Olaf Scholz hat etwas zu verbergen

Interview Cicero

30.08.2023

Erschienen bei Cicero

Olaf Scholz hat etwas zu verbergen“

Der Cum-Ex-Skandal um kriminelle Steuertricks lässt Olaf Scholz nicht los. Ex-Linken-Politiker Fabio De Masi wirft dem Bundeskanzler vor, im Hamburger Untersuchungsausschuss gelogen zu haben – und hat deshalb Strafanzeige gestellt. 

 

Fabio De Masi saß von 2017 bis 2021 für Die Linke im Bundestag und machte sich mit seiner energischen Aufklärung des Cum-Ex-Skandals um systematischen Steuerbetrug durch trickreiche Aktiengeschäfte einen Namen. Die Hamburger Warburg-Bank ist in diesen Skandal verwickelt. Welche Rolle Olaf Scholz als damaliger Erster Bürgermeister gespielt hat, ist noch nicht vollständig aufgeklärt.

 

Herr De Masi, Sie haben eine Strafanzeige gegen Olaf Scholz gestellt. Was werfen Sie ihm vor? 

 

Der Bundeskanzler hat vor einem Untersuchungsausschuss der Hamburger Bürgerschaft behauptet, sich an keines seiner heiß diskutierten Treffen mit Warburg-Bankiers zu erinnern. Er hat interessanterweise aber im Frühjahr 2020, als er mit Tagebuchaufzeichnungen des Bankiers Christian Olearius konfrontiert wurde, einen Termin unter Berufung auf seinen Kalender bestätigen lassen, der gar nicht mehr in seinem Kalender stand. Dass sich der Termin nicht mehr in seinem Kalender befand, hat Scholz selbst im Untersuchungsausschuss gesagt und wurde von seiner Büroleiterin auch in einer internen E-Mail bestätigt.

 

Da stellt sich mir die ganz simple Frage: Wie kann ich ohne Erinnerung einen Termin bestätigen, der nicht mehr in meinem Kalender steht? Damit hätte denk- und sachlogisch Olaf Scholz den Hamburger Untersuchungsausschuss über seine Erinnerungslücken belogen. Und das ist nach der deutschen Gesetzgebung eine Straftat. Zudem hat er offensichtlich über seinen Regierungssprecher in der Öffentlichkeit einen Kalendereintrag vorgetäuscht und weitere unwahre Angaben verbreiten lassen. 

 

Lassen Sie uns das auseinanderdröseln, damit man Ihren Punkt versteht. Scholz’ Aussage vor dem Untersuchungsausschuss war 2021, das Treffen mit Olearius im November 2017. 

 

Olaf Scholz hatte drei Treffen mit den Warburg-Bankiers zu ihrem Steuerverfahren. Zwei Treffen fanden 2016 statt, ein Treffen war am 10. November 2017. Entscheidend ist: Scholz hat im Untersuchungsausschuss behauptet, sich an keines der drei Treffen, die er mit den Warburg-Bankiers hatte, zu erinnern. Und zwar weder an den Verlauf dieser Treffen, noch daran, dass sie überhaupt stattgefunden haben. 

 

 Das hat er gesagt, als die Treffen wegen dieses Tagebuchs bekannt geworden waren. Richtig?

 

Richtig. Er hat im Februar 2020 zunächst eines der drei Treffen, das letzte in 2017, bestätigt, als er mit einer Tagebuchaufzeichnung des Warburg-Bankiers Christian Olearius dazu konfrontiert wurde. Die vermeintliche Erinnerungslücke hat er aber erst behauptet, als er im September 2020 mit den zwei weiteren Treffen im Jahr 2016 konfrontiert wurde, die auch in den Tagebüchern standen. Diese hatte er zuvor im Bundestag, unter anderem auf meine Nachfrage hin, nicht eingeräumt. Und dann hat er das Nichteinräumen dieser Treffen mit Erinnerungslücken begründet. Aber er hat die Erinnerungslücken ab dann auf alle drei Treffen bezogen. Die Erinnerungslücken waren schon immer unplausibel.

 

Und nun kommt die Sache mit dem Kalender hinzu.

 

Jetzt kommt hinzu, dass er das zuerst bekannt gewordene Treffen damals unter Berufung auf einen Kalendereintrag bestätigt hatte, dieser Kalendereintrag aber gar nicht existierte. Wenn Scholz die Öffentlichkeit über einen Kalendereintrag belügt, ist das nicht strafrechtlich relevant. Aber wenn er im Untersuchungsausschuss sagt, er habe keine Erinnerung, dann ist das ein Widerspruch. Denn ich kann einen Termin, der nicht mehr im Kalender steht, nur bestätigen, wenn ich mich daran erinnere. Wäre ich Mitglied in diesem Untersuchungsausschuss, hätte ich Scholz diese Frage längst gestellt. Wie kann er denn einen Termin bestätigen, der nicht in seinem Kalender steht, wenn er sich nicht erinnert?

 

Vermuten Sie, dass dieser Termin gar nicht erst eingetragen wurde, weil Scholz schon damals wusste, dass es ein brisantes Treffen sein könnte? 

 

Da kann ich nur spekulieren. Die Kölner Ermittler vermuteten, eine Löschung habe stattgefunden. Scholz hat selbst behauptet, der Termin sei aufgrund eines technischen Übertragungsfehlers im März 2018 bei seinem Wechsel aus dem Hamburger Rathaus ins Bundesfinanzministerium nicht überspielt worden. Wenn er dann aber im Februar 2020 über seinen Sprecher Steffen Hebenstreit verbreiten lässt, er könne eines der Treffen im Jahr 2017 auf Grundlage seines Kalenders bestätigen, dann entspricht das offenbar nicht der Wahrheit. Zumal seine Büroleiterin später in einer internen E-Mail sagt, dass der Termin noch nie in seinem Kalender gestanden habe. Warum der dann nicht drin stand, ist erst mal völlig unerheblich. Entscheidend ist: Wenn ich einen Termin bestätige, über den ich keine Aufzeichnungen mehr führe, dann muss ich mich ja daran erinnert haben. Die einzigen drei Teilnehmer des Treffens waren Herr Scholz selbst und die Herren Warburg und Olearius. Zu den beiden will er ja keinen Kontakt mehr gehabt haben. Insofern kann er die einzige Person gewesen sein, die diesen Termin bestätigt hat.

 

Was ist jetzt der neue Beweis dafür, dass es diesen Eintrag nicht gab? 

 

Den Beweis, dass es den Kalendereintrag nicht gab, gibt es schon länger. Darüber haben etwa die Journalisten Oliver Schröm und Oliver Hollenstein in ihrem Buch „Die Akte Scholz“ im Herbst 2022 berichtet und auch das Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Das  ist nur untergegangen in der Fülle an Informationen und der Verwirrung, die in der Warburg-Affäre gestiftet wurde. Im Frühjahr 2021 hat die Büroleiterin von Olaf Scholz angegeben, dass dieser Kalendereintrag von 2017 nicht überspielt wurde. Scholz hatte das auch bereits im Finanzausschuss des Bundestages erwähnt. Und gegenüber dem Untersuchungsausschuss der Hamburger Bürgerschaft wurde dann eingeräumt, dass der Termin da nicht mehr drin steht. Da gab es beim Überspielen einen Fehler.

 

Nun konnte ich noch einmal in Akten, die im Prinzip schon vorlagen, die aber nie jemand kombiniert hatte, die letzte Hintertür für Scholz schließen. Denn theoretisch hätte er diesen Termin auch dadurch bestätigen können, dass der Hamburger Senat den Kalender noch hatte. Ich bin dann aber auf Akten gestoßen, in denen der Hamburger Senat ausführte, dass sie seit dem Wechsel von Scholz ins Finanzministerium in 2018 über den Kalender nicht mehr verfügten. Der Termin konnte also nur durch Scholz selbst und durch dessen Erinnerung bestätigt werden. Dadurch ist jetzt auch klar, dass Scholz’ Sprecher, der aktuelle Regierungssprecher Steffen Hebestreit, in zwei weiteren Aspekten in Absprache mit Scholz die Unwahrheit verbreitet hat. 

 

Welche weiteren Aspekte sind das?

 

Bereits im Jahr 2019 hatte die Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft nach Treffen zwischen Scholz und den Warburg-Bankiers fragen lassen. Da der Kalender damals in Hamburg nicht mehr vorlag, hat sich mir sofort die Frage gestellt, wie der Senat dann die Anfrage überhaupt beantworten konnte. Die Linksfraktion hat dies dann auf meine Anregung hin noch einmal beim Senat abgefragt. Und siehe da: Der Senat musste einräumen, dass er Scholz beziehungsweise das Finanzministerium 2019 im Zuge der Beantwortung der Anfrage kontaktiert hatte, um Treffen mit den Warburg-Bankiers abzufragen. Scholz hat aber geschwiegen und nicht geantwortet.

 

Daher war das Statement von Scholz’ Sprecher im Februar 2020 eine dreifache Unwahrheit: Er hat nämlich verbreitet, dass man keine Kenntnis darüber habe, warum Treffen mit den Warburg-Bankiers vom Hamburger Senat nicht eingeräumt wurden. Das Treffen 2017 sei einem Kalendereintrag zu entnehmen, der auch in Hamburg vorliegen müsste. Erstens, den Kalendereintrag gab es nicht. Zweitens, der Kalender lag seit dem Überspielen des Datenträgers nicht mehr in Hamburg vor und Scholz Leute wussten das. Deswegen hat der Senat Treffen bei Scholz 2019 im Finanzministerium abgefragt. Drittens, man hatte sehr wohl Kenntnis, warum der Senat unzutreffend geantwortet hat. Weil Scholz auf die Anfrage nicht reagierte und die Treffen immer so lange verschwieg, bis man ihn mit Beweisen konfrontierte. Und selbst bei diesem Statement von Hebestreit im Februar 2020 räumte man dann nur eines von drei Treffen ein, für das ein Beleg existierte.

 

Scholz behauptete dann im September nach der Enthüllung der weiteren Treffen, erst jetzt den Kalender überprüft zu haben, obwohl es zuvor eine schriftliche Anfrage der Hamburger Bürgerschaft beziehungsweise des Senats und eine Mega-Welle im Hamburger Bürgerschaftswahlkampf gegeben hatte sowie bereits zwei Befragungen dazu im Bundestag, in denen nach weiteren Treffen gefragt wurde. Wer der Öffentlichkeit aber nachweisbar die Unwahrheit sagt, hat etwas viel Schlimmeres als diese Treffen zu verbergen. Die Indizienkette für seine Einflussnahme auf ein Steuerverfahren zugunsten von Wirtschaftskriminellen ist sehr dicht. 

 

Wie geht es jetzt weiter? Wenn man sich anschaut, wie zurückhaltend die Hamburger Staatsanwaltschaft im Cum-Ex-Skandal war, ist nicht damit zu rechnen, dass sie jetzt Ermittlungen gegen den Bundeskanzler aufnimmt. 

 

Die Hamburger Staatsanwaltschaft hat sich in der ganzen Affäre bisher nie mit Ruhm bekleckert und ist in der gesamten Republik dafür verschrien, dass sie hier immer nur den Deckel drauf gehalten hat. Es waren die Kölner Ermittler, die die Sache vorantreiben mussten. Allerdings will ich natürlich auch die Staatsanwaltschaft dazu zwingen, dass sie sich mit diesen ganz klaren, eklatanten Widersprüchen beschäftigt, die Scholz in jeder Gerichtsverhandlung um die Ohren fliegen würden.

 

Einen neuen Cum-Ex-Untersuchungsausschuss im Bundestag könnten diese Widersprüche auch noch beschäftigen. 

 

Ja, aber dieser Ausschuss ist noch nicht eingesetzt. Er wird durch die Ampelkoalition blockiert. Die Union will jetzt vor das Verfassungsgericht ziehen, um ihn durchzusetzen. Ich begrüße einen solchen Untersuchungsausschuss. Es gibt sicherlich wichtigere Dinge als die Warburg-Affäre. Aber es geht hier eben um einen eklatanten Rechtsbruch durch den Bundeskanzler. Wenn der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland einem Untersuchungsausschuss in Hamburg die Unwahrheit sagt und den Bundestag täuscht, dann ist das eine Straftat, und dann können wir nicht einfach darüber hinweggehen. Die Union wäre allerdings glaubwürdiger, wenn sie bei der Einrichtung des Untersuchungsausschusses die Cum-Cum-Geschäfte mit einbezogen hätte, um auf die Rolle von Wolfgang Schäuble zu blicken. So sieht das natürlich immer nach parteitaktischen Spielchen aus. Ich gehöre keiner Partei mehr an, ich tue das einfach, weil ich glaube, dass wir unsere rechtsstaatlichen Institutionen schützen müssen, und zwar unabhängig vom Ansehen oder dem Amt der Person. 

 

Vermutlich kommt bei Ihnen hinzu, dass Sie sich schon sehr lange und intensiv mit diesem Skandal beschäftigen und sich aus einem Gerechtigkeitsempfinden heraus wünschen, dass es irgendwann Konsequenzen geben muss. 

 

Ja, sagen wir es so: Ich bringe die Dinge, die ich anfange, gerne zu Ende. Und ich war damals auch Bundestagsabgeordneter für Hamburg und habe diese ganzen Befragungen, bei denen sich Scholz in den Widersprüchen verwickelt hat, angeleiert. Ich war auch derjenige, der bereits am 4. März 2020 nach weiteren Treffen mit Herrn Olearius gefragt hat. Es geht um den möglichen Einfluss von Olaf Scholz, der mithin auch strafbar wäre, auf das damalige Steuerverfahren. Die Warburg-Bank wollte abwenden, dass Tatbeute aus kriminellen Cum-Ex-Geschäften eingezogen wurde. Und tatsächlich ist dann auch ein erheblicher Teil der Beute erst einmal in die steuerliche Verjährung gelaufen, bevor das Finanzministerium unter Wolfgang Schäuble damals einschritt. Wie ein Erster Bürgermeister sich hier in ein laufendes Verfahren einmischt, ist natürlich erheblich schwerer nachzuweisen. Denn Olaf Scholz hat das natürlich nirgendwo aufgeschrieben. Aber es gibt eine sehr enge Indizienkette. Und allein dadurch, dass Scholz über sein Erinnerungsvermögen lügt, zeigt: Er hat etwas zu verbergen.