vier Millionen eingesammelt, auch die CDU freut sich über Großspenden?

Glaubwürdigkeit ist unbezahlbar. Das ist politisches Kapital.

Gab es etwas, dass in der Abgeordnetenzeit ganz anders war, als Sie es sich vorher ausgemalt hatten?

Der menschliche Austausch zwischen den Abgeordneten der verschiedenen Fraktionen ist viel besser als man sich das gemeinhin vorstellt. Ich habe bis hinein in die Union viele Kollegen persönlich schätzen gelernt. Wir müssen in Deutschland wieder lernen zu streiten, ohne beleidigt sein, nicht nur Debatten über moralische Empörung führen. Es gibt eine unfassbar ungesunde Polarisierung.

Wie erklären Sie sich das?

Mir scheint, uns fehlt oft die Fähigkeit, sich in eine andere Perspektive hineinzuversetzen. Wenn ich in einer Penthouse-Wohnung lebe und per Videokonferenz arbeite, dann beurteile ich die Corona-Lage möglicherweise sehr anders als eine Kassiererin in einer 50-Quadratmeter-Wohnung mit zwei Kindern. Wegen der steigenden Mieten in den Großstädten und der zunehmenden räumlichen Trennung der Schichten kennen viele doch die Lebensrealität der anderen gar nicht mehr. Es hat aber auch viel mit Veränderungen in Politik und Journalismus zu tun. Wir haben ein Milieu aus Journalisten und Meinungsmachern, die in den sozialen Medien unterwegs sind. Algorithmen führen dazu, dass wir Informationen angezeigt bekommen, die unser Weltbild bestätigen. Da geht immer eine Empörungswelle hoch, das hilft vielleicht beim individuellen Frustabbau. Es trägt aber nicht zur Lösung gesellschaftlicher Probleme bei.

Sie nutzen das Empörungspotenzial der sozialen Medien aber auch gern.

Absolut. Aber ich versuche das nicht mit dem realen Leben zu verwechseln. Ich bin aber natürlich Teil dieses Systems.

Wenn man Sie so reden hört, bekommt man den Eindruck, Sie gehen etwas verbittert und pessimistisch.

Überhaupt nicht. Wir leben in einer unperfekten Welt. Pessimistisch bin ich, wo wir unser Leben dem freien Spiel des Marktes oder mächtigen Akteuren wie Google überlassen. Grundsätzlich glaube ich, dass die Menschheit in der Lage ist, große Dinge zu schaffen. Wir können vernichtende Atombomben bauen oder zum Mars fliegen, wir können aber auch unser Verkehrssystem mit schnellen Zügen und Kleinbussen umbauen, ohne dass wir moralische Diskurse führen, ob ein Pendler mit geringen Einkommen einen alten Diesel fährt. Die Menschen brauchen Alternativen!

Wie viel finanzielle Absicherung haben Sie eigentlich als Abgeordneter nun?

Ich habe Anspruch auf vier Monate Übergangsgeld, ansonsten bin ich jetzt ohne Netz und doppelten Boden aus dem Bundestag heraus. Das ist schwerer, wenn man finanzielle Verpflichtungen hat, weil man ein großes Haus hat, Kredite abzahlen muss, dann ist man möglicherweise moralisch erpressbarer. Das habe ich nicht. Ich lebe zur Miete, habe zwei Rennräder und außer meinem Sohn wenig Verpflichtungen.

Wie werden Sie künftig Ihr Geld verdienen?

Es ist noch nicht alles in trockenen Tüchern, aber ich habe mehrere Projekte: Ich werde ein Buch schreiben, zudem an einem Filmprojekt mitwirken, wo ich als Finanzdetektiv quer durch Europa reise; ich werde eine anspruchsvolle Fernsehserie zu Wirecard beraten, in verschiedenen Zeitungen Kolumnen schreiben, kostenlos eine Gastvorlesungen in einem Fin Tech Master halten und für eine Stiftung arbeiten zum Thema Regulierung der Finanzmärkte im digitalen Zeitalter. Ich weiß, dass ich ein Jahr damit genug verdiene – und dabei zeitweise in meiner zweiten Wahlheimat Südafrika leben kann. Was ich dann mache, weiß ich noch nicht. Es wird sich etwas finden.

Sie haben zu Anfang gesagt, alle sieben Jahre braucht es einen Wechsel. Wo wollen Sie in sieben Jahren stehen?

Dann dürfte mein Sohn gerade Abi gemacht haben. Ich hoffe, dass ich gesund bin und mit ihm am Meer sitze.

Schließen Sie eine Rückkehr in die Politik aus?

Nein. Ich strebe das derzeit nicht an, aber ich werde immer ein politischer Mensch bleiben."