Energische Kampfansage an Ursula von der Leyen
Berliner Zeitung
Erschienen bei Berliner Zeitung
Der Wirecard-Aufklärer Fabio De Masi will die Machenschaften von Ursula von der Leyen aufdecken – und neue Skandale verhindern.
Fabio De Masi besucht uns im Berliner Verlag. Er hat einen vollen Terminkalender, jeder will vom Finanzspezialisten wissen, wie er künftig als Abgeordneter in Brüssel und Straßburg die EU aufmischen will. Er geht ein hohes Risiko, wie ein Vorfall mit seinem Auto zeigte. De Masi lässt sich jedoch nicht einschüchtern. Er kritisiert gewohnt scharf, mitunter mit beißendem Spott.
Herr De Masi, Sie waren schon einmal im EU-Parlament, jetzt wollen Sie wieder rein – wie hat sich die EU verändert in all den Jahren?
Als ich vor zehn Jahren schon einmal ins Europaparlament einzog, gab es noch die Eurokrise, die Europa zerrissen hatte. In vielen Ländern wurde die Wirtschaft durch Lohn- und Rentenkürzungen in den Keller getrieben. Jetzt sind wir beim Wachstum Schlusslicht unter den Industrienationen. Die Ampel jagt die Wirtschaft mit der Kürzung von Staatsausgaben und Anhebung von Verbrauchssteuern tiefer in den Keller. Eine Studie, die unter Mitwirkung der schwedischen Zentralbank entstanden ist, hat über 200 europäische Wahlen ausgewertet und kam zum Ergebnis, dass diese Politik rechte Parteien stärkt. Die Ampel ist die Erntehelferin der AfD.
Warum machen Sie das eigentlich alles? Neue Parteien wie das BSW werden massiv angefeindet. Sie könnten als SPD-Hinterbänkler doch ein schönes Leben führen. Warum nehmen Sie die Anfeindungen und das Risiko in Kauf?
Ich bin nicht in die Politik gegangen, um ein ruhiges Leben zu haben. Sehen Sie, jede Diskussion über eine diplomatische Lösung des Ukraine-Konflikts wird mit dem Vorwurf des Putin-Verstehers niedergemacht. So war es auch vor dem Desaster in Afghanistan. Da war man angeblich ein Taliban-Versteher. Und in den deutschen Medien erschienen erst vermehrt kritische Artikel über die unverhältnismäßige Militärkampagne von Netanjahu in Gaza, als sich auch der US-Präsident aus im Wahlkampf distanzierte. Ich war derjenige, der im Fokus eines mutmaßlichen russischen Spions aus dem Umfeld des flüchtigen Wirecard-Managers Jan Marsalek stand. Ich musste in Südafrika mein Auto untersuchen lassen, weil es Drohungen gab. Ich habe im Alleingang Oligarchen-Netzwerke in der Cybersicherheit der Bundesregierung offengelegt. Ich habe keinen Respekt vor Maulhelden, die noch nie etwas im Leben riskiert haben und auf der Couch auf ihrem Smartphone Marschflugkörper abfeuern oder wie Frau Strack-Zimmermann die Interessen der Rüstungsindustrie vertreten. Es ist kein Zufall, dass jetzt eine FDP-Mitarbeiterin zu Rheinmetall gewechselt ist. Ich wette, da haben sich einige Politiker mit Rheinmetall-Aktien die Taschen vollgemacht. Warum gibt es da keine automatische Meldepflicht der Banken?
Sie sind ja bekannt als Korruptionsbekämpfer. Wer gegen Korruption kämpft, macht sich schnell Feinde.
Ich habe schon als Junge gerne Detektiv gespielt. Aber ich habe immer mehr gemacht, als nur Finanzkriminalität zu bekämpfen. Denken Sie an meine Vorschläge zur Besteuerung von Milliardären in der Corona-Krise oder zur Reform der Schuldenbremse. Es ist nur so: Wenn ich, wie bei Cum-Ex oder Wirecard, Olaf Scholz kritisiert habe, gab es immer Beifall, etwa von Konservativen, Liberalen oder Grünen. Aber in anderen Fällen wird es ganz schnell still.
Wo konkret?
Das österreichische Bundeskriminalamt hat gerade der Münchner Staatsanwaltschaft vorgeworfen, Absprachen mit Marsalek getroffen und seinem Fluchthelfer freies Geleit nach Dubai zugesichert zu haben. Die Bundesregierung verteidigte noch vor wenigen Tagen IT-Aufträge der Bundeswehr an Geschäftspartner von Marsalek, vor denen ich als Erster in Deutschland gewarnt hatte. Wochenlang gab es in Deutschland spannende Geschichten zu Marsalek. Dort schwang immer der Spin mit, die deutschen Sicherheitsbehörden seien Marsalek auf den Leim gegangen und bräuchten noch mehr Überwachungskompetenzen. Zu den Vorwürfen des Wiener BKA liest man in Deutschland hingegen nichts. Man schaut also gerne nach Österreich oder nach Moskau, aber wenn die stinkende Leiche vor der eigenen Haustür liegt, geht man darüber hinweg.
Der ukrainische Botschafter in Deutschland hat Ihnen und dem BSW vorgeworfen, den Interessen Putins zu nützen.
Die Leute, die den Kampf bis zur letzten Patrone fordern, nützen Putin. Warum haben wir das selbstständige Denken verlernt? Warum lassen wir es zu, dass viele Menschen Angst haben, ihre Meinung zu sagen? Das ist Gift für die Demokratie. Ich vertrete keine amerikanischen, ukrainischen oder russischen Interessen, ich vertrete deutsche Interessen. Das habe ich immer wieder unter Beweis gestellt, etwa als ich öffentlich machte, wie ein russlandnaher Investor aus dem Umfeld Jan Marsaleks die Cybersecurity für die Bundesregierung machte. Ich will weder, dass die USA noch China oder Russland Deutschland überwachen. Daher habe ich auch zum Krieg in der Ukraine eine unabhängige Position: Das ist ein furchtbarer, völkerrechtswidriger Angriffskrieg. Er hat aber eine Vorgeschichte. Der CIA-Direktor William Burns warnte bereits vor Jahren vor einer Nato-Perspektive der Ukraine. Dies sei für Russland eine rote Linie. Denn die USA haben nach dem Ende des Kalten Krieges von Irak über Syrien oder Libyen überall ihren Einflussbereich versucht militärisch auszudehnen. Rüstungsvereinbarungen wurden gekündigt. Das rechtfertigt keinen Krieg Russlands. Aber der Konflikt muss, gerade im Interesse der Ukraine, anders gelöst werden als nur militärisch, denn der Ukraine gehen die unversehrten Männer aus.
Wir sehen insgesamt eine Militarisierung, auch in der Debatte. Sie haben Ihr Auto erwähnt. Haben Sie gelegentlich Angst?
Es ist natürlich hässlich, Drohungen zu erhalten. Aber man darf sich von der Angst nicht beherrschen lassen. Ich habe mein Auto untersuchen lassen. Ich selbst kann das leider nicht.
Nicht einmal beim Cinquecento?
Es war ein Mercedes-Oldtimer.
Wer hat Sie bedroht?
Es gab Leute, die sich unter falschen Angaben Zugang zu meinem Auto verschafft hatten. Mein Umfeld hat Anrufe erhalten, da war die Rede von meinen investigations. Ich habe mich dann an die deutsche Botschaft in Südafrika gewandt.
Viele Leute setzen große Hoffnungen in Sie. Derzeit ist es von den deutschen EU-Parlamentariern eigentlich nur der ehemalige Satiriker Martin Sonneborn, der scharfe Kritik an der Kommission äußert.
Die Grünen haben erklärt, sie wollen Teil der sogenannten demokratischen Mehrheit mit Frau von der Leyen werden. Frau von der Leyen hat Impfstoff-Aufträge für Milliarden via SMS erteilt und will diese nicht herausrücken. Herr Sonneborn hat eine wichtige Rolle im Fall Julian Assange, beim Vorgehen Aserbaidschans gegen die Armenier oder beim Pfizer-Deal gespielt. Ich habe neulich mit Deutschen im Ausland gesprochen, die alle Martin Sonneborn kannten. Die Spitzenkandidatin der SPD kannte dagegen keiner.
Fabio De Masi: „Alles auf das E-Auto zu setzen, ist eine Scheinlösung.“Paulus Ponizak/Berliner Zeitung
Worum geht es dem BSW im Kern?
Wir wollen eine vernünftige Politik, die Menschen mit kleinem Geldbeutel nicht schröpft. Wir haben uns zum Beispiel gegen das Verbrennerverbot ausgesprochen, nicht weil wir gegen den Schutz des Klimas sind. Aber alles auf das E-Auto zu setzen, ist eine Scheinlösung. Denn wenn sich Besserverdiener das Elektroauto als Zweitwagen leisten oder nachts geladen wird und gerade die Sonne nicht scheint, ist noch nicht viel gewonnen. Der Strom kommt ja nicht einfach so aus der Steckdose. Unsere Netze sind jetzt schon überlastet. Da wäre es doch viel sinnvoller, wenn wir unsere Autoindustrie, die Vorreiter beim Verbrenner ist, zwingen, für den Weltmarkt, wo es lange noch Verbrenner geben wird, das Drei-Liter Auto zu entwickeln.
Es ist außerdem absurd, den Leuten höhere CO2-Steuern abzuverlangen, und gleichzeitig haben wir in den letzten Jahren tausende Bahnkilometer abgebaut! Die Schichtarbeiterin auf dem Land muss dann trotzdem ihr Auto weiterfahren und hat ein geringeres verfügbares Einkommen. Die Abgeordneten oder Professoren, die sich die Miete in der City leisten können, fahren zwar vielleicht mit dem Fahrrad zur Arbeit, aber verursachen viel mehr CO2 als die Arbeiterin, da sie öfters fliegen.
In der EU gibt es gar keine Regierung, Frau von der Leyen wurde nie gewählt. Was kann sie von Ihnen erwarten?
Frau von der Leyen war die Vertreterin des militärisch-industriellen Komplexes in Deutschland. Dafür wurde sie nach Brüssel befördert. Nun hat sie angekündigt, dass sie zukünftig die Rüstung nach dem „Vorbild der erfolgreichen Impfstoff-Beschaffung“ ausrichten will. Gibt es dann bald Rüstungsdeals per SMS? Frau von der Leyen ist trotz ihrer Unbeliebtheit unangefochten, da die Sozialdemokratie sich mit ihrer Beteiligung an der Kürzungspolitik nach der Finanzkrise als Schutzmacht der kleinen Leute beseitigt hat. Wir haben also eine Europawahl und doch keine Wahl. Daher: Wir werden uns nicht bei Frau von der Leyen unterhaken, sondern sie angreifen.
In der EU geht es vor allem um nationale Interessen. Gibt es so etwas wie deutsche Interessen?
Es ist zum Beispiel nicht im deutschen Interesse, dass wir schmutziges Fracking-Gas aus den USA importieren und uns gleichzeitig mit einer Eskalationsspirale bei den Sanktionen selber schaden, ohne die Kriegsfähigkeit von Putin damit zu beeinträchtigen. Es gibt eine Studie des renommierten US-Ökonomen James Galbraith, Sohn des legendären Wirtschaftsberaters von John F. Kennedy, der sagt: Wir haben mit den Sanktionen Putin zumindest kurzfristig geholfen und Deutschland geschadet. Es ist nicht im deutschen Interesse, in der Außenpolitik nur ein Juniorpartner der USA zu sein, denn wir sind ein Scharnier zwischen Ost und West. Genauso wenig wäre es in unserem Interesse, uns vollständig von Russland oder anderen abhängig zu machen. Bei den Regime-Change-Kriegen im Nahen Osten waren nicht die USA betroffen von der Flüchtlingskrise, sondern wir. Unser Interesse ist die Vermeidung von Fluchtursachen. Also brauchen wir eine eigenständige Politik. Das Auswärtige Amt heißt ja in der Abkürzung „AA“. Einige verstehen darunter eine „Arschkriecher-Außenpolitik“. Wir sehen das etwa in der unrühmlichen Rolle von Frau Baerbock im Falle von Julian Assange.
Fabio De Masi: „Wenn man zu devot ist, bekommt man keinen Respekt, sondern Verachtung.“Paulus Ponizak/Berliner Zeitung
Woher kommt das? Die Amerikaner haben eigentlich kein Problem mit selbstbewussten Partnern.
Ich glaube, dass wir aufgrund der Rolle Deutschlands in der Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg einen bestimmten Auswahlprozess bei Politikern haben. Wir galten ja lange als ökonomischer Riese und politischer Zwerg und haben daher sehr stark auf devotes Verhalten gesetzt. Ich halte das für falsch. Dänemark zum Beispiel hat es geschafft, dass die Vereinigten Arabischen Emirate einen Cum-Ex-Straftäter ausgeliefert haben, obwohl die eigentlich nicht ausliefern. Das Problem ist: Wenn man zu devot ist, bekommt man keinen Respekt, sondern Verachtung. Ich sehe, dass es in den USA zum Beispiel eine viel offenere Debatte darüber gibt, wie man den furchtbaren Krieg in der Ukraine beendet. Wir haben jetzt den Wirtschaftskrieg mit Russland. Wenn Trump Präsident ist, wird er uns das Trümmerfeld überlassen, wird sich auf China konzentrieren und auf uns Druck machen, dass wir auch unsere Wirtschaftsbeziehungen mit China einstellen. Mit der Schuldenbremse sind wir dann strategisch völlig geliefert, weil wir nicht auf den Wegfall der Exportmärkte reagieren können.
Fabio De Masi: „Wenn man meine Sicherheit garantiert, treffe ich Herrn Marsalek gerne.“Paulus Ponizak/Berliner Zeitung
Wie geht es bei Wirecard weiter?
Ich möchte dem russischen Botschafter in Deutschland öffentlich ausrichten, dass ich mit Herrn Marsalek sprechen möchte, wenn er sich im russischen Einflussbereich befindet. Vielleicht könnte Gerhard Schröder ein Gespräch vermitteln? Wenn man meine Sicherheit garantiert, treffe ich Herrn Marsalek gerne – ob in Moskau, Dubai oder an jedem anderen Ort. Dann könnte die Welt endlich erfahren, welche Rolle Sicherheitsbehörden in Ost wie West bei der Schlacht um die digitalen Finanzflüsse spielten.