Tagesspiegel-Kolumne: E-Geld für alle!

Nicht private Unternehmen, sondern Zentralbanken sind gefordert, ein zukunftsfestes gesetzliches Zahlungsmittel für das digitale Zeitalter zu etablieren.

08.11.2018

Tagesspiegel Causa: E-Geld für alle!

Der Euro ist auch zehn Jahre nach der Finanzkrise nicht krisenfest. Die Ungleichgewichte im internationalen Handel sind weiterhin enorm, und die Welt schlittert in einen Handelskrieg. Doch eine neue Herausforderung für unser Finanzsystem wird in Deutschland bisher kaum diskutiert: die Digitalisierung der Wirtschaft.

FinTech-Unternehmen setzen Banken durch neue Technologien des bargeldlosen Zahlungsverkehrs unter Druck. Dies drückt die Gewinnmargen von Kreditinstituten und verstärkt somit die gefährliche Konzentration im Bankensektor. Darüber hinaus haben sich Krypto-Tokens wie der Bitcoin etabliert, die sich der staatlichen Regulierung entziehen.

Die Bargeldnutzung ist stark rückläufig. Bereits heute beträgt der Anteil des Bargelds an den gesamten Ausgaben der privaten Haushalte in Deutschland nur noch etwa 18 Prozent. Länder wie Schweden oder Estland sind auf dem Weg zur bargeldlosen Wirtschaft. Die schwedische Riksbank oder die estnische Zentralbank prüfen daher die Ausgabe von digitalem Zentralbankgeld und erforschen entsprechende Technologien. Tatsächlich birgt die Verdrängung des Bargelds enorme Risiken: Ohne Konkurrenz durch staatliches Bargeld könnten monopolistische Finanzdienstleister versuchen, ihre Rendite über exzessive Gebührenerhöhungen zu steigern. Im Extremfall einer gänzlichen Abschaffung des Bargelds wären sogar Negativzinsen auf Konten der Massenkunden denkbar. Zudem hinterlassen wir beim bargeldlosen Bezahlen elektronische Datenspuren, die für die Anbieter und das kontoführende Kreditinstitut jederzeit nachvollziehbar sind. 

Krypto-Token, die wie Bitcoin anonyme Transaktionen ermöglichen, sind jedoch keine Alternative zu staatlichen Währungen. Sie erfüllen zentrale Funktionen von Geld, wie Wertstabilität und niedrige Transaktionskosten, nicht. Als private Währungen sind sie vielmehr Spekulationsobjekte. Bitcoins werden durch die Teilnehmer über dezentrale Rechner bei enormen Stromverbrauch privat geschöpft (mining). Aufgrund des begrenzten Angebots sind sie ebenso anfällig für extreme Kurschwankungen wie niederländische Tulpen im 16. Jahrhundert.

Zentralbanken sind daher gefordert, ein zukunftsfestes gesetzliches Zahlungsmittel für das digitale Zeitalter zu etablieren. Die einfachste Variante wäre ein Zentralbankkonto für alle, das es Bürgerinnen und Bürgern analog zu Kreditinstituten ermöglicht, Guthaben bei der Zentralbank zu halten. Die Einlagen des Publikums bei der Zentralbank (digitales Bargeld bzw. E-Euro) wären wie Bargeld staatlich garantiert und im Unterschied zum „privaten“ Giralgeld der Banken sicheres Geld. Dagegen sprechen weder technische noch rechtliche Gründe. Das Bundesbankgesetz erlaubt der Notenbank gewisse „Geschäfte mit jedermann“ (§22 BbankG), darunter die Annahme von „Giroeinlagen und anderen Einlagen“ (§ 19 (2) BbankG).

Ein Zentralbankkonto für Privatkunden würde das bestehende Target2-System nutzen, das eine Zahlungsabwicklung fast in Echtzeit ermöglicht, bräuchte also keine neue Infrastruktur. Die Möglichkeit für alle Bürgerinnen und Bürger bei der Zentralbank ein Konto zu führen, könnte aber weitreichende Auswirkungen auf das Finanzsystem und die Geldpolitik haben.

Die Einführung eines E-Euros würde keinesfalls bedeuten, dass die Zentralbank die herkömmlichen Aufgaben der Geschäftsbanken wie die Kreditvergabe übernehmen muss. Geschäftsbanken würden weiter Kundeneinlagen einwerben. Diese müssten allerdings höher verzinst werden als Einlagen bei der Zentralbank, da sie mangels staatlicher Garantie riskanter wären. Die Bundesbank wendet gegen einen digitalen Euro ein, dass die Möglichkeit für Kundinnen und Kunden ihre Gelder auf ein sicheres Zentralbankkonto zu übertragen, einen digitalen Bank Run auslösen würde. Dies würde private Kreditinstitute jedoch zu risikoärmeren Geschäftsmodellen zwingen.

Elektronisches Bargeld für alle hätte den Vorteil, dass Transaktionen nicht mehr für Kreditinstitute sichtbar wären. Diese wären aber für die Zentralbank selbst und somit für eine staatliche Institution nachvollziehbar. Anders als mit Bargeld wären somit also keine anonymen Zahlungen möglich. Im Rahmen der Geldwäschebekämpfung  (z.B. Terrorfinanzierung oder der organisierten Kriminalität) ist Anonymität auch nicht unbegrenzt wünschenswert. Jedoch sollten anonyme Transaktionen zum Schutz der Privatsphäre bis zu einem gewissen Schwellenwert weiter möglich sein. Von der Zentralbank ausgegebene Krypto-Tokens, die anonym übertragen werden können, könnten diese Funktion von Bargeld im digitalen Zeitalter erfüllen.

Es gibt jedoch auch schlechte Motive für digitales Zentralbankgeld: Denn führende Zentralbanker plädieren auf internationaler Ebene auch deshalb für eine Abschaffung des Bargelds, weil die Geldpolitik in einem wirtschaftspolitischen Umfeld von hoher sozialer Ungleichheit und staatlicher Kürzungspolitik zunehmend kastriert wurde. Denn billiges Geld landet bei schwachen Investitionen und Konsum nicht in der realen Wirtschaft sondern schafft neue Finanzblasen.

Die Abschaffung des Bargelds jedoch böte die Möglichkeit, negative Zinsen nicht nur auf Einlagen der Banken sondern die der Bürger zu erheben. Denn niemand könnte sich negativen Zinsen durch Abhebung und Horten von Bargeld unter dem Kopfkissen entziehen. Die privaten Haushalte wären dann zum Konsum verdammt, da ihr Geld auf dem Konto täglich an Wert verlöre. Dies verliehe Zentralbanken die Macht, die Wirtschaft auch bei einer noch ungleicheren Verteilung zu steuern.

Negativzinsen für Jedermann würden jedoch das Vertrauen in Geld untergraben. Ein digitaler Euro ist daher nur sinnvoll, wenn das Geld der Bürger vor solchen Experimenten der Zentralbanken wirklich sicher wäre, Bargeld weiterhin zur Verfügung stünde und die Einlagen der Bürger bei der Zentralbank gesetzlich geschützt wären.

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