DW: Corona in der EU – Nation gegen Gemeinschaft?

In der Corona-Krise preschen die Mitgliedstaaten der EU mit Einzelmaßnahmen vor. Koordination sieht anders aus. Die EU-Kommission ist eher Getriebene als Gestalterin. Eine Presseschau mit Fabio De Masi

20.03.2020

Deutsche Welle: Corona in der EU – Nation gegen Gemeinschaft?

"Freies Reisen ohne Grenzkontrollen durch den gesamten Schengen-Raum, ein freier Warenaustausch, Arbeitsmöglichkeiten in der gesamten EU – der Binnenmarkt macht's möglich. Oder besser gesagt: machte. Denn der Binnenmarkt ist nicht mehr. Zwar sieht auch die EU die Möglichkeit vor, dass in streng definierten Ausnahmesituationen Grenzen zwischen den Mitgliedsstaaten wieder kontrolliert werden dürfen. Aber das muss dann einheitlich und abgestimmt geschehen. 

Mit dem schnellen Ausbreiten der Corona-Epidemie ist sich jeder Staat selbst der nächste. Einzelne Regierungen haben im Alleingang Grenzkontrollen wieder eingeführt. Andere, wie die polnische, haben ihre Grenzen gleich ganz geschlossen. Wieder andere haben Reiseverbote erlassen oder die Ausfuhr medizinischer Güter begrenzt. (...)

Auf dem Höhepunkt der Eurokrise sahen viele die EZB-Politik kritisch. Das wiederholt sich heute. Markus Ferber, Finanzfachmann der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, warnt: "Selbst das größte Anleihekaufprogramm kann keine zerbrochenen Lieferketten reparieren. Die EZB darf nicht die Schwelle zur monetären Staatsfinanzierung überschreiten." Vor allem müsse das Programm beendet werden, sobald sich die Wirtschaft erhole.

Ganz anders sieht es Fabio De Masi. Dem stellvertretenden Vorsitzenden der Links-Fraktion reichen die Anleihekäufe der EZB nicht aus. Er fordert "eine gemeinsame Corona-Anleihe, um eine erneute Euro-Krise abzuwenden". Die EU-Kommission kündigte unterdessen an, wegen der Corona-Krise in einem nie dagewesenen Schritt die europäischen Regeln für Haushaltsdefizite der Mitgliedstaaten bis auf Weiteres auszusetzen. Erstmalig aktiviere die Behörde "die allgemeine Ausweichklausel" im EU-Stabilitätspakt, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. "Der Schritt bedeutet, dass nationale Regierungen so viel Liquidität wie nötig in die Wirtschaft pumpen können". Zustimmen müssen noch Europas Finanzminister. Sie tagen am Montag. 

Nach den Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes dürfen die EU-Staaten keine Neuverschuldung von mehr als drei Prozent der Wirtschaftsleistung ihres Landes zulassen. Ansonsten kann Brüssel ein Defizitverfahren einleiten und gegebenenfalls auch empfindliche Strafen verhängen. Die Gesamtverschuldung sollte zudem nicht höher als 60 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen. 

Wegen der Corona-Krise hatte die Kommission schon vergangene Woche beschlossen, dass sie eine Klausel im Stabilitätspakt für außergewöhnliche Umstände wie Naturkatastrophen nutzt. Diese erlaubt Flexibilität bei der Prüfung der Defizite der Mitgliedstaaten. Angesichts der Ausmaße der Corona-Krise reicht dies aber absehbar nicht aus. Die Kommission hatte deshalb schon vor einer Woche angekündigt, sie sei bereit weiter zu gehen, "um eine allgemeinere Unterstützung der Haushaltspolitik zu ermöglichen", wenn es zu einem "schweren Wirtschaftsabschwung komme". Dann könnten Haushaltsvorgaben "insgesamt ausgesetzt" werden."