Verschwörungsökonomie - warum es Deutschland schlecht geht!

Berliner Zeitung

14.10.2023
Frankfurt am Main, Hessen, 01.12.2011

Der Artikel ist bei der Berliner Zeitung erschienen

Bundeskanzler Olaf Scholz hatte ein Wirtschaftswunder versprochen. Was für eine Blamage: Denn die Ampel-Koalition jagt die Wirtschaft in den Keller, um dann Maßnahmen gegen Wachstumsbremsen zu fordern. Dieser Wahnsinn hat Methode. Dabei sitzen die Wachstumsbremsen auf der Regierungsbank. Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner sind eine in Zahlen gegossene wirtschaftliche Trümmertruppe.

So meint Finanzminister Christian Lindner, es brauche eine Bürokratie-Pause, als gäbe es Bürokratie nur in Deutschland. Wie soll zu viel Bürokratie erklären, warum Deutschland von der internationalen Wirtschaftsentwicklung abgehängt wird? Man darf schon glücklich sein, dass Lindner die verheerende wirtschaftliche Bilanz seiner Regierung nicht mit kosmischen Schwingungen erklärt.

Deutschland ist die einzige große Volkswirtschaft, die schrumpft

Lindner kritisiert zwar die Abschaffung von Leistungstests bei den Bundesjugendspielen, aber würde ökonomisch schon am Binden der Turnschuhe in der Umkleidekabine scheitern. Spanien hat etwa mit gezielten Eingriffen in den Markt, wie einer Besteuerung von Extragewinnen, Preisbremsen sowie Subventionen des öffentlichen Nahverkehrs die Wirtschaft angekurbelt und die Inflation viel erfolgreicher bekämpft als Deutschland.

Auch China, die USA und Japan nehmen staatliche Defizite in Kauf, um in Zukunftstechnologien zu investieren. Die Inflationsraten gehen dabei international zurück. Deutschland ist die einzige größere Volkswirtschaft, die nominale Staatsausgaben senkt (mit Ausnahme der wachsenden Rüstungsausgaben), und die einzige größere Volkswirtschaft, die schrumpft.

Lindner behauptet mit seiner Verschwörungsökonomie gegen jede Evidenz, es brauche eine Absenkung der Staatsausgaben, um die Inflation zu bekämpfen. Dabei haben wir es mit einer Angebots- oder Gewinninflation zu tun, die nicht durch zu hohe Nachfrage ausgelöst wurde. Zudem stellte der Internationale Währungsfonds bereits 2009 in einer groß angelegten Länderstudie unter dem Titel „Public Debt, Money Supply and Inflation“ fest, dass für Industrienationen kein Zusammenhang zwischen Staatsverschuldung und Inflation bestünde. Und es ist noch nicht einmal gesichert, dass eine Kürzung der Staatsausgaben die Staatsverschuldung senkt. Es ist nämlich davon auszugehen, dass die negativen Effekte auf das Bruttoinlandsprodukt auch zu Erhöhung der Arbeitslosigkeit, höheren Sozialtransfers und Verringerung der Steuereinnahmen führen werden.

Laut der Gemeinschaftsdiagnose der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute brechen die Investitionen in Forschung und Entwicklung in Deutschland durch die Kürzungsorgie und den wirtschaftspolitischen Salafismus der Ampel-Regierung massiv ein.

Lindner verkündet, man müsse die Wachstumsbremsen lösen, aber er entzieht der Bevölkerung über Steuererhöhungen auf Gas, Fernwärme und Speisen in der Gastronomie zehn Milliarden Euro an Kaufkraft und kürzt alles, was nicht bei drei auf dem Baum ist. Die Verringerung von Staatsausgaben in einer schwächelnden Wirtschaft, bedeutet immer auch, dem Privatsektor die Einnahmen zu entziehen. Angesichts des Staatsversagens von Deutscher Bahn, bis zur Unterbringung und Integration von Flüchtlingen, fragt man sich, ob es das Ziel der Ampel ist, der Trümmertruppe von der Alternative für Deutschland (AfD) noch ein paar Prozentpunkte bei den Wahlen obendrauf zu packen.

Die Lobbyisten der Arbeitslosigkeit

Es ist davon auszugehen, dass die Ampel-Regierung genau weiß, was sie tut. Der australische Investor Tim Gurner, Gründer der Gurner Group, die Luxus-Immobilien entwickelt, hat kürzlich in schonungsloser Offenheit auf den Punkt gebracht, weshalb Notenbanken wie die Europäische Zentralbank (EZB) versuchen, den Energie-Preisschock und die Profit-Inflation, mit fragwürdigen Zinserhöhungen zu bekämpfen und weshalb die Ampel-Koalition die Staatsausgaben kürzt, bis es kracht.

Es geht darum, die Arbeitslosigkeit zu erhöhen, um die Profite der oberen ein Prozent abzusichern. Diese Rentiers, die über große Aktienpakte verfügen, aber nur selten selbst etwas Unternehmerisches schaffen, erwarten ihre Renditen wie ein Zeitungsabo im Briefkasten. Und zwar nicht durch sinnvolle Prozess- und Produktinnovationen oder „schöpferische Zerstörung“, wie es der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter nannte, sondern durch Eigentum und Wirtschaftsmacht.

Gurner behauptete auf dem „Property Summit“ der australischen Financial Review, die Beschäftigten seien durch die Corona-Krise zu arrogant geworden und würden für ihr Geld zu wenig leisten. Dies habe die Produktivität negativ beeinträchtigt. Um dies zu ändern, forderte Gurner, dass die Arbeitslosigkeit „um 40 oder 50 Prozent steigen“ müsse. Der Wirtschaft müssten Schmerzen zugefügt werden.

Es sei zu einem systematischen Wandel gekommen, wonach die Beschäftigten denken würden, die „Arbeitgeber“ (ein fragwürdiger Begriff, schließlich stellen die Beschäftigten ja ihre Arbeitskraft zur Verfügung) würden für sie arbeiten und nicht umgekehrt. Sie würden in dem Irrglauben leben, dass die Unternehmer ihnen dankbar sein müssten, dass sie für sie arbeiten, und nicht umgekehrt.

Gurner fuhr fort, man müsse „diese Attitüde töten“. Und dies könne nur gelingen, indem man der Wirtschaft weh tue. Dies sei, was die Regierungen weltweit derzeit durch Verringerung von Staatsausgaben versuchen würden. Erste Erfolge seinen sichtbar. Entlassungen würden zunehmen und es gäbe nun „weniger Arroganz auf dem Arbeitsmarkt“. Was nach einer durchgeknallten Verschwörungstheorie klingt, ist der Kern wirtschaftsliberaler Ideologie, die versucht, zu vernebeln, dass es in der Wirtschaftstheorie und in der Wirtschaftspolitik immer auch um Interessen geht.

Das Gespenst der Inflation

Laut den Theorien der marktradikalen Ökonomen, die in den vergangenen Jahrzehnten den Ton angaben, ist Inflation vor allem das Ergebnis von zu viel Geld oder zu viel Nachfrage im System. Wenn also zu viel Geld zu wenige Waren jagt, erhöhen die Unternehmer die Preise. Daher müssten bei Inflation die Zinsen und die Arbeitslosigkeit erhöht werden. Doch zum Beispiel in den USA steigt die Beschäftigung seit einem Jahr, während die Inflation zurückgeht. Für keynesianische Ökonomen, die auf staatliche Eingriffe zur Stützung der Nachfrage setzen, ist eine Nachfrage-Inflation zwar denkbar, wenn Vollbeschäftigung herrscht und die Ökonomie überhitzt. Doch meistens herrscht Unterbeschäftigung. Daher führen Keynesianer Inflation vor allem auf gestiegene Kosten oder Konflikte zurück.

So nutzten bestimmte Sektoren etwa den Energiepreisschock, um Extra-Profite durchzusetzen. Dies gelingt einzelnen Unternehmen nur, wenn sie entweder über eine außergewöhnliche Marktmacht verfügen oder sie wissen, dass andere Unternehmen wegen eines externen Schocks (Energiepreise) ebenso die Preise erhöhen. Wenn sie nämlich als Einzige die Preise erhöhen würden, verlören sie Marktanteile an Wettbewerber. Bei Kostenschocks, die viele Unternehmen betreffen, werden die Unternehmen hingegen versuchen, die Preise stärker zu erhöhen als ihre Kosten gestiegen sind. Wenn nun wiederum die Gewerkschaften stark genug sind, um die Löhne zu erhöhen und ihren Kaufkraftverlust auszugleichen, werden die Unternehmen wieder mit Preiserhöhungen auf die höheren Lohnkosten reagieren. So die Theorie. Es droht dann eine Lohn-Preis-Spirale.

Nun ist die aktuelle Inflation aber nicht durch zu viel Nachfrage zu erklären und die Gewerkschaften sind nach Jahren der „Arbeitsmarktreformen“ zu schwach, um selbst bei hoher Beschäftigung eine eskalierende Lohn-Preis-Spirale auszulösen. Japan pumpte in den vergangenen Jahrzehnten viel billiges Geld der Zentralbank in die Banken, aber die Inflation war dort niedriger als in Europa. Denn das Geld der Banken zirkuliert zwischen den Banken oder befeuert zuweilen die Preise von Immobilien oder Aktien. Es treibt aber nicht auf breiter Front die Inflation auf den Gütermärkten.

Die USA investieren als Reaktion auf die Inflation sogar vermehrt in Zukunftstechnologien (Inflation Reduction Act), um Engpässe zu überwinden. Spanien gelang es mit einer Mitte-links-Regierung, die Inflation erfolgreicher als das durch die Ampel angerichtete Chaos zu dämpfen: durch Energiepreis- und Mietendeckel, Steuersenkungen auf Nahrungsmittel sowie Subventionen für den öffentlichen Nahverkehr – also durch mehr Staatsausgaben.

Operation gelungen, Patient tot

Der Preisschock des Ukraine-Kriegs wurde eher durch eine Profit- oder Angebotsinflation ausgelöst. Die Corona-Krise hat Wertschöpfungsketten zerrüttet, der Wirtschaftskrieg hat Kostenschocks verursacht und unsere Energiekapazitäten sind zu knapp. Daher müsste mehr und nicht weniger investiert werden. Die Ampel will aber in der Krise kürzen und schickt die Wirtschaft ins Koma. Die Zinserhöhungen der EZB bremsen die Wirtschaft zusätzlich, da sie Investitionen verteuern und Zinskosten erhöhen. Es ist derzeit umstritten, wie groß der Einfluss der Zinsen auf die vorübergehende Schwächung des Wohnungsbaus war. Theoretisch können höhere Zinskosten sogar die Preise kurzfristig in die Höhe treiben.

Doch langfristig führt eine Krise zu sinkender Inflation – aber eben zum Preis einer stagnierenden Wirtschaft und zunehmender Arbeitslosigkeit. Es ist, wie einen Krebspatienten mit dem Hammer zu erschlagen. Operation gelungen, Patient tot. Sinnvoller wäre es, etwa Extragewinne abzuschöpfen, Marktmacht zu bekämpfen und wie in Spanien durch Preisdeckel und Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel die Preise zu dämpfen.

Zurück zu Investor Gurner. Was er beschreibt, ist also seit Jahrzehnten Teil der ökonomischen Theorie und Praxis. Krisen – ob Finanzkrisen oder Preisschocks – lösen Verteilungskonflikte aus. In den Jahrzehnten bis zur Finanzkrise hat der Anteil der Gewinne am Volkseinkommen zulasten der Löhne immer weiter zugenommen. Die höheren Profite führten aber nicht zu höheren, sondern niedrigeren Investitionen, gemessen am Bruttoinlandsprodukt. Seit der Finanzkrise wurde diese Entwicklung leicht korrigiert, auch wenn die Lohnspreizung durch Niedriglöhne zunahm. Die Corona-Krise und der Wirtschaftskrieg läuteten eine neue Phase des modernen Klassenkampfes ein. Die Zentralbanken traten nach den Corona-Milliarden auf die Bremse und die Ampel-Koalition will in der Krise kürzen.

Die Rentiers fordern ihren ökonomischen Tribut. So wie früher Priester Opfergaben forderten, um die Götter zu besänftigen (und dann das Lamm heimlich selbst verspeisten), fordern die Rentiers Opfer, um „die Märkte“ zu befriedigen.

Was dahinter steckt, hat niemand besser auf den Punkt gebracht als der konservative britische Zentralbanker Sir Alan Budd, als er über die konservative Revolution unter Margaret Thatcher sprach: „Es mag Leute gegeben haben, die die eigentlichen politischen Entscheidungen getroffen haben, die nicht einen Moment lang geglaubt haben, dass dies der korrekte Weg ist, um die Inflation zu senken. Sie sahen jedoch, dass dies ein sehr, sehr guter Weg wäre, um die Arbeitslosigkeit zu erhöhen, und die Erhöhung der Arbeitslosigkeit war ein äußerst wünschenswerter Weg, um die Stärke der Arbeiterklasse zu verringern – wenn man so will. Es wurde eine Krise des Kapitalismus herbeigeführt, um in marxistischer Terminologie eine Reservearmee von Arbeitskräften zu schaffen, die es den Kapitalisten seitdem ermöglicht, hohe Gewinne zu erzielen.“

Genau darum geht es: Nicht um bessere wirtschaftliche Performance, sondern um schlechtere wirtschaftliche Performance, um die Arbeitslosigkeit zu erhöhen, die Löhne zu drücken und höhere Profite für Wenige durchzusetzen. Im modernen Finanzkapitalismus bedeutet dies: Shareholder-Value für die Finanzinvestoren (Rentiers). Und zwar auch dann, wenn der Unternehmenssektor insgesamt unter der Krise leidet. Gurner spricht also offen aus, was die Geschäftsgrundlage im Finanzkapitalismus ist.

Der brillante polnische Ökonom Michael Kalecki hat über dieses systemische Interesse der Wirtschaftsmächtigen an Arbeitslosigkeit einst in Cambridge eine berühmte Vorlesung unter dem Titel „Politische Aspekte der Vollbeschäftigung“ gehalten. Und der US-Investor Warren Buffett wusste: „Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen.“