Der Linksverteidiger

Porträt Süddeutsche Zeitung

12.01.2024

Erschienen in der SZ

Fabio De Masi, Ex-Linken-Politiker und selbsternannter "Finanzdetektiv", tritt für die Wagenknecht-Partei BSW als Spitzenkandidat für die Europawahl an. Warum tut er sich das an? 

Fabio De Masi hat eigentlich keine Zeit für das, was da gerade über ihn hereinbricht. Er muss ein Buch schreiben, der Abgabetermin rückt näher, aber jetzt steht sein Telefon nicht mehr still, ring ring ring, pling, pling, pling, so geht das ohne Unterbrechung. Alle wollen irgendwas, er will nur das Buch fertig schreiben, eigentlich. Ob man ihn nicht im März wieder anrufen könne?

Natürlich könnte De Masi jetzt in Ruhe schreiben, hätte er sich nicht zu Wochenbeginn in die Bundespressekonferenz gesetzt. Mit ihm auf dem Podium saß Sahra Wagenknecht, die De Masi als Spitzenkandidaten ihrer neuen Partei Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) für die Europawahlen vorstellte. Seither muss er viele Fragen beantworten. Vor allem die, warum er sich das antut.

Fabio De Masi, 43, kam in Südhessen zur Welt, als Sohn eines italienischen Vaters und einer deutschen Mutter. Sein Werdegang ist eine Abfolge von günstigen Zufällen, zumindest in seiner eigenen Erzählung. Um sich nach seinem VWL-Studium in Hamburg ein Leben in Berlin zu finanzieren, putzte er sonntags morgens die Partyklos in einem Elektro-Club. Dann kam die Linke in den Bundestag und De Masi erhielt einen Job als wissenschaftlicher Mitarbeiter - unter anderem für die Abgeordnete Sahra Wagenknecht, die bald so etwas wie seine politische Ziehmutter wurde. Er wollte nebenbei eigentlich nur ein paar Vorlesungen besuchen - und stand am Ende mit einem Masterabschluss in Internationaler Volkswirtschaftslehre da. Er trat als aussichtsloser Kandidat bei der Europawahl 2014 an - und saß plötzlich im EU-Parlament. Er wurde 2017 in den Bundestag gewählt - und direkt zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Linken befördert. Es hat sich vieles irgendwie so ergeben in seinem Leben.

Aber in De Masi steckt auch ein akribischer Arbeiter. Als EU-Parlamentarier hat er begonnen, sich auf Finanz- und Steuerskandale wie Panama Papers und Lux Leaks zu spezialisieren, nach seinem Wechsel in den Bundestag machte er mit Cum-Ex und Wirecard weiter. Er erwarb sich den Ruf eines Chefaufklärers und wurde einmal sogar von der New York Times zitiert, das hat er selbstverständlich auf seiner Homepage verlinkt.

(...)

Es gehört zur politischen Wahrheit, dass auch die Linken einen wie ihn wieder gut in ihren Reihen brauchen könnten - aber die Partei, sagt De Masi, sei mittlerweile "eine irrelevante politische Kraft". Die Linke habe sich "schmal gemacht", sie bediene nur noch städtische Milieus. "Politik muss aber die Mehrheit der Bevölkerung mitnehmen, um erfolgreich zu sein."

Wie das beim BSW funktionieren soll, wird der Europakandidat De Masi wohl auch auf nationaler Ebene mitbestimmen, vor allem im Bereich von Wirtschafts- und Finanzpolitik. Und auch da zeichnet sich inhaltlich ein Bruch mit seiner ehemaligen Partei ab. Vom bedingungslosen Grundeinkommen etwa hält De Masi nichts: "Damit hat man weniger Geld für jene, die den Sozialstaat wirklich brauchen - und man gibt den Anspruch auf, gute Jobs mit Zukunft zu schaffen."

Er sei für den ökologischen Umbau der Wirtschaft, "aber mit Sinn und Verstand". Die CO2-Preise zu erhöhen, aber gleichzeitig viele Tausend Bahnkilometer abzubauen, nennt De Masi als Beispiel für sinnloses Vorgehen. Auch die E-Mobilität sieht er kritisch, mit Verweis auf den hohen Energieverbrauch eines Elektroautos, wenn man den ganzen Produktionszyklus betrachte. "Es wäre sinnvoller gewesen, der Autoindustrie strenge Einsparziele technologieoffen vorzugeben." Durch das Verbrenner-Verbot würden alte Autos zwar hierzulande irgendwann verschrottet und der Absatz von E-Autos gefördert. Gleichzeitig würden in anderen Ländern ohne Ladeinfrastruktur weiterhin Verbrenner fahren. "Das ist nicht ökologisch, sondern bescheuert."

Mit dieser rhetorischen Hemdsärmeligkeit will De Masi auch auf europäischer Ebene wirken. "Die EU muss nicht Dinge regeln, die die Kommunen besser können. Sie sollte Dinge regeln wie die Mindestbesteuerung von Konzernen, um den Mittelstand vor Amazon und Co. zu schützen." Insgesamt brauche Europa investitionsfreundlichere Regelungen. "Ausgaben, die sinnvolle Investments in die Zukunft sind, dürfen nicht von europäischen Schuldenbremsen verhindert werden. Das bremst das Wachstum, nicht die Schulden." Der EU-Haushalt solle dennoch nicht wachsen, Agrarsubventionen müssten regionalen Bauern stärker zugutekommen als großen Agrarkonzernen.

Zudem will De Masi den Einfluss der großen Internetkonzerne wie Google oder Facebook zurückdrängen. Deren Einfluss "bedroht die Demokratie. Diese Firmen und ihre Algorithmen sind oft Gift für unser Hirn und wählen aus einem Meer an Daten, was wir lesen und denken." De Masi will dem ein schärferes Kartellrecht und eine öffentliche digitale Infrastruktur entgegensetzen.

Bei aller Leidenschaft für komplexe Finanzthemen hat De Masi allerdings durchaus auch seine eigene öffentliche Inszenierung im Blick. Da gibt es zum Beispiel diese hübsche Geschichte, wie er einmal auf dem Fußballpatz mit dem früheren Nationalspieler Sami Khedira verwechselt wurde. Sie sagt auch deshalb einiges über ihn aus, weil er sie gerne erzählt: De Masi ist erstens nicht uneitel, aber zweitens auch einer, dem die Leute offenbar einiges zutrauen.

Manchmal wird er mit Sami Khedira verwechselt

Damals war er noch finanzpolitischer Sprecher der Linksfraktion und Linksverteidiger beim FC Bundestag. Die fußballspielenden Parlamentarier betreiben ihren Sport mit dem gebotenen Ernst und treten auch deshalb stets in den offiziellen Trikots der Nationalelf an. Als nach einem der Spiele einmal ein junger Zuschauer auf De Masi zukam und im Glauben, es handle sich um Khedira, um ein Autogramm bat, fühlte sich der Hobbykicker De Masi jedenfalls geschmeichelt - er hat dann seinen Klarnamen möglichst unleserlich hingekritzelt.

Den Leuten zu geben, was sie haben wollen, dieses Motiv findet man auch, wenn De Masi über Migrationspolitik spricht. "Man muss Probleme offen benennen, etwa bei der Situation der Kommunen, die am Limit ihrer Fähigkeiten bei der Integration sind", sagt er. Ressentiments, wie sie die AfD schüre, seien inakzeptabel und lösten keine Probleme. Aber eine Politik, wie sie die Linken machen wollten, helfe eben auch nicht. "Bei der Linken gab es keine Kultur mehr, an Lösungen zu arbeiten, sondern Politik wurde nur noch über weltfremde Haltungen gemacht."

Ob es nicht trotzdem ein Risiko ist, sich nun einer Partei anzuschließen, deren politische Ausrichtung noch so vage ist wie die des BSW? De Masi bemüht noch einmal den Fußball, einen Spruch von Andy Möller: Er habe, sagt er, "vom Feeling her ein gutes Gefühl".

 

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