De Masi über Cum-Ex-Skandal: "Das ist inzwischen eine Staatsaffäre"

Interview Stern

03.11.2023

Erschienen im Stern

Im Cum-Ex-Untersuchungsausschuss sind nach stern-Informationen zwei Laptops aus einem Tresor entwendet worden. Ein ungeheuerlicher Vorgang, sagt Cum-Ex-Experte Fabio De Masi im Interview.

 

Fabio De Masi saß für die Linke zunächst im Europaparlament, danach im Bundestag. 2022 ist er aus der Partei ausgetreten. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit dem Thema Finanzkriminalität. Im August hat er Strafanzeige gegen Kanzler Olaf Scholz (SPD) in der Cum-Ex-Affäre erstattet.

 

Herr De Masi, nach stern-Informationen hat der SPD-Chefaufklärer in der Cum-Ex-Affäre zwei Laptops mit mehr als 700.000 E-Mails aus dem Tresor des Untersuchungsausschusses in Hamburg entfernt und versteckt. Es geht um brisante Korrespondenz, die neue Erkenntnisse in der Affäre bringen sollte. Wie kann sowas passieren?

 

Als ich das gesehen habe, dachte ich: Gut, dass ich keine Axt in der Hand habe, sonst würde ich jetzt Holz hacken, um mich abzureagieren. Also wirklich, das ist Wahnsinn. Schon die Begründung für diese Entnahme leuchtet nicht ein.   

Die SPD hatte sich beschwert, in den Postfächern befänden sich auch E-Mails, die für die Untersuchung nicht relevant seien – und die die Mitglieder des Untersuchungsausschusses deshalb auch nicht einsehen dürften.  

Selbst wenn dort E-Mails dabei sind, die nicht zum Untersuchungsauftrag gehören, ist es nicht die Aufgabe irgendeines Referenten, diese Mails auszusortieren. Es ist doch so: Genau für den Schutz der Daten muss ein solcher Laptop im Geheimschutzbereich bleiben. Dort ist sichergestellt, dass keine Informationen nach außen dringen. Es ergibt einfach keinen Sinn, die Laptops aus dem Sicherheitsraum zu holen, um die Daten zu schützen. 

Steffen Jänicke heißt der SPD-Mann, der die Laptops entfernt haben soll. Was bezweckt er damit? 

Es gibt drei Optionen. Erstens, er will nicht, dass die Obleute der anderen Fraktionen zum jetzigen Zeitpunkt Zugriff auf die Dateien haben. Zweitens, er will irgendwas entfernen. Drittens, er will etwas kopieren. Nichts davon steht ihm zu. 

Eigentlich hätte Jänicke der Recherche zufolge gar keinen Zugang zum Tresor und den sensiblen Daten haben dürfen. Der Hamburger Verfassungsschutz hatte wegen familiärer Verbindungen nach Russland Bedenken geäußert, dass er vertrauenswürdig genug ist, Einsicht in streng geheime Unterlagen zu nehmen. 

Ja, wo sind wir denn? Die Staatsanwaltschaft muss hier ermitteln. 

Haben Sie daran Zweifel?  

Sie untersteht der grünen Justizsenatorin. Im gesamten Cum-Ex-Fall hat die Hamburger Staatsanwaltschaft nie wirklich ermittelt. Hier sehen wir das Problem von politisch weisungsgebundenen Staatsanwaltschaften.  

Sind die Daten zur Sicherheit noch an anderer Stelle gespeichert? 

Die Dokumente gibt es nur auf diesen Laptops und bei der Kölner Staatsanwaltschaft, wo in einem Verfahren ermittelt wird. Allerdings muss die Staatsanwältin dort, wenn die Ermittlung abgeschlossen ist, die Dokumente laut Gesetzeslage löschen. Das heißt: Sie sind nur noch für eine gewisse Dauer in Köln verfügbar. Wenn die Laptops wieder aufgetaucht sind, muss unbedingt ein Datenforensiker untersuchen, ob es einen Unterschied gibt, zwischen den von der Staatsanwaltschaft übermittelten Dokumenten und jenen auf den Laptops. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Unterlagen nicht verändert wurden. 

Wie bewerten Sie den jüngsten Vorgang vor dem Hintergrund der gesamten Cum-Ex-Affäre? 

Aus meiner Sicht ist der Nachweis geführt, dass Olaf Scholz in der Cum-Ex-Affäre gelogen hat. Die "Erinnerungslücke" des Kanzlers ist denklogisch unmöglich, denn Scholz hat im Februar 2020 nach Konfrontation mit den Tagebüchern des Warburg-Bankiers Christian Olearius ein Treffen mit diesem bestätigt, obwohl dieses Treffen nicht mehr in seinem Kalender stand. Er muss sich also aktiv erinnert haben. Wenn nun zusätzlich Kommunikation entwendet wird, befinden wir uns im Bereich der Rechtsbeugung. Das ist kein normales politisches Ringen mehr, das hat eine strafrechtliche Komponente. Das ist inzwischen eine Staatsaffäre.