Überweist das Europäische Parlament Steuergelder an Islamisten?

Véronique Poujol berichtet über die Verstrickungen des Europäischen Parlaments

11.03.2016
Véronique Poujol

In Libyen herrscht nach der Intervention des Westens Chaos. Zwei Fraktionen - die Tobruk und die Tripolis-Fraktion - streiten sich um das Vermögen des libyschen Staatsfonds, die Tripolis-Fraktion steht den Muslimbrüdern und dem Islamischen Staat nahe und erhält Unterstützung von den Terrorpaten wie Katar oder der türkischen Regierung. 

Der Libysche Staatsfonds steht daher auf der UN Sanktionsliste. Aber er investiert und wäscht sein Geld über Tochterfirmen mit Unterstützung einer Luxemburger Bank - die BIL - an der auch der Luxemburger Staat beteiligt ist. Und nun kommt es - das Europäische Parlament überweist auf verschlungenen Umwegen Geld an die Islamisten, weil das Parlament ein Gebäude bei einer libyschen Immobilienfirma des Fonds mietet, die der Tripolis-Fraktion nahesteht. Das konnte ich mit meinen Recherchen beim Präsidenten des Europäischen Parlaments Martin Schulz herausfinden (Schreiben an die Quästoren des Parlaments und Antwort von Martin Schulz). Hier die deutsche Übersetzung des Artikels der investigativen Journalistin Veronique Poujol aus der Luxemburger Zeitung Paperjam. Der Artikel kann zudem in französischer und deutscher Sprache als PDF heruntergeladen werden.

Libysches Durcheinander auf dem luxemburgischen Immobilienmarkt

In Libyen – Land im Bürgerkrieg – ziehen die Konfliktparteien bis vor die britischen und sogar bis vor die luxemburgischen Gerichte, um das Vermögen zurückzufordern, das der ehemalige Diktator Muammar al-Gaddafi über mehrere aus Petrodollar gespeiste Staatsfonds im Ausland investiert hatte.

Die Libyan Investment Authority (Libysche Investitionsbehörde, LIA), die im Jahr 2006 gegründet wurde, bildet mit einem Volumen in Milliardenhöhe den wichtigsten Staatsfonds. Nach dem Tod des Oberst Gaddafi und aufgrund des in Libyen herrschenden Chaos wurde 2011 ein UN-Embargo gegen sie verhängt.

Wie das zerrissene Land selbst – es gibt zwei konkurrierende Regierungen, einerseits die von der internationalen Staatengemeinschaft (mit Ausnahme der Türkei, des Sudans und Katar) anerkannte Regierung in Tobruk und andererseits die der Muslimbrüderschaft ideologisch nahestehende Regierung in Tripolis –, ist auch die LIA Spielball widerstreitender Interessen. Der Staatsfonds, der nach einer umstrittenen Verwaltung durch seine ehemaligen Führungsriege behauptet, die Führung der Organisation sei nun ebenso beispielhaft wie die des norwegischen Staatsfonds, dessen ethische Prinzipien als mustergültig angesehen werden, investiert weiterhin über Tochtergesellschaften, die nicht von den UN-Sanktionen betroffen sind.

Gemäß ihrer „offiziellen“ Homepage hält die LIA Vermögenswerte in Höhe von 67 Milliarden US-Dollar (Zahlen Ende 2012 von Deloitte ermittelt) und kontrolliert mehrere Tochtergesellschaften: die Libyan Foreign Investment Company (LAFICO), die Libyan African Investment Portfolio (LAP), die Long Term Portfolio (LTP), Oilinvest International und den „lokalen“ Fonds Libyan Local Investment & Development Fund (LLIDF).

Trotz der politischen Krise und ungeachtet der Tatsache, dass ein wesentlicher Teil ihrer Vermögenswerte aufgrund der Sanktionen des UN-Sicherheitsrats eingefroren sind, findet die LIA noch Mittel und Wege, um in Europa zu investieren. Dabei ist Luxemburg, bekannt für seine stetig steigenden Preise, zum Jagdrevier geworden. Im vergangenen Sommer ist es der LIA gelungen, das Ivy Building zu erwerben, ein Gebäude mit einer Fläche von 4 000 m2 in Capellen, das sich vormals im gemeinsamen Eigentum des Luxemburgers Nicolas Buck und seines langjährigen belgischen Geschäftspartners Renaud Jamar de Boisée befand.

Der Verkauf des Gebäudes an die Libyer wurde über das Unternehmen Ivy Investments abgewickelt (zwei Monate später wurde das Unternehmen von Lux Re Securitization übernommen, einer Verbriefungsgesellschaft mit Sitz bei Experta, welche eine Tochtergesellschaft der Banque internationale à Luxembourg (BIL) ist) und kam dank der BIL-Bank zustande, die als Vermittlerin zwischen dem Käufer auf Seiten der LIA (bzw. ihrer Tochtergesellschaften) und den Verkäufern aufgetreten war. „Ohne die Bank wären die Libyer niemals auf uns aufmerksam geworden“, bestätigt Nicolas Buck gegenüber Paperjam und hebt den „bemerkenswerten Geschäftssinn der Libyer (...) trotz des Zusammenbruchs des Landes hervor.“

Abdulfatah Enaâmi ist der Mann, der bei dieser Transaktion eine Schlüsselrolle einnahm. Der 52-Jährige aus Tripolis wird als Verantwortlicher für die europäischen Immobilienanlagen der LIA benannt, obwohl in Bezug auf seine direkte Verbindung zum Staatsfonds Ungewissheit besteht. Enaâmi, langjähriger Manager bei der LIA, wo er 2008 die Leitung für die Portfolios übernommen hatte, sowie ehemaliger Leiter für Investitionen der Libyan Arab Foreign Bank (Tochtergesellschaft der libyschen Zentralbank), wird als Vertrauter von Abdulmagid Breish beschrieben, mit dem er bei der First Energy Bank, einer Bank in Bahrain mit teilweise libyschem Kapital, zusammengearbeitet hatte.

Abdulmagid Breish hatte ab Juni 2013 die Leitung der LIA übernommen, als in Libyen lediglich eine einzige Regierung an der Macht war. Die Bekanntschaft zwischen Breish und Enaâmi soll es letzterem ermöglicht haben, seinen Posten zu behalten, nachdem die Verwaltung des libyschen Fonds durch Trader internationaler Banken wie Goldmann Sachs und der Société Générale Anfang 2014 in Frage gestellt wurde. Die Händler sollen noch zu Zeiten Gaddafis toxische Finanzprodukte verkauft und milliardenschwere Verluste zulasten der LIA gemacht haben.

Gemäß ihrer „offiziellen“ Homepage, auf der weder der Name Enaâmis noch der von Abdulmagid Breish zu lesen sind, hat die LIA ihre Verwaltungs- und Investment-Tätigkeiten im November 2014 „an einen vorübergehenden Sitz auf Malta“ verlegt.

Im vergangenen Sommer beanspruchten die beiden konkurrierenden Lager die Kontrolle der LIA jeweils für sich, obwohl der Vertrag mit Ivy bereits unterzeichnet war, und lieferten sich Auseinandersetzungen über die Medien sowie auch vor Gericht, insbesondere in London. Ein Rivale steht der „Regierung in Tobruk“ im Osten des Landes nahe, die sich aus Anti-Islamisten, ehemaligen Gaddafisten und Liberalen zusammensetzt. Der andere sympathisiert mit der von den Muslimbrüdern kontrollierten „Regierung in Tripolis“, die vom Staat Katar unterstützt wird, der mehr als 90 % der Aktien der BIL-Bank hält, wohingegen das Großherzogtum Luxemburg nur die restlichen 10 % der Aktien hält.

Die Regierung in Tobruk hat den Ingenieur Hassan Bouhadi, Mitte vierzig, der in London studiert hat, an die Spitze des Staatsfonds berufen. Dieser stellte sich im vergangenen August im Forbes-Magazin als „rechtmäßiger Leiter der LIA“ dar.

Sein Rivale Abdulmagid Breish stellte seine Legitimität infrage. Er war im Juni 2013 ernannt und später aufgrund seiner mutmaßlichen Zusammenarbeit mit der Regierung Gaddafis des Amtes enthoben worden. Er hatte seine Amtsenthebung jedoch angefochten, und das Berufungsverfahren fiel zu seinen Gunsten aus. Er erhielt sein altes Amt zurück, welches inzwischen von Bouhadi bekleidet wurde. In der Zwischenzeit war es nämlich zu einer Spaltung des Landes gekommen.

Das Durcheinander innerhalb der Führungsriege des libyschen Staatsfonds entspricht somit dem Chaos, das in dem Land mit zwei Parallelregierungen herrscht. Dieses Durcheinander reicht bis nach Luxemburg, wo ein weiteres Immobiliengeschäft im Frühjahr 2014 vollzogen wurde und sich nahezu die gleichen Namen wiederfinden: die BIL-Bank als Vermittlerin und Abdulfatah Enaâmi.

Der Libyer hat das an Luxemburg Stadt anrainende Viertel Cloche d'Or und insbesondere das dort befindliche Goldbell-Gebäude ins Visier genommen. In diesem Gebäude war das Europäische Parlament seit 2003 bis vor kurzem ansässig, bevor es in Erwartung der Inbetriebnahme des Konrad-Adenauer-Gebäudes (KAD) auf den Kirchberg umgezogen ist. Der Mietvertrag im Viertel Cloche d'Or läuft allerdings noch bis 2017.

Bis vor zwei Jahren war das Goldbell-Gebäude im Besitz der Wagner-Gruppe, einem Unternehmen der Familie Aloyse Wagner, Gründer des gleichnamigen Unternehmens und Großkunde bei der BIL-Bank. Der Besitz lief über das Unternehmen Sunningdale Properties 2 in Luxemburg. Laut dem öffentlichen Verzeichnis der „vergebenen Immobilienaufträge“ hat das Europäische Parlament diesem Unternehmen im Rahmen der „Verhandlung (eines) Vertragszusatzes Nr. 2 zum Mietvertrag über das Goldbell-Gebäude“ im Jahr 2013 einen Betrag in Höhe von 13,645 Millionen Euro überwiesen.

Im Jahr 2014, bevor die Europäische Zentralbank einen Stresstest der systemrelevanten Banken einleitete, zu denen die BIL-Bank zählt, ging Sunningdale in den Besitz von Lux Real Estate Income 1 über. Der Name von Abdulfatah Enaâmi findet sich an der Spitze beider Unternehmen wieder. Es ist jedoch nicht eindeutig, ob Enaâmi direkt mit den Verantwortlichen der Wagner-Gruppe über den Kauf des Gebäudes im Viertel Cloche d'Or verhandelt hat.

Von Paperjam befragt versicherte eine an der Transaktion beteiligte Person, dass das Gebäude an ein mit der BIL-Bank verbundenes Unternehmen verkauft wurde und dass ihr nichts über den libyschen Käufer bekannt gewesen sei. Die Bank wurde ebenfalls von Paperjam dazu befragt, wollte jedoch weder zu dem Geschäft noch zu den Einzelheiten Stellung beziehen, versichert aber, nicht Eigentümer des betreffenden Gebäudes zu sein.

Der deutsche Europaabgeordnete Fabio de Masi, temperamentvolles Mitglied des Sonderausschusses zu Steuervorbescheiden und anderen Maßnahmen ähnlicher Art oder Wirkung (TAXE 2), befasste sich im November 2015 mit dem Geschäft mit den Libyern des Staatsfonds LIA, der mit einem UN-Embargo belegt ist, und richtet die Frage nach der Identität des Eigentümers, dem das Europäische Parlament jährlich eine Summe von mehreren Millionen Euro überweist, an das Kollegium der Quästoren. Monatelang wird er vom EU-Verwaltungsapparat hingehalten, bevor er am 22. Januar 2016 einen von Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments, unterzeichneten Brief erhält, den Paperjam exklusiv enthüllt.

Martin Schulz erklärt darin, dass die Generaldirektion Infrastrukturen und Logistik (GD INLO) 2014 über den Eigentümerwechsel unterrichtet worden sei. Das Europäische Parlament hat jedoch bis Juli 2015 abgewartet, um die Identität der Eigentümer von Lux Real Estate Income (LREI) festzustellen. In seinem Brief führt Martin Schulz des Weiteren an, dass die Investmentgesellschaft ihre eigene Führungsstruktur habe und eine von der Libyan Foreign Bank (nicht zu verwechseln mit der LIA), welche auf der UN-Sanktionsliste steht, geschlossene Schuldverschreibung ausgegeben habe. Die Bilanz von LREI zum 6. März 2015 weist eine nicht konvertible Anleihe in Höhe von 20,955 Millionen Euro aus.

„Das Geschäft“, so eine mit der Angelegenheit befasste Quelle, „sei haarsträubend gewesen und unter suboptimalen Bedingungen abgeschlossen worden, während die Bank drei nicht miteinander vereinbare Rollen eingenommen habe: langjähriger Kreditgeber des Verkäufers, Kreditgeber der den Kauf tätigenden Bank, die Neukunde war, sowie Vermittlung des Geschäfts. Es bestünde eindeutig Potenzial für mehrere Kommissionen und Interessenskonflikte.“

Dies war der Fall vor der Durchführung der Stresstests und bevor das Ringen um Einflussnahme einsetzte, um an die Kriegsbeute des früheren libyschen Diktators heranzukommen. ♦

Zusammenfassung

Libyen ist ein chaotisches und kompliziertes Land. Dieses Durcheinander reicht bis nach Luxemburg, wo Abdulfatah Enaâmi unter Mithilfe der BIL-Bank (der Staat Katar ist Hauptaktionär) vom Kauffieber gepackt wurde. Katar zählt mit der Türkei und dem Sudan zu den drei Ländern, die die von der internationalen Staatengemeinschaft anerkannte liberale anti-islamistische Regierung in Tobruk im vergangenen Jahr nicht anerkannt haben.

Der Artikel von "Le desordre libyen dans l'immobilier luxembourgeois" von Véronique Poujol erschien auf französisch in der März-Ausgabe des luxemburgischen Magazins Paperjam. Die deutsche Übersetztung wurde von MdEP Fabio De Masi organisiert.