Warum wir den digitalen Euro gerade jetzt dringender denn je brauchen

Ein Gastbeitrag von Danyal Bayaz und Fabio De Masi in der Wirtschaftswoche

12.05.2020

Der Artikel erschien zuerst hier auf WiWo.de.

Die Macht der Technologiekonzerne wächst in der Coronakrise. Wenn wir nicht wollen, dass Apple und Google bald auch den Finanzmarkt kontrollieren, müssen wir unsere Bedenken gegen eine eigene E-Währung überwinden.

Wie kein Ereignis zuvor befördert die Coronapandemie digitale Geschäftsmodelle. Technologiegiganten wie Amazon oder Alibaba gewinnen rasch Marktanteile und rollen nebenbei den Finanzmarkt auf, weil sie traditionelle Banken beim schnellen und einfachen Bezahlen im Internet oder per Smartphone abhängen. Ihre wachsende Marktmacht kann sie zu großen, also bedrohlichen, Schattenbanken machen.

Auch Facebook will mit der Konzernwährung Libra Finanzmacht werden. Versprochen wird eine 'finanzielle Infrastruktur für Milliarden von Menschen'. Libra könnte jedoch das Finanzsystem in die Knie zwingen. Denn es gibt keine Einlagensicherung oder Zentralbank, die bei Panik unbegrenzt Libra schafft. Facebook könnte auch selbst Kredite schöpfen, wenn etwa die strenge Kopplung an eine offizielle Währung aufgegeben wird. Wenn Geld unbegrenzt von privaten Akteuren geschaffen wird, um Profite zu erzielen, mündet dies immer wieder in Finanzkrisen.

Ob und wie das Libra-Projekt realisiert wird, ist immer noch ungewiss. Der Widerstand von Zentralbanken, Finanzaufsicht und Finanzministern war enorm und gut begründet. Nun startet Libra einen neuen Anlauf: als E-Geld mit einem festen Kurs zu unterschiedlichen Währungen wie dem Euro. Davon verspricht sich Facebook eine leichtere Zulassung durch Aufsichtsbehörden.

Damit sind die Gefahren aber nicht gebannt. Große Technologiekonzerne profitieren von Vorteilen gegenüber Banken und Start-ups, weil sie durch Milliarden Kunden, eine exzellente digitale Infrastruktur und ein Ökosystem an etablierten Anwendungen wie Apple Pay über enorme Wettbewerbs- und Größenvorteile verfügen. Damit sind sie Megaplayer, mit denen weder eine regionale Sparkasse noch eine große Universalbank mithalten kann.

Allein deshalb wäre ein Verbot von Libra & Co sinnvoll. Verbote alleine reichen aber nicht: Die Nachfrage nach digitalen Finanzlösungen ist enorm, weil sie praktisch, einfach und schnell sind. Auch ersetzen Verbote keinen innovativen Staat.

Was also tun? Wir brauchen ein digitales Bargeld, mit dem das analoge zwar nicht ersetzt, aber doch ergänzt wird.

Natürlich müssen wir das Bargeld schützen. Denn im Unterschied zu bilanzierten Euro der Banken, die diese per Knopfdruck schaffen, ist es von der Zentralbank garantiert und schützt vor umfassender Überwachung. Die Bundesbank sieht in Bargeld 'geprägte Freiheit'. Das stimmt. Aber wenn Apple, Google und andere über Smartphones Zahlungen an der Supermarktkasse anbieten, muss diese Freiheit nicht allein über Bargeld gesichert werden. Denn dessen wesentliche Eigenschaft ist ja nicht, dass es aus Scheinen oder Münzen besteht, sondern dass es ein von der Zentralbank garantiertes Zahlungsmittel ist und keine Datenspur hinterlässt.

Wenn es um Experimente mit digitalem Zentralbankgeld geht, sind in Europa die schwedische und die estnische Zentralbank an der technologischen Front. Das wird aber nicht reichen, um Europas Daten- und Finanzsouveränität zu sichern. Die Eurozone braucht eine staatliche E-Währung, die sowohl der Kreditschöpfung von Banken als auch der Überwachung durch Datenkonzerne entzogen ist.

Ein E-Euro sollte auf einer staatlich abgesicherten Infrastruktur basieren. Private Firmen könnten darauf Produkte und Apps aufbauen. Dabei müssen europäische Standards bei Datenschutz und Finanzmarktregulierung gelten. Bürger und Unternehmen sollten wie Geschäftsbanken Guthaben bei der Europäischen Zentralbank (EZB) führen dürfen, die nicht verzinst werden, von der Notenbank aber garantiert sind. Die Bundesbank wiederum fürchtet, dass Konten für alle bei der EZB zum digitalen Bankrun führen, bei dem die Bürger ihre Ersparnisse von den Hausbanken abziehen. Denn bei der EZB ist es zu 100 Prozent garantiert, da sie nicht pleitegehen kann. Die EZB wiederum sorgt sich, dass sie zur Hausbank für jedermann mutiert, die auch das Kreditgeschäft erledigen muss.

So plausibel die Argumente klingen, sie überzeugen vor allem aus drei Gründen nicht. Erstens sind die Einlagen bei den Banken im Unterschied zu den Bürgerkonten bei der EZB verzinst, also attraktiver. Auch könnte es Obergrenzen für Guthaben bei der EZB geben. Zweitens kritisiert die Bundesbank immer wieder zu wenig Marktdisziplin und Wettbewerb in Europa. Der digitale Euro könnte jedoch zu einem Wettstreit um Vertrauen und solide Geschäftsmodelle führen. Drittens refinanzieren sich die Banken des Euro-Raums bereits erheblich über Schuldverschreibungen, Giroeinlagen machen nur etwa 20 Prozent der Passivseite ihrer Bilanz aus.

Und dennoch: Mit einem digitalen Euro betreten wir Neuland. Aber einen anderen plausiblen Weg gibt es nicht: Wer nicht auf den Datenkapitalismus des Silicon Valley und den Staatskapitalismus Chinas vertrauen will, muss auf Innovationen 'made in Europe' setzen! Das galt zwar bereits vor der Coronakrise, wäre aber gerade jetzt ein besonders wichtiges Signal des Aufbruchs.