Fabio De Masi: Die Ampel ist die Erntehelferin der AfD

Kolumne Berliner Zeitung

18.02.2024

Erschienen in der Berliner Zeitung

Unser Kolumnist erklärt, warum er für das Bündnis Sahra Wagenknecht in die Politik zurückkehrt und warum die EU einen Neustart braucht.

Im Februar 2021 kündigte ich an, nicht wieder für Die Linke für den Deutschen Bundestag zu kandidieren. Für die Partei hatte ich mich drei Jahre im EU-Parlament und vier Jahre im Deutschen Bundestag engagiert.


Dabei hatte ich größere Bekanntheit durch meine Rolle bei der Aufklärung des Cum-Ex und Wirecard-Skandals erlangt. Es wäre mir daher sicher nicht schwer gefallen, meinen politischen Weg fortzusetzen. Doch ich war spätestens 2019 zu der Überzeugung gekommen, dass Die Linke einen Weg eingeschlagen hat, der sie für die sogenannten „kleinen Leute“ immer weniger wählbar macht.
 

Mein Abschied aus der Linken
 

Gleichwohl hatte ich bis zum Ende des Jahres 2023 keinerlei Absichten wieder für ein erneutes politisches Mandat zu kandidieren. Meine Entscheidung, die Spitzenkandidatur für das BSW bei der Europawahl zu übernehmen, hat viel mit der desaströsen Politik der Ampel-Koalition und meiner Prognose zu tun, dass diese Politik die sogenannte Alternative für Deutschland (AfD), die ich ebenso wie die Regierungspolitik für eine Katastrophe für Deutschland halte, stärken wird.
 

Noch nie war eine Regierung in der Geschichte der Bundesrepublik so unbeliebt und unfähig wie diese. Die AfD steht in Ländern wie Sachsen vor absoluten Mehrheiten. Die SPD liegt dort nur noch bei drei Prozent und die FDP wäre laut aktueller Umfragen nicht mehr im Bundestag vertreten.
An der Spitze des Landes steht mit Olaf Scholz nicht nur ein Mann mit Erinnerungslücken bei den kriminellen Cum-Ex Geschäften, sondern auch ohne Plan für die Zukunft. In Hamburg versprach er einen Elbtower, heraus kam eine Bauruine, in Deutschland versprach er ein Wirtschaftswunder und heraus kam eine Rezession. Wir sind das einzige Industrieland dessen Wirtschaft schrumpft.
 

Die Ampel lässt die deutsche Wirtschaft abstürzen
 

Die US-Nachrichtenagentur Bloomberg verkündet bereits den Abstieg Deutschlands als führende Industrienation und macht hierbei als zentrale Ursache die hohen Energiekosten für Unternehmen aus. Denn Deutschland kündigte nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine kopflose Energiesanktionen an, die uns jedoch viel mehr schaden als Russland.
 

Die russische Wirtschaft wächst, die deutsche Wirtschaft schrumpft. Denn wir verzichten auf günstiges russisches Gas, ohne über sichere und günstige alternative Bezugsquellen zu verfügen. Zahlreiche EU-Staaten (etwa Österreich) beziehen weiterhin günstiges russisches Gas, während wir zu höheren Preisen schmutziges US-Fracking-Gas beziehen, und nunmehr auf Umwegen – nur teurer - über Belgien russisches LNG-Gas und russisches Öl über Indien einkaufen.
 

Nun hat jedoch US-Präsident Joe Biden angekündigt, Flüssiggas-Exporte zu beschränken. Ein zukünftiger US-Präsident Donald Trump wird sicher noch weniger Rücksicht auf die deutschen Interessen nehmen. Gleichzeitig stehen unsere Energienetze wegen der Schocktherapie einer undurchdachten Energiepolitik und wegen dem steigenden Strombedarf durch Wärmepumpen und private Ladevorrichtungen für E-Autos unter Druck.
 

Die Ampel hat zudem mitten im Ukraine-Krieg und während des Energiepreisschocks die außergewöhnliche Notlage der Schuldenbremse beendet und eine Verfassungs- und Haushaltskrise ausgelöst. In den USA oder Spanien haben Regierungen die Inflation hingegen durch eine Erhöhung der Staatsausgaben bekämpft – und ihre Volkswirtschaften brummen. Gleichzeitig werden Milliarden im schwarzen Loch des Beschaffungswesens bzw. der Rüstungsindustrie versenkt und die Verbrauchssteuern bzw. CO2-Abgaben erhöht!
 

Wir sind die größte Volkswirtschaft der EU, aber eines der Schlusslichter bei der öffentlichen Investitionsquote (Investitionen im Verhältnis zur Wirtschaftskraft). Eine jüngst veröffentlichte Studie, an der schwedische Zentralbanker beteiligt waren, hat 200 europäische Wahlen ausgewertet und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass Kürzungspolitik rechte Parteien stärkt.
 

Rien ne va plus. Nichts geht mehr in Deutschland. Unsere Bahnen fahren kaum noch pünktlich. Alle Züge stehen still, weil die Ampel es so will! Es fehlt an bezahlbarem Wohnraum. Die Mieten fressen die Löhne auf. In keinem anderen G7-Staat außer Italien sind die Reallöhne so stark seit der Coronakrise gefallen wie in Deutschland.
 

Die Bauern-Proteste zeigten, wie groß der Druck im Kessel ist. Landwirte auf Traktoren wurden von Großstädtern pauschal als Kartoffelmob geschmäht, da sie sich gegen die Kürzung der Agrarsubventionen wehrten. Dabei scheint unser Problem in Deutschland vielmehr, dass nicht auch Krankenpfleger oder Rentner Trekker fahren. Im Unterschied zu großen Agrarkonzernen und der Lebensmittelindustrie, die dank der Ampel-Koalition im Ukraine-Krieg heftige Übergewinne einfuhren, die nicht abgeschöpft wurden, kämpfen viele Landwirte ums Überleben.
 

Eine EU, die ihren Job macht
 

Wir wollen ein Europa, das sich auf jene Dinge konzentriert, die es besser kann und die demokratische Souveränität von EU-Mitgliedsstaaten achtet. Dafür braucht es eine Reform der EU-Verträge und Volksabstimmungen in den Mitgliedsstaaten. Wo nötig, müssen sich die EU-Mitgliedsstaaten gegen ausbrechendes EU-Recht (etwa Urteile des Europäischen Gerichtshofes, die Tariftreue und sozialen Schutz in den Mitgliedsstaaten negativ beeinträchtigen) wehren.
 

In anderen Bereichen kann die EU hingegen mehr leisten: Dies beinhaltet etwa eine Koalition der willigen EU-Staaten, um Strafsteuern auf Finanzflüsse in Steueroasen zu verhängen. Dies würde es erleichtern, internationale Kooperation und eine echte Mindestbesteuerung für internationale Konzerne in Höhe von 25 Prozent durchzusetzen, um unseren Mittelstand zu schützen.
Der Kompromiss von Olaf Scholz für eine globale Mindestbesteuerung ist völlig unzureichend. Digitalkonzerne ohne feste Betriebsstätte in einem Staat können sich immer noch der Besteuerung von Internetgewinnen entziehen. Amazon fällt durch allerlei Tricks sogar unter die Gewinngrenze, ab der die Steuer greift. Zudem gilt es, das Kartellrecht zu schärfen und Übergewinne – ob im Energiesektor oder bei den digitalen Big-Tech-Firmen aus den USA abzuschöpfen.
 

Wir brauchen eine europäische digitale Infrastruktur, um unsere Souveränität gegen Big-Tech-Konzerne und Plattformen aus den USA zu behaupten, deren Algorithmen Gift für unser Hirn sind und die zunehmend bestimmen, was wir denken, was wir lesen und wie wir bezahlen! Wir wollen die Enteignung unsere Gedanken und unserer Privatsphäre beenden.
 

Wir müssen Lohndumping im Binnenmarkt unterbinden und ortsübliche Tariflöhne schützen, damit die Zustände wie in unseren Schlachthöfen nicht weiter um sich greifen. Dies erfordert den nationalen Arbeits- und Sozialverfassungen den Anwendungsbereich der unternehmerischen Freiheiten des Binnenmarktes zu entziehen. Die Beschäftigten aus Osteuropa, die häufig über Subunternehmen nach Deutschland entsandt werden, dürfen etwa nicht etwa gegen Beschäftigte hierzulande ausgespielt werden, weil die Herkunft des Unternehmens und nicht der Arbeitsort zum Maßstab der sozialen Rechte gemacht wird.
 

Und hier in Deutschland sagen wir: Wer das Modell Bürgergeld plus Schwarzarbeit beklagt, muss endlich für anständige Löhne sorgen. Arbeit darf nicht billig wie Dreck sein! 14 Euro Mindestlohn Minimum!
 

Zudem streben wir eine Reform des Beihilfe- und Vergaberechts für eine aktive Industriepolitik und eine Reform der europäischen Schuldenbremsen an, um endlich Investitionen in Infrastruktur und Zukunftstechnologien zu ermöglichen. Die Finanzierung von Investitionen über Kredite muss den EU-Mitgliedsstaaten ermöglicht werden (goldene Regel der Investitionsfinanzierung). Es muss möglich sein, das wir in Europa wie in den USA oder China Zukunftstechnologien fördern. Ob grünen Wasserstoff oder Speichertechnologien für regenerative Energien: Ohne staatliches Engagement gäbe es weder das Internet noch andere Schlüsseltechnologien.
 

Die Ampel handelt nicht ökologisch, sondern dumm
 

Die Ampel hob nach dem Preisschock durch den Wirtschaftskrieg die Mehrwertsteuern und die CO2-Preise an. Sie treibt so die Preise weiter an und bricht den Leuten mit den schmalen Schultern das Kreuz. Ein Klimageld zum sozialen Ausgleich soll es bis 2027 nicht geben. Gleichzeitig wurden Tausende Bahnkilometer abgebaut.
 

Die ökologische Lenkungswirkung höherer CO2-Abgaben dürften gleichwohl bescheiden sein. Denn wer sich die Miete in den Innenstädten nicht mehr leisten kann, muss häufiger mit dem Auto zur Arbeit pendeln, wenn zu wenige Busse und Bahnen auf dem Land fahren. Gleichwohl sind Spitzenverdiener, die einen viel höheren CO2-Verbrauch haben, gegenüber CO2-Abgaben weniger empfindlich. Damit Preise überhaupt lenken können, braucht es daher ein flächendeckendes und eng getaktetes Angebot an öffentlicher Mobilität. Sonst verringert man nur das Einkommen jener Leute, die ohnehin schon jeden Cent umdrehen müssen.
Statt über den Emissionshandel unklare Lenkungswirkungen zu erzeugen, müsste es strikte Ordnungspolitik und Vorgaben für die CO2-Minderung geben, die durch Regulierungen und öffentliche Investitionen erfolgen. Die Kommunen wären etwa beim Ausbau der kommunalen Fernwärme zu unterstützen. Dies hätte uns einiges Theater und die Verunsicherung von Eigentümern und Mietern rund um das Heizungsgesetz erspart.
 

Greenwashing: Das Beispiel E-Auto
 

Nicht überall, wo Ökologie draufsteht, ist auch Ökologie drin. Das Verbrenner-Aus bei Pkws entpuppt sich etwa als unrealistisch. Natürlich muss auch E-Mobilität zukünftig eine Rolle spielen und dafür braucht es etwa den Ausbau der Ladeinfrastruktur. Doch die Netze sind laut Bundesnetzagentur mit der schnellen Transformation und der simultanen Stromnachfrage durch E-Mobilität und Wärmepumpen absehbar überfordert. Daher sollen private Ladevorrichtungen in Spitzenzeiten nun gedrosselt werden.
 

Zudem reduziert es kaum Emissionen wenn sich vor allem Besserverdiener E-Autos als Zweitwagen anschaffen, da diese für viele Menschen nicht erschwinglich sind. Es muss daher einerseits darum gehen den öffentlichen Fern- und Nahverkehr mit Milliardeninvestitionen so attraktiv zu machen, dass die Abhängigkeit vom Pkw sinkt und öffentliche Mobilität gesichert wird.
 

Die CO2-Emissionen dürfen bei batterieelektrischen Autos zudem nicht nur am Auspuff gemessen werden, sondern fallen über den kompletten Produktionszyklus von Autos und Batterien an. Wenn etwa nachts beim Laden der Batterien keine Sonne scheint und zum Beispiel mit Kohlestrom „getankt“ wird, ist die Energiebilanz getrübt.
 

Die Batterien, die etwa bei Lithium häufig mit dem Einsatz von Kinderarbeit hergestellt werden, haben in der Produktion enorm hohen Energieverbrauch. Wenn man den gesamten Produktionszyklus betrachtet, sind E-Autos von daher erst bei längeren Kilometerständen ökologischer als Verbrenner. Und dabei wird häufig der durchschnittliche Strom-Mix in Deutschland für das Laden der Batterien unterstellt. Doch das Laden erfolgt häufig zu Zeiten, wo nicht Wind weht oder die Sonne nicht scheint und sogenannte marginale Kraftwerke genutzt werden müssen, die schmutzige Energiequellen nutzen.
 

Die Energiesanktionen haben dieses Problem zusätzlich verschärft. Denn der Import von russischem Gas als Brückenrohstoff, dessen Umweltbilanz besser als das US Fracking Gas ist, wurde erschwert. Selbst wenn die Batterien lange tragen, ist es fraglich, wie lange die Modelle im Konsumzyklus von Autos ausgefahren werden. Auch die Entsorgung ist ein massives Problem.
 

Es müssen daher andererseits auch technologische Entwicklungspfade offengehalten werden. Denn nach bisherigen Prognosen wird sich im weltweiten Maßstab durch die Zunahme des Pkw-Verkehrs in Entwicklungs- und Schwellenländern, wo E-Mobilität häufig nur eingeschränkt möglich ist, die Zahl der Verbrenner-Pkws nicht reduzieren. Die deutsche Industrie mit ihrem Know-How beim Verbrennermotor könnte daher durch strikte Einsparziele und Vorgaben mit der Produktion von kleineren und effizienteren Verbrennerautos einen wesentlichen Beitrag zur weltweiten Emissionsreduzierung leisten.
Die synthetischen Kraftstoffe, die CO2 direkt aus der Luft entnehmen, das bei der Stromerzeugung entstanden ist, können dabei in der EU einen Beitrag leisten, die Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaschutzabkommen einzuhalten. Sie sind bisher jedoch nicht im erforderlichen Umfang für PKWs vorhanden und insbesondere für den Einsatz im Schiffsverkehr, Flugzeugen und andere Bereichen zu priorisieren. Man könnte das Potential von E-Fuels aus regenerativen Energien in Entwicklungs- und Schwellenländern jedoch womöglich erheblich skalieren. In Chile passiert dies aktuell mit E-Fuels aus Windkraft. Japanische und selbst chinesische Hersteller, die stark auf E-Mobilität gesetzt haben, experimentieren bereits mit E-Fuels bzw. Wasserstoff.
 

Es wäre daher sinnvoller, ausgehend von den Stärken der deutschen Automobilindustrie beim Verbrennermotor für Neuwagen, die bis 2035 noch vom Band rollen, strikte, aber technologieoffene Einsparziele bei Energieeffizienz und Flottengrößen vorzugeben und den Hochlauf der Wasserstoffforschung zu fördern. Dies würde einen Wettbewerb um die besten Technologien initiieren und verschiedene Entwicklungspfade zur Verringerung der Emissionen ermöglichen, bis wir die technologische Entwicklung besser einschätzen können.


Das BSW ist daher für die Klima- und Verkehrswende. Aber wir sind für eine Herangehensweise, die an den spezifischen Voraussetzungen unserer Industrie ansetzt, Übergänge schafft und Konzerne zu Innovationen zwingt, statt Scheinlösungen zu etablieren, die in der Praxis nicht funktionieren werden.
 

Die Debatte über Migration
 

Wir wollen eine gesteuerte Migration. Dies bedeutet Migration, wo dies unter vernünftigen Bedingungen möglich ist, durch eine Verlagerung von Asylverfahren in Drittstatten zu verringern. Dies ermöglicht denjenigen, die sich keine teuren Schlepper leisten können und es häufig gar nicht erst zu uns schaffen, ohne die gefährliche Querung des Mittelmeers ihren Anspruch auf Schutz zu verwirklichen. Menschen ohne Schutzstatus erspart es die gefährliche Flucht.


Die Mittel, die wir in Deutschland für die Dauer des Verfahrens für Menschen ohne Schutzstatus aufwenden, können in Drittstaaten bei der Prüfung von Asylgesuchen eine humane Versorgung gewährleisten. Wer vor politischer Verfolgung flieht, braucht zunächst Schutz und Unterkunft.
Menschen, die politisch verfolgt werden oder im Rahmen von begrenzten humanitären Kontingenten zu uns kommen, sind mit allen notwenigen Angeboten wie Sprachkursen und auch Unterstützung auf dem Arbeitsmarkt gut zu integrieren. Denn diese Menschen müssen häufig länger bei uns bleiben. Und Denjenigen, die bereits gut integriert sind oder einen Arbeitsvertrag in der Tasche haben, dürfen wir (etwa bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen) keine unnötigen Knüppel zwischen die Beine werfen.


Wir müssen jedoch Anreize verringern, dass sehr viele Menschen zu uns kommen, die (aus verständlichen Gründen) eine bessere wirtschaftliche Zukunft suchen und keinen Anspruch auf Asyl oder Schutz haben. Denn die entsprechenden Verfahren dauern lange, die Menschen harren in der Perspektivlosigkeit aus und einer massenhaften Rückführung, wie sie Olaf Scholz vollmundig verspricht, stehen humane und praktische Gründe (Rückführungsabkommen, Minderjährigkeit u.ä.) häufig entgegen.


Wenn diese Menschen über lange Zeiträume bei uns ohne echte Perspektive verharren, nimmt der soziale Druck bei Wohnungen und Schulen zu. Es ist sinnvoller, die wirtschaftliche Entwicklung in den Herkunftsstaaten zu unterstützen und begrenzte Kontingente zu schaffen, die im Einklang mit der Fähigkeit von Kommunen zur Integration stehen und diese nicht überfordern. In Kindergärten lernen Kinder schnell eine neue Sprache. Wenn aber in Schulklassen nur noch eine Minderheit der Kinder Deutsch spricht ist dies ein Problem.


Dies hat auch nichts mit Bio-Deutsch oder Zuwanderungshintergrund zu tun. Auch Menschen, die zum Beispiel als türkischstämmige über mehrere Generationen unser Land mit aufgebaut haben und in Duisburg-Marxloh leben, spüren den Druck. In die wohlsituierten bürgerlichen Viertel findet Zuwanderung hingegen kaum statt.
 

Der Westen hat zudem mit Regime-Change-Kriegen, mit Waffenlieferungen und unfairen Handelsabkommen permanent Fluchtursachen geschaffen. Nicht zufällig kommen immer noch etliche Menschen aus dem Irak oder Syrien zu uns und ist die Situation in Libyen derartig desolat. Und auch wenn das Recht Israels auf Selbstverteidigung gegen den Terror unbestritten ist, bleibt die militärische Gewalt und die Kollektivbestrafung von unschuldigen Zivilisten (mehrheitlich Frauen und Kinder) in Gaza völlig unverhältnismäßig.
 

Wir müssen daher viel mehr tun, um die Situation in Herkunftsländern zu stabilisieren. Es ist doch doppelbödig, einerseits Fluchtursachen zu schaffen, billige Fachkräfte aus dem Ausland abzuwerben und etwa der UN hinreichende finanzielle Mittel für Flüchtlingscamps in Afrika zu verwehren, in denen die Ärmsten ausharren, die hungern, vor Kriegen geflohen sind und es niemals nach Europa schaffen. Auch hier müssen wir einen stärkeren Beitrag leisten, um etwa das Recht von Kindern auf Ernährung und Bildung vor Ort zu verwirklichen.

Enge Meinungskorridore
 

Das BSW will zudem weg von engen Meinungskorridoren, die unsere Gesellschaft immer tiefer spalten. Egal wie man zu den Impfungen in der Corona-Krise steht. Die Debatten über eine Impfpflicht waren fatal, denn es gab doch gar keinen Fremdschutz durch die Impfung. Während der Corona-Krise verging keine Talkshow ohne Herrn Lauterbach. Jetzt ist er Minister, aber die unhaltbaren Zustände, in den auf Rendite getrimmten Krankenhäusern und der Pflege sind immer noch die Gleichen. Unseren Kindern hat man in der Corona-Krise die Schulen geschlossen und I-pads in die Hand gedrückt, statt Ihnen vernünftig Lesen und Rechnen beizubringen. Die Bildungsungleichheit hat massiv zugenommen.
 

Renaissance der Entspannungspolitik Willy Brandts
 

Wir hatten bereits vor der Zeitenwende einen Verteidigungsetat, der der Atommacht Frankreichs entsprach, aber in einem schwarzen Loch versickerte. Ursula von der Leyen bescherte dieser Berater- und Beschaffungsfilz einst auch noch den Job der EU-Kommissionspräsidentin. Sie hat weitergemacht, wo sie aufgehört hat und ihre SMS mit Pharmakonzernen vernichtet, denen sie Milliardenprofite verschaffte.
 

Und während sich in der Ukraine die Leichenberge stapeln, im Gaza-Konflikt die Doppelmoral des Westens vorgeführt wird und eine Außenministerin, die für eine „feministische Außenpolitik“ wirbt, Euro-Fighter an Saudi-Arabien liefert, werden uns die USA den Krieg in der Ukraine schon bald vor die Füße kippen. Wann vertreten wir endlich die Interessen Europas? Europa ist ein Schanier zwischen West und Ost.
 

Mit den Energiesanktionen schaden wir uns selbst viel mehr als Russland, ohne den furchtbaren Krieg damit zu beenden. Und wir importieren schmutziges Fracking-Gas aus den USA, bzw. beziehen russische Energie teurer über Drittstatten. Denn die globale Energienachfrage trifft nun mal auf ein beschränktes Angebot fossiler Energiequellen, das sich nicht kurzfristig substituieren lässt. Gas ist dabei eine wichtige Brücke in das nicht-fossile Zeitalter. Und Russlands Präsident Wladimir Putin bezahlt seine Soldaten und diesen Krieg doch überwiegend in Rubel nicht in Euro aus dem Gasgeschäft.
 

Die Welt befindet sich im Wandel. Eine Mehrheit auf diesem Planeten in Brasilien, Indien, Südafrika oder China tanzt nicht mehr nach der Pfeife Washingtons. Der Krieg Russlands in der Ukraine ist zweifelsfrei ein Verbrechen und reiht sich ein in eine Reihe von Völkerrechtsbrüchen des Westens wie im Irak.
 

Daher brauchen wir endlich Diplomatie. Selbst ukrainische Unterhändler sagen, dass man im März 2022 in Istanbul kurz vor einer Verhandlungslösung stand, aber insbesondere Großbritannien auf eine Fortführung des Krieges drängte. Nun droht der Ukraine noch mehr Verlust an Leben und Territorium, weil ihnen die unversehrten Männer ausgehen. Das ist unverantwortlich.
 

Eine Verhandlungslösung ist nun noch schwerer als vorher, da Putin sich nunmehr im Vorteil wähnt und auf einen Wahlsieg von Donald Trump in den USA setzt. Zunächst bräuchte es daher einen wahrscheinlich brüchigen Waffenstillstand. Die Initiative Chinas, die vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron unterstützt wurde, die sowohl Russland zum Respekt der territorialen Souveränität der Ukraine ermahnte als auch die Ausdehnung von Machtblöcken wie der Nato kritisierte, sollte unsere Unterstützung erfahren.
 

Die Regierung ist eine Katastrophe – aber auch die Opposition
 

Der jüngere Aufstieg der AfD ist die Verantwortung der Ampel-Koalition. Doch auch die Union kann es nicht besser. Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter will den Ukraine-Krieg nun unmittelbar auf dem Territorium der Atommacht Russland austragen und fordert bereits ein Sondervermögen von 300 Milliarden Euro für die Bundeswehr bei Festhalten an der dummen Schuldenbremse für den Rest der Wirtschaft.


Und die AfD, die Lohn- und Rentenkürzungen sowie Privatisierungen befürwortet, ist abgesehen von ihren zweifelhaften bis rechtsextremen Funktionären nicht nur prinzipiell für die deutsche Hochrüstung, sondern unterstützt etwa die völlig unverhältnismäßige Eskalation des Gaza-Krieges. Damit ist die AfD die Parteineuer Fluchtursachen und internationaler Brandherde.


Es ist daher ein Dienst an der Demokratie, dass es mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit endlich eine Alternative zur Politik der Ampel sowie der schlechten Opposition der CDU/CSU und den Ressentiments der AfD gibt. Unser Ziel ist es insbesondere Jenen Wählern, die gar nicht mehr zur Wahl gehen, oder aus Frust für die AfD gestimmt haben, ein seriöses Angebot zu unterbreiten. Doch dazu muss das BSW zunächst in kürzester Zeit die erforderlichen Unterschriften für einen Wahlantritt zur Europawahl sammeln. Ich bin mir jedoch sicher, dass wir diese Hürde bald genommen haben.


Hinweis: Fabio De Masi beendet mit diesem Beitrag für die Dauer des Europawahlkampfes seine Tätigkeit als Kolumnist der Berliner Zeitung

Kolumne
 

Fabio De Masi: Die Ampel ist die Erntehelferin der AfD
 

Unser Kolumnist erklärt, warum er für das Bündnis Sahra Wagenknecht in die Politik zurückkehrt und warum die EU einen Neustart braucht.

Im Februar 2021 kündigte ich an, nicht wieder für Die Linke für den Deutschen Bundestag zu kandidieren. Für die Partei hatte ich mich drei Jahre im EU-Parlament und vier Jahre im Deutschen Bundestag engagiert.


Dabei hatte ich größere Bekanntheit durch meine Rolle bei der Aufklärung des Cum-Ex und Wirecard-Skandals erlangt. Es wäre mir daher sicher nicht schwer gefallen, meinen politischen Weg fortzusetzen. Doch ich war spätestens 2019 zu der Überzeugung gekommen, dass Die Linke einen Weg eingeschlagen hat, der sie für die sogenannten „kleinen Leute“ immer weniger wählbar macht.
 

Mein Abschied aus der Linken
 

Gleichwohl hatte ich bis zum Ende des Jahres 2023 keinerlei Absichten wieder für ein erneutes politisches Mandat zu kandidieren. Meine Entscheidung, die Spitzenkandidatur für das BSW bei der Europawahl zu übernehmen, hat viel mit der desaströsen Politik der Ampel-Koalition und meiner Prognose zu tun, dass diese Politik die sogenannte Alternative für Deutschland (AfD), die ich ebenso wie die Regierungspolitik für eine Katastrophe für Deutschland halte, stärken wird.
 

Noch nie war eine Regierung in der Geschichte der Bundesrepublik so unbeliebt und unfähig wie diese. Die AfD steht in Ländern wie Sachsen vor absoluten Mehrheiten. Die SPD liegt dort nur noch bei drei Prozent und die FDP wäre laut aktueller Umfragen nicht mehr im Bundestag vertreten.
An der Spitze des Landes steht mit Olaf Scholz nicht nur ein Mann mit Erinnerungslücken bei den kriminellen Cum-Ex Geschäften, sondern auch ohne Plan für die Zukunft. In Hamburg versprach er einen Elbtower, heraus kam eine Bauruine, in Deutschland versprach er ein Wirtschaftswunder und heraus kam eine Rezession. Wir sind das einzige Industrieland dessen Wirtschaft schrumpft.
 

Die Ampel lässt die deutsche Wirtschaft abstürzen
 

Die US-Nachrichtenagentur Bloomberg verkündet bereits den Abstieg Deutschlands als führende Industrienation und macht hierbei als zentrale Ursache die hohen Energiekosten für Unternehmen aus. Denn Deutschland kündigte nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine kopflose Energiesanktionen an, die uns jedoch viel mehr schaden als Russland.
 

Die russische Wirtschaft wächst, die deutsche Wirtschaft schrumpft. Denn wir verzichten auf günstiges russisches Gas, ohne über sichere und günstige alternative Bezugsquellen zu verfügen. Zahlreiche EU-Staaten (etwa Österreich) beziehen weiterhin günstiges russisches Gas, während wir zu höheren Preisen schmutziges US-Fracking-Gas beziehen, und nunmehr auf Umwegen – nur teurer - über Belgien russisches LNG-Gas und russisches Öl über Indien einkaufen.
 

Nun hat jedoch US-Präsident Joe Biden angekündigt, Flüssiggas-Exporte zu beschränken. Ein zukünftiger US-Präsident Donald Trump wird sicher noch weniger Rücksicht auf die deutschen Interessen nehmen. Gleichzeitig stehen unsere Energienetze wegen der Schocktherapie einer undurchdachten Energiepolitik und wegen dem steigenden Strombedarf durch Wärmepumpen und private Ladevorrichtungen für E-Autos unter Druck.
 

Die Ampel hat zudem mitten im Ukraine-Krieg und während des Energiepreisschocks die außergewöhnliche Notlage der Schuldenbremse beendet und eine Verfassungs- und Haushaltskrise ausgelöst. In den USA oder Spanien haben Regierungen die Inflation hingegen durch eine Erhöhung der Staatsausgaben bekämpft – und ihre Volkswirtschaften brummen. Gleichzeitig werden Milliarden im schwarzen Loch des Beschaffungswesens bzw. der Rüstungsindustrie versenkt und die Verbrauchssteuern bzw. CO2-Abgaben erhöht!
 

Wir sind die größte Volkswirtschaft der EU, aber eines der Schlusslichter bei der öffentlichen Investitionsquote (Investitionen im Verhältnis zur Wirtschaftskraft). Eine jüngst veröffentlichte Studie, an der schwedische Zentralbanker beteiligt waren, hat 200 europäische Wahlen ausgewertet und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass Kürzungspolitik rechte Parteien stärkt.
 

Rien ne va plus. Nichts geht mehr in Deutschland. Unsere Bahnen fahren kaum noch pünktlich. Alle Züge stehen still, weil die Ampel es so will! Es fehlt an bezahlbarem Wohnraum. Die Mieten fressen die Löhne auf. In keinem anderen G7-Staat außer Italien sind die Reallöhne so stark seit der Coronakrise gefallen wie in Deutschland.
 

Die Bauern-Proteste zeigten, wie groß der Druck im Kessel ist. Landwirte auf Traktoren wurden von Großstädtern pauschal als Kartoffelmob geschmäht, da sie sich gegen die Kürzung der Agrarsubventionen wehrten. Dabei scheint unser Problem in Deutschland vielmehr, dass nicht auch Krankenpfleger oder Rentner Trekker fahren. Im Unterschied zu großen Agrarkonzernen und der Lebensmittelindustrie, die dank der Ampel-Koalition im Ukraine-Krieg heftige Übergewinne einfuhren, die nicht abgeschöpft wurden, kämpfen viele Landwirte ums Überleben.
 

Eine EU, die ihren Job macht
 

Wir wollen ein Europa, das sich auf jene Dinge konzentriert, die es besser kann und die demokratische Souveränität von EU-Mitgliedsstaaten achtet. Dafür braucht es eine Reform der EU-Verträge und Volksabstimmungen in den Mitgliedsstaaten. Wo nötig, müssen sich die EU-Mitgliedsstaaten gegen ausbrechendes EU-Recht (etwa Urteile des Europäischen Gerichtshofes, die Tariftreue und sozialen Schutz in den Mitgliedsstaaten negativ beeinträchtigen) wehren.
 

In anderen Bereichen kann die EU hingegen mehr leisten: Dies beinhaltet etwa eine Koalition der willigen EU-Staaten, um Strafsteuern auf Finanzflüsse in Steueroasen zu verhängen. Dies würde es erleichtern, internationale Kooperation und eine echte Mindestbesteuerung für internationale Konzerne in Höhe von 25 Prozent durchzusetzen, um unseren Mittelstand zu schützen.
Der Kompromiss von Olaf Scholz für eine globale Mindestbesteuerung ist völlig unzureichend. Digitalkonzerne ohne feste Betriebsstätte in einem Staat können sich immer noch der Besteuerung von Internetgewinnen entziehen. Amazon fällt durch allerlei Tricks sogar unter die Gewinngrenze, ab der die Steuer greift. Zudem gilt es, das Kartellrecht zu schärfen und Übergewinne – ob im Energiesektor oder bei den digitalen Big-Tech-Firmen aus den USA abzuschöpfen.
 

Wir brauchen eine europäische digitale Infrastruktur, um unsere Souveränität gegen Big-Tech-Konzerne und Plattformen aus den USA zu behaupten, deren Algorithmen Gift für unser Hirn sind und die zunehmend bestimmen, was wir denken, was wir lesen und wie wir bezahlen! Wir wollen die Enteignung unsere Gedanken und unserer Privatsphäre beenden.
 

Wir müssen Lohndumping im Binnenmarkt unterbinden und ortsübliche Tariflöhne schützen, damit die Zustände wie in unseren Schlachthöfen nicht weiter um sich greifen. Dies erfordert den nationalen Arbeits- und Sozialverfassungen den Anwendungsbereich der unternehmerischen Freiheiten des Binnenmarktes zu entziehen. Die Beschäftigten aus Osteuropa, die häufig über Subunternehmen nach Deutschland entsandt werden, dürfen etwa nicht etwa gegen Beschäftigte hierzulande ausgespielt werden, weil die Herkunft des Unternehmens und nicht der Arbeitsort zum Maßstab der sozialen Rechte gemacht wird.
 

Und hier in Deutschland sagen wir: Wer das Modell Bürgergeld plus Schwarzarbeit beklagt, muss endlich für anständige Löhne sorgen. Arbeit darf nicht billig wie Dreck sein! 14 Euro Mindestlohn Minimum!
 

Zudem streben wir eine Reform des Beihilfe- und Vergaberechts für eine aktive Industriepolitik und eine Reform der europäischen Schuldenbremsen an, um endlich Investitionen in Infrastruktur und Zukunftstechnologien zu ermöglichen. Die Finanzierung von Investitionen über Kredite muss den EU-Mitgliedsstaaten ermöglicht werden (goldene Regel der Investitionsfinanzierung). Es muss möglich sein, das wir in Europa wie in den USA oder China Zukunftstechnologien fördern. Ob grünen Wasserstoff oder Speichertechnologien für regenerative Energien: Ohne staatliches Engagement gäbe es weder das Internet noch andere Schlüsseltechnologien.
 

Die Ampel handelt nicht ökologisch, sondern dumm
 

Die Ampel hob nach dem Preisschock durch den Wirtschaftskrieg die Mehrwertsteuern und die CO2-Preise an. Sie treibt so die Preise weiter an und bricht den Leuten mit den schmalen Schultern das Kreuz. Ein Klimageld zum sozialen Ausgleich soll es bis 2027 nicht geben. Gleichzeitig wurden Tausende Bahnkilometer abgebaut.
 

Die ökologische Lenkungswirkung höherer CO2-Abgaben dürften gleichwohl bescheiden sein. Denn wer sich die Miete in den Innenstädten nicht mehr leisten kann, muss häufiger mit dem Auto zur Arbeit pendeln, wenn zu wenige Busse und Bahnen auf dem Land fahren. Gleichwohl sind Spitzenverdiener, die einen viel höheren CO2-Verbrauch haben, gegenüber CO2-Abgaben weniger empfindlich. Damit Preise überhaupt lenken können, braucht es daher ein flächendeckendes und eng getaktetes Angebot an öffentlicher Mobilität. Sonst verringert man nur das Einkommen jener Leute, die ohnehin schon jeden Cent umdrehen müssen.
Statt über den Emissionshandel unklare Lenkungswirkungen zu erzeugen, müsste es strikte Ordnungspolitik und Vorgaben für die CO2-Minderung geben, die durch Regulierungen und öffentliche Investitionen erfolgen. Die Kommunen wären etwa beim Ausbau der kommunalen Fernwärme zu unterstützen. Dies hätte uns einiges Theater und die Verunsicherung von Eigentümern und Mietern rund um das Heizungsgesetz erspart.
 

Greenwashing: Das Beispiel E-Auto
 

Nicht überall, wo Ökologie draufsteht, ist auch Ökologie drin. Das Verbrenner-Aus bei Pkws entpuppt sich etwa als unrealistisch. Natürlich muss auch E-Mobilität zukünftig eine Rolle spielen und dafür braucht es etwa den Ausbau der Ladeinfrastruktur. Doch die Netze sind laut Bundesnetzagentur mit der schnellen Transformation und der simultanen Stromnachfrage durch E-Mobilität und Wärmepumpen absehbar überfordert. Daher sollen private Ladevorrichtungen in Spitzenzeiten nun gedrosselt werden.
 

Zudem reduziert es kaum Emissionen wenn sich vor allem Besserverdiener E-Autos als Zweitwagen anschaffen, da diese für viele Menschen nicht erschwinglich sind. Es muss daher einerseits darum gehen den öffentlichen Fern- und Nahverkehr mit Milliardeninvestitionen so attraktiv zu machen, dass die Abhängigkeit vom Pkw sinkt und öffentliche Mobilität gesichert wird.
 

Die CO2-Emissionen dürfen bei batterieelektrischen Autos zudem nicht nur am Auspuff gemessen werden, sondern fallen über den kompletten Produktionszyklus von Autos und Batterien an. Wenn etwa nachts beim Laden der Batterien keine Sonne scheint und zum Beispiel mit Kohlestrom „getankt“ wird, ist die Energiebilanz getrübt.
 

Die Batterien, die etwa bei Lithium häufig mit dem Einsatz von Kinderarbeit hergestellt werden, haben in der Produktion enorm hohen Energieverbrauch. Wenn man den gesamten Produktionszyklus betrachtet, sind E-Autos von daher erst bei längeren Kilometerständen ökologischer als Verbrenner. Und dabei wird häufig der durchschnittliche Strom-Mix in Deutschland für das Laden der Batterien unterstellt. Doch das Laden erfolgt häufig zu Zeiten, wo nicht Wind weht oder die Sonne nicht scheint und sogenannte marginale Kraftwerke genutzt werden müssen, die schmutzige Energiequellen nutzen.
 

Die Energiesanktionen haben dieses Problem zusätzlich verschärft. Denn der Import von russischem Gas als Brückenrohstoff, dessen Umweltbilanz besser als das US Fracking Gas ist, wurde erschwert. Selbst wenn die Batterien lange tragen, ist es fraglich, wie lange die Modelle im Konsumzyklus von Autos ausgefahren werden. Auch die Entsorgung ist ein massives Problem.
 

Es müssen daher andererseits auch technologische Entwicklungspfade offengehalten werden. Denn nach bisherigen Prognosen wird sich im weltweiten Maßstab durch die Zunahme des Pkw-Verkehrs in Entwicklungs- und Schwellenländern, wo E-Mobilität häufig nur eingeschränkt möglich ist, die Zahl der Verbrenner-Pkws nicht reduzieren. Die deutsche Industrie mit ihrem Know-How beim Verbrennermotor könnte daher durch strikte Einsparziele und Vorgaben mit der Produktion von kleineren und effizienteren Verbrennerautos einen wesentlichen Beitrag zur weltweiten Emissionsreduzierung leisten.
Die synthetischen Kraftstoffe, die CO2 direkt aus der Luft entnehmen, das bei der Stromerzeugung entstanden ist, können dabei in der EU einen Beitrag leisten, die Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaschutzabkommen einzuhalten. Sie sind bisher jedoch nicht im erforderlichen Umfang für PKWs vorhanden und insbesondere für den Einsatz im Schiffsverkehr, Flugzeugen und andere Bereichen zu priorisieren. Man könnte das Potential von E-Fuels aus regenerativen Energien in Entwicklungs- und Schwellenländern jedoch womöglich erheblich skalieren. In Chile passiert dies aktuell mit E-Fuels aus Windkraft. Japanische und selbst chinesische Hersteller, die stark auf E-Mobilität gesetzt haben, experimentieren bereits mit E-Fuels bzw. Wasserstoff.
 

Es wäre daher sinnvoller, ausgehend von den Stärken der deutschen Automobilindustrie beim Verbrennermotor für Neuwagen, die bis 2035 noch vom Band rollen, strikte, aber technologieoffene Einsparziele bei Energieeffizienz und Flottengrößen vorzugeben und den Hochlauf der Wasserstoffforschung zu fördern. Dies würde einen Wettbewerb um die besten Technologien initiieren und verschiedene Entwicklungspfade zur Verringerung der Emissionen ermöglichen, bis wir die technologische Entwicklung besser einschätzen können.


Das BSW ist daher für die Klima- und Verkehrswende. Aber wir sind für eine Herangehensweise, die an den spezifischen Voraussetzungen unserer Industrie ansetzt, Übergänge schafft und Konzerne zu Innovationen zwingt, statt Scheinlösungen zu etablieren, die in der Praxis nicht funktionieren werden.
 

Die Debatte über Migration
 

Wir wollen eine gesteuerte Migration. Dies bedeutet Migration, wo dies unter vernünftigen Bedingungen möglich ist, durch eine Verlagerung von Asylverfahren in Drittstatten zu verringern. Dies ermöglicht denjenigen, die sich keine teuren Schlepper leisten können und es häufig gar nicht erst zu uns schaffen, ohne die gefährliche Querung des Mittelmeers ihren Anspruch auf Schutz zu verwirklichen. Menschen ohne Schutzstatus erspart es die gefährliche Flucht.


Die Mittel, die wir in Deutschland für die Dauer des Verfahrens für Menschen ohne Schutzstatus aufwenden, können in Drittstaaten bei der Prüfung von Asylgesuchen eine humane Versorgung gewährleisten. Wer vor politischer Verfolgung flieht, braucht zunächst Schutz und Unterkunft.
Menschen, die politisch verfolgt werden oder im Rahmen von begrenzten humanitären Kontingenten zu uns kommen, sind mit allen notwenigen Angeboten wie Sprachkursen und auch Unterstützung auf dem Arbeitsmarkt gut zu integrieren. Denn diese Menschen müssen häufig länger bei uns bleiben. Und Denjenigen, die bereits gut integriert sind oder einen Arbeitsvertrag in der Tasche haben, dürfen wir (etwa bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen) keine unnötigen Knüppel zwischen die Beine werfen.


Wir müssen jedoch Anreize verringern, dass sehr viele Menschen zu uns kommen, die (aus verständlichen Gründen) eine bessere wirtschaftliche Zukunft suchen und keinen Anspruch auf Asyl oder Schutz haben. Denn die entsprechenden Verfahren dauern lange, die Menschen harren in der Perspektivlosigkeit aus und einer massenhaften Rückführung, wie sie Olaf Scholz vollmundig verspricht, stehen humane und praktische Gründe (Rückführungsabkommen, Minderjährigkeit u.ä.) häufig entgegen.


Wenn diese Menschen über lange Zeiträume bei uns ohne echte Perspektive verharren, nimmt der soziale Druck bei Wohnungen und Schulen zu. Es ist sinnvoller, die wirtschaftliche Entwicklung in den Herkunftsstaaten zu unterstützen und begrenzte Kontingente zu schaffen, die im Einklang mit der Fähigkeit von Kommunen zur Integration stehen und diese nicht überfordern. In Kindergärten lernen Kinder schnell eine neue Sprache. Wenn aber in Schulklassen nur noch eine Minderheit der Kinder Deutsch spricht ist dies ein Problem.


Dies hat auch nichts mit Bio-Deutsch oder Zuwanderungshintergrund zu tun. Auch Menschen, die zum Beispiel als türkischstämmige über mehrere Generationen unser Land mit aufgebaut haben und in Duisburg-Marxloh leben, spüren den Druck. In die wohlsituierten bürgerlichen Viertel findet Zuwanderung hingegen kaum statt.
 

Der Westen hat zudem mit Regime-Change-Kriegen, mit Waffenlieferungen und unfairen Handelsabkommen permanent Fluchtursachen geschaffen. Nicht zufällig kommen immer noch etliche Menschen aus dem Irak oder Syrien zu uns und ist die Situation in Libyen derartig desolat. Und auch wenn das Recht Israels auf Selbstverteidigung gegen den Terror unbestritten ist, bleibt die militärische Gewalt und die Kollektivbestrafung von unschuldigen Zivilisten (mehrheitlich Frauen und Kinder) in Gaza völlig unverhältnismäßig.
 

Wir müssen daher viel mehr tun, um die Situation in Herkunftsländern zu stabilisieren. Es ist doch doppelbödig, einerseits Fluchtursachen zu schaffen, billige Fachkräfte aus dem Ausland abzuwerben und etwa der UN hinreichende finanzielle Mittel für Flüchtlingscamps in Afrika zu verwehren, in denen die Ärmsten ausharren, die hungern, vor Kriegen geflohen sind und es niemals nach Europa schaffen. Auch hier müssen wir einen stärkeren Beitrag leisten, um etwa das Recht von Kindern auf Ernährung und Bildung vor Ort zu verwirklichen.

Enge Meinungskorridore
 

Das BSW will zudem weg von engen Meinungskorridoren, die unsere Gesellschaft immer tiefer spalten. Egal wie man zu den Impfungen in der Corona-Krise steht. Die Debatten über eine Impfpflicht waren fatal, denn es gab doch gar keinen Fremdschutz durch die Impfung. Während der Corona-Krise verging keine Talkshow ohne Herrn Lauterbach. Jetzt ist er Minister, aber die unhaltbaren Zustände, in den auf Rendite getrimmten Krankenhäusern und der Pflege sind immer noch die Gleichen. Unseren Kindern hat man in der Corona-Krise die Schulen geschlossen und I-pads in die Hand gedrückt, statt Ihnen vernünftig Lesen und Rechnen beizubringen. Die Bildungsungleichheit hat massiv zugenommen.
 

Renaissance der Entspannungspolitik Willy Brandts
 

Wir hatten bereits vor der Zeitenwende einen Verteidigungsetat, der der Atommacht Frankreichs entsprach, aber in einem schwarzen Loch versickerte. Ursula von der Leyen bescherte dieser Berater- und Beschaffungsfilz einst auch noch den Job der EU-Kommissionspräsidentin. Sie hat weitergemacht, wo sie aufgehört hat und ihre SMS mit Pharmakonzernen vernichtet, denen sie Milliardenprofite verschaffte.
 

Und während sich in der Ukraine die Leichenberge stapeln, im Gaza-Konflikt die Doppelmoral des Westens vorgeführt wird und eine Außenministerin, die für eine „feministische Außenpolitik“ wirbt, Euro-Fighter an Saudi-Arabien liefert, werden uns die USA den Krieg in der Ukraine schon bald vor die Füße kippen. Wann vertreten wir endlich die Interessen Europas? Europa ist ein Schanier zwischen West und Ost.
 

Mit den Energiesanktionen schaden wir uns selbst viel mehr als Russland, ohne den furchtbaren Krieg damit zu beenden. Und wir importieren schmutziges Fracking-Gas aus den USA, bzw. beziehen russische Energie teurer über Drittstatten. Denn die globale Energienachfrage trifft nun mal auf ein beschränktes Angebot fossiler Energiequellen, das sich nicht kurzfristig substituieren lässt. Gas ist dabei eine wichtige Brücke in das nicht-fossile Zeitalter. Und Russlands Präsident Wladimir Putin bezahlt seine Soldaten und diesen Krieg doch überwiegend in Rubel nicht in Euro aus dem Gasgeschäft.
 

Die Welt befindet sich im Wandel. Eine Mehrheit auf diesem Planeten in Brasilien, Indien, Südafrika oder China tanzt nicht mehr nach der Pfeife Washingtons. Der Krieg Russlands in der Ukraine ist zweifelsfrei ein Verbrechen und reiht sich ein in eine Reihe von Völkerrechtsbrüchen des Westens wie im Irak.
 

Daher brauchen wir endlich Diplomatie. Selbst ukrainische Unterhändler sagen, dass man im März 2022 in Istanbul kurz vor einer Verhandlungslösung stand, aber insbesondere Großbritannien auf eine Fortführung des Krieges drängte. Nun droht der Ukraine noch mehr Verlust an Leben und Territorium, weil ihnen die unversehrten Männer ausgehen. Das ist unverantwortlich.
 

Eine Verhandlungslösung ist nun noch schwerer als vorher, da Putin sich nunmehr im Vorteil wähnt und auf einen Wahlsieg von Donald Trump in den USA setzt. Zunächst bräuchte es daher einen wahrscheinlich brüchigen Waffenstillstand. Die Initiative Chinas, die vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron unterstützt wurde, die sowohl Russland zum Respekt der territorialen Souveränität der Ukraine ermahnte als auch die Ausdehnung von Machtblöcken wie der Nato kritisierte, sollte unsere Unterstützung erfahren.
 

Die Regierung ist eine Katastrophe – aber auch die Opposition
 

Der jüngere Aufstieg der AfD ist die Verantwortung der Ampel-Koalition. Doch auch die Union kann es nicht besser. Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter will den Ukraine-Krieg nun unmittelbar auf dem Territorium der Atommacht Russland austragen und fordert bereits ein Sondervermögen von 300 Milliarden Euro für die Bundeswehr bei Festhalten an der dummen Schuldenbremse für den Rest der Wirtschaft.


Und die AfD, die Lohn- und Rentenkürzungen sowie Privatisierungen befürwortet, ist abgesehen von ihren zweifelhaften bis rechtsextremen Funktionären nicht nur prinzipiell für die deutsche Hochrüstung, sondern unterstützt etwa die völlig unverhältnismäßige Eskalation des Gaza-Krieges. Damit ist die AfD die Parteineuer Fluchtursachen und internationaler Brandherde.


Es ist daher ein Dienst an der Demokratie, dass es mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit endlich eine Alternative zur Politik der Ampel sowie der schlechten Opposition der CDU/CSU und den Ressentiments der AfD gibt. Unser Ziel ist es insbesondere Jenen Wählern, die gar nicht mehr zur Wahl gehen, oder aus Frust für die AfD gestimmt haben, ein seriöses Angebot zu unterbreiten. Doch dazu muss das BSW zunächst in kürzester Zeit die erforderlichen Unterschriften für einen Wahlantritt zur Europawahl sammeln. Ich bin mir jedoch sicher, dass wir diese Hürde bald genommen haben.


Hinweis: Fabio De Masi beendet mit diesem Beitrag für die Dauer des Europawahlkampfes seine Tätigkeit als Kolumnist der Berliner Zeitung