Berliner Zeitung: Interview zur Finanzkrise

Der Abgeordnete Fabio De Masi verlässt das Europaparlament und tritt als Spitzenkandidat der Hamburger Linken zur Bundestagswahl an.

29.08.2017
EU am Abgrund? Wohin steuert die EU zwischen Brexit, CETA, Euro- und Flüchtlingskrise? U.a. mit Fabio de Masi und Sahra Wagenknecht im Museum der Arbeit

Interview in der Berliner Zeitung: Politik macht auf Dauer krank

Der Abgeordnete Fabio De Masi verlässt das Europaparlament und tritt als Spitzenkandidat der Hamburger Linken zur Bundestagswahl an. Im EU-Parlament war er Mitglied im Sonderausschuss zu den Luxemburg-Leaks zur Steuervermeidung und stellvertretender Vorsitzender des Untersuchungsausschuss um den Skandal zu den Panama-Papers. Im Gespräch mit der Berliner Zeitung erklärt er, warum er den Neoliberalismus trotz weltweiter Konzentrationsprozesse für gescheitert hält und warum Sarah Wagenknecht nicht mit der SPD kann.

 

Herr De Masi, warum verlassen Sie das Europaparlament und kandidieren für den Bundestag?

In Brüssel hat Deutschland die Hosen an. Wenn man die europäische Idee retten will, muss man Deutschland verändern.

Eigentlich heißt es, die Musik spielt in Brüssel.

Aber getanzt wird nach Merkels Pfeife. Das EU Parlament kann Gesetze nicht selbst auf den Weg bringen. Wir haben kein Initiativrecht. Wir können nur Gesetze der Kommission abändern. Dann müssen wir uns mit den EU-Mitgliedsstaaten einigen. Da spielt Deutschland die erste Geige.

In Deutschland hat Sahra Wagenknecht die Brücken in die Luft gejagt, die zur SPD führen könnten. Will die Linke nur Opposition?

Sahra Wagenknecht sagt seit Jahren, die SPD könne sofort den Kanzler stellen, wenn sie in die Infrastruktur investiert, wieder Ordnung auf dem Arbeitsmarkt herstellt, Millionenvermögen besteuert und Deutschland auf eine Entspannungspolitik in der Tradition Willy Brandts verpflichtet. Die Wahl gewinnen müssen die Sozialdemokraten aber schon selbst. Wir können nichts dafür, dass Martin Schulz trotz Bart nicht Jeremy Corbyn ist. Wenn es aber keine Mehrheiten gibt und kein erkennbares sozialdemokratisches Programm, finde ich die Debatte langweilig. Es gab in den letzten vier Jahren eine rot-rot-grüne Mehrheit im Bundestag. Bei der Ehe für Alle wurde sie zu Recht genutzt – warum nicht beim Verbot der sachgrundlosen Befristungen oder für mehr Steuergerechtigkeit ?

Wäre es angesichts des Rechtsdrucks und der europäische Zerfallstendenzen eine Annäherung nicht zwingend?

Ja, aber doch nicht damit wir die Fehler von Rot-Grün mit der Agenda 2010 und Kriegseinsätzen der Bundeswehr wiederholen. Das stärkt die Rechte. Alle haben etwa nach der Wahl in Frankreich gesagt, als gute Europäer müssen wir wegen Le Pen Macron die Treue schwören. Macron ist vielleicht gut für große Banken und Konzerne , weil er Löhne und Renten kürzt und die Finanztransaktionssteuer verhindert.  Die Sozialdemokratie in Frankreich ist aber nur noch eine Splitterpartei. Und Macron ist bereits unbeliebter als Hollande zu Beginn seiner Amtszeit. Die SPD muss also entscheiden ob sie weiter Ihr eigenes Grab schaufeln oder auch mal wieder gewinnen will.

Nach der Finanzkrise wäre die Chance gewesen, eine Alternative zum Neoliberalismus zu entwickeln. Stattdessen steigen Einfluss, Konzentration und Dominanz kapitalkräftiger Interessensgruppen. Wieso?

Der Neoliberalismus ist zwar in der Krise. Er schafft keine Stabilität mehr – das sieht man auch im Parteiensystem. Aber Konservative und Sozialdemokraten haben die Politik selbst entmachtet. Als Ex Bundesbankchef Tietmeyer einst auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos den Staatenlenkern zurief: „Ihr alle steht jetzt unter Kontrolle der Finanzmärkte!“, da haben die freudig geklatscht.

In dystopischen Zukunftsromanen steuern nicht Regierungen, sondern supranationale Konzerne das Geschick der Menschen. Wir erleben in den vergangenen Jahren eine  Konzentration von Geld und Einfluss. Sind wir in dieser finsteren Zukunft bald angekommen?

Das müssen wir in Europa verhindern. Den ungehemmten Binnenmarkt hat sich nicht Ex EU Kommissionspräsident Jacques Delors ausgedacht, sondern der „European Round Table of Industrials“. Auch haben sich TTIP oder CETA nicht Barack Obama oder Angela Merkel überlegt. Es gab einen Vorstoß von „Business Europe“.

…beides Lobbyvereinigungen multinationaler Konzerne…

Während früher die fähigsten Köpfe in die Ministerien strebten, werden sie heute Investmentbanker. Die Kommission hat teilweise gar nicht mehr die Kompetenzen, um die eigenen Finanzmarktgesetze zu verstehen. Und dann schreiben Lobbyisten Gesetze, die ihnen nützen. Der Einfluss ist massiv, zumal die Gesetzgebung in Brüssel viel weniger Öffentlichkeit hat."

Das vollständige Interview kann auf der Webseite der Berliner Zeitung nahgelesen werden.