Warburg-Affäre: Der Beweis, dass der Kanzler lügt

Neue Recherchen zur Warburg Affäre

26.08.2023
Imago/Chris-Emil Janßen

Warburg-Affäre: Der Beweis, dass der Kanzler lügt!

Während meiner Zeit im Bundestag musste ich fast im Alleingang auf der parlamentarischen Ebene die Aufklärung der Warburg Affäre vorantreiben. Im Frühjahr habe ich in einem umfangreichen Dossier der Berliner Zeitung die Widersprüche des Bundeskanzlers offengelegt. Nun kann ich anhand neuer, erdrückender Belege nachzeichnen, dass die Aussagen von Olaf Scholz vor einem Untersuchungsausschuss in der Hamburger Bürgerschaft sowie die Angaben seines Regierungssprechers unwahr sind. 

Olaf Scholz behauptet, dass er sich an Treffen mit Bankiers zu Steuerrückforderungen aus kriminellen Cum-Ex-Geschäften nicht mehr erinnere. Es kann jetzt jedoch gestützt auf schriftliche Dokumente als gesichert gelten, dass der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Olaf Scholz, mit dieser Aussage vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss der Hamburger Bürgerschaft zur Warburg Affäre gelogen hat. Die Lüge vor einem Untersuchungsausschuss ist wie eine Lüge vor Gericht eine Straftat. Ebenso hat sein Regierungssprecher Steffen Hebestreit die Öffentlichkeit in Absprache mit Herrn Scholz mehrfach getäuscht. Die 70 Prozent der Bevölkerung, die laut Umfragen Scholz in der Warburg-Affäre nicht glauben, haben somit recht.

Das Problem war bisher immer: Eine Erinnerung lässt sich ohne schriftliche Beweise schwerlich nachweisen. Der Kopf des Kanzlers lässt sich nicht aufschrauben. Kürzlich sollen Forscher durch die Messung von Gehirnaktivität festgestellt haben, dass Probanden einen Pink Floyd Song hörten. Sogar den Text hätten sie anhand der Signale des Gehirns teilweise entschlüsseln können. In der Politik ist das Lesen von Gedanken (zum Glück) noch nicht möglich. 

Die Erinnerungslücke ist daher eine beliebte Formel von Politikern. So sind Sie nicht gezwungen, mit einer konkreten Aussage nachweisbar zu lügen. Und vergessen wir nicht alle einmal etwas? Herr Scholz konnte etwa vor der Sommerpause in einer Pressekonferenz erinnern, dass er vor über 40 Jahren das letzte Mal in Rahlstedt-Großlohe im Freibad war. Aber an mehrfache vertrauliche Treffen mit einem einflussreichen Hamburger Bankier, gegen den wegen schwerer Steuerhinterziehung ermittelt wurde, will sich der Kanzler partout nicht erinnern? Das war schon immer unglaubwürdig.

Nun lässt sich aber ein unwiderlegbarer Beweis erbringen – ganz ohne den Kopf des Kanzlers aufzuschrauben. Denn Scholz hat ein Treffen unter Berufung auf seinen Kalender bestätigt, das gar nicht mehr in seinem Kalender stand. Er muss es daher erinnert haben. In eine unwahre Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage war Scholz bzw. sein engstes Umfeld frühzeitig eingebunden. Auch hierüber wurde die Unwahrheit gesagt. 

Kriminelle Cum-Ex-Geschäfte

Zur Erinnerung: Es geht bei der Warburg-Affäre um kriminelle Cum-Ex-Aktiengeschäfte und viele Milliarden Steuerschäden hieraus. Dabei werden durch Karussellgeschäfte mit Aktien mehrfache Steuererstattungen für Steuern ausgelöst, die nicht entrichtet wurden. Es ist wie im Supermarkt eine Flasche abgeben, den Pfandbon kopieren und mehre Freunde damit zur Supermarktkasse schicken. Beim Pfandbon funktioniert das nicht, bei Aktien war es lange möglich. Und einige Insider behaupten, dass es weiterhin mit anderen Tricks möglich sei. Bei der Warburg Bank allein ging es um dreistellige Millionenbeträge.

Auf erhebliche Summen dieser Tatbeute aus kriminellen Geschäften wollte die Hamburger Finanzbehörde, das Finanzministerium des Stadtstaates, unter dem damaligen Ersten Bürgermeister Olaf Scholz und seinem damaligen Finanzsenator Peter Tschentscher verzichten. In den Jahren 2016 und 2017 drohten insgesamt 90 Millionen Euro zu verjähren. Dass der heutige Bundeskanzler geschickt Einfluss auf das Steuerverfahren nahm, um eine Festsetzung der Steuerschuld zu verhindern, ist naheliegend. Die Indizienkette ist sehr dicht. Aber selbstverständlich ist Olaf Scholz nicht so verrückt irgendwo auf einen Zettel zu schreiben, dass er als Politiker die Unabhängigkeit der Finanzverwaltung außer Kraft gesetzt und Einfluss auf ein Steuerverfahren genommen hat. Den Beweis dieser Einflussnahme mit Schriftstücken zu erbringen, ist daher schwer bis unmöglich. Dies ist aber auch unerheblich. Denn eine Lüge vor dem Untersuchungsausschuss ist bereits für sich genommen eine Straftat. Und wenn die Lüge eines Kanzlers vor einem Parlament nicht mehr für einen Rücktritt reicht, was eigentlich dann?

Denn es bewahrheitet sich erneut das alte Gesetz der Politik: Politiker stolpern selten über den Skandal selbst, sondern den Versuch diesen zu vertuschen. Und wer lügt und vertuscht, hat etwas zu verbergen. Eine Lüge ist auch nur dann plausibel, wenn eine Einflussnahme auf das Steuerverfahren tatsächlich stattgefunden hat und der Kanzler dies verbergen wollte.

Der Kanzler und die Cum-Ex Bankiers

Ich hatte ebenso wie die Enthüllungsjournalisten Oliver Schröm und Oliver Hollenstein bereits in früheren Veröffentlichungen darauf hingewiesen, dass die behaupteten Erinnerungslücken von Olaf Scholz an insgesamt drei Treffen mit zwei Warburg Bankiers, Christian Olearius und Max Warburg, nicht plausibel sind. Denn Erinnerungslücken an alle drei Treffen hatte Scholz noch nicht geltend gemacht, als er im Februar 2020 mit Tagebuchaufzeichnungen von Olearius mit zunächst nur einem dieser drei Treffen konfrontiert wurde, sondern erst als auch die zwei weiteren Treffen im September 2020 enthüllt wurden.

Das zuerst bekannt gewordene Treffen zwischen Scholz und Olearius fand am 10. November 2017 statt. Dies war der Tag, an dem die Weisung des Finanzministeriums, damals noch unter Minister Wolfgang Schäuble (CDU), in Hamburg per Post eintraf. Diese direkte Weisung des Finanzministeriums, die äußerst selten vorkommt, forderte die Hamburger Finanzverwaltung unmissverständlich auf, die Tatbeute einzuziehen und nicht (wie 2016) erneut steuerlich verjähren zu lassen.

Reden ist Silber, Schweigen ist Scholz

Dieses Treffen zwischen dem damaligen Bürgermeister Scholz und Olearius anlässlich der Weisung aus Berlin wurde wie auch zwei weitere Treffen im Jahr 2016 vom Hamburger Senat in der Antwort auf eine schriftliche Anfrage der Hamburger Linksfraktion Ende 2019 zunächst abgestritten. Der Hamburger Senat rechtfertigte diese Irreführung der Öffentlichkeit mit einer absurden Begründung: Angeblich habe man die Treffen nicht eingeräumt, da nach Terminen von Mitgliedern des Senats mit Warburg Bankiers zu Steuerverfahren gefragt worden sei. Und da Olaf Scholz sich grundsätzlich nicht in Steuerverfahren einmische, seien diese Termine auch nicht offengelegt worden.

Das ist schon von daher grotesk, weil wir ja durch die bei einer Razzia beschlagnahmten Tagebücher von Herrn Olearius wissen, dass sich Scholz bei den Treffen mit den Bankiers über das Steuerverfahren ausgetauscht hat. Er griff sogar aktiv zum Telefon und empfahl Herrn Olearius eine Protestnote an seinen Finanzsenator zu übermitteln, der das Schreiben dann mit seinen Anmerkungen in die Finanzverwaltung reichte. Kurz darauf kippte die Entscheidung zugunsten der Warburg Bank, obwohl die zuständige Finanzbeamtin vorher noch in einem umfangreichen Gutachten den Einzug der Tatbeute als unumgänglich betrachtet hat.

Die Bestätigung für das eine, zuerst bekannt gewordene Treffen erfolgte erst im Februar 2020 durch Steffen Hebestreit, den Sprecher von Scholz, der mittlerweile Finanzminister war. Jedoch erst viele Tage, nachdem dieser mit Tagebüchern des Bankiers konfrontiert wurde. Das Treffen ließ sich nunmehr nicht mehr abstreiten. Jetzt wissen wir jedoch: Scholz war schon viel früher im Zuge der Beantwortung der Anfrage durch den Hamburger Senat in die Abfrage der Termine eingebunden. Er zog es aber vor, zu schweigen und die Termine zu verheimlichen.

Auch die zwei weiteren Treffen aus dem Jahr 2016 verheimlichte Scholz bei den anschließenden Befragungen im März und Juli 2020 im Bundestag trotz entsprechender Nachfragen, bis er auch hier mit Beweisen konfrontiert wurde. Diese Treffen waren besonders pikant, weil Hamburg im Jahr 2016 einen erheblichen Teil der Tatbeute aus Cum-Ex-Geschäften steuerlich verjähren ließ, obwohl die zuständige Finanzbeamtin zuvor noch in einem umfangreichen Gutachten zum Schluss kam, Hamburg müsse aufgrund einer gefestigten Rechtslage die Tatbeute einziehen. Auch liefen bereits Ermittlungen gegen Olearius und die Warburg Bank als Scholz mit den Bankiers über das Steuerverfahren diskutierte. 2017 wollte Hamburg erneut viele Millionen Tatbeute verjähren lassen. Doch dann schritt das Finanzministerium unter Wolfgang Schäuble (CDU) mit einer Weisung ein.

Angeblich will Scholz seinen Kalender erst im Sommer 2020 nach erneuter Konfrontation der Journalisten mit den weiteren Terminen überprüft haben. Dies ist an sich schon völlig unglaubwürdig. Jeder Politiker im Kreistag würde bei solchen Vorwürfen zuerst seinen Kalender überprüfen.

Die Lügen des Kanzlers 

Dies sind die neuen Erkenntnisse: Zunächst müssen wir uns eine Formulierung in Erinnerung rufen, mit der Scholz Sprecher den zuerst bekannt gewordenen Termin damals bestätigte und die Scholz mehrfach ähnlich in Befragungen wiederholte. Im Februar 2020 ließ Scholz über seinen Sprecher Hebestreit über das Hamburger Abendblatt Folgendes verlauten, nachdem der Hamburger Senat diese Treffen zunächst wie geschildert nicht eingeräumt hatte:

„Zu den Aufgaben eines Ersten Bürgermeisters gehört es, mit den Wirtschaftsvertretern der Stadt im regelmäßigen Austausch zu stehen. So hat es auch ein Treffen von Olaf Scholz mit Herrn Olearius im November 2017 im Amtszimmer des Bürgermeisters gegeben, wie aus dem Kalender des Ersten Bürgermeisters hervorgeht, der der Senatskanzlei vorliegen müsste. Wieso dies bei der Beantwortung der Kleinen Anfrage nicht berücksichtigt worden ist, entzieht sich unserer Kenntnis.“ 

Diese Aussagen sind gleich in mehrfacher Hinsicht unwahr und ein Skandal:

Scholz behauptete gegenüber einem Untersuchungsausschuss der Hamburger Bürgerschaft, sich an keines seiner drei Treffen mit den Warburg Bankiers Christian Olearius und Max Warburg zu erinnern. Er hat aber im Februar 2020 das zuerst bekannt gewordene Treffen mit Olearius, das am 10. November 2017 stattfand, wie soeben zitiert, unter Berufung auf seinen Kalender bestätigt. Doch laut der schriftlichen Aussage seiner Büroleiterin Jeanette Schwamberger gegenüber dem Untersuchungsausschuss der Hamburger Bürgerschaft stand dieser Termin damals nicht (mehr) in seinem Kalender. Dies deckt sich auch mit den eigenen Aussagen von Scholz.

Schwamberger übermittelte dem Hamburger Untersuchungsausschuss nur Einträge aus Scholz Kalender zu zwei Treffen im Jahr 2016 (somit ohne das Treffen 2017) und begründete dies damit, dass beim Überspielen des Kalenders beim Wechsel von Scholz vom Posten des Ersten Bürgermeisters von Hamburg in das Amt des Finanzministers im März 2018 technische Probleme aufgetreten waren. Der Termin 2017 befand sich demnach seit März 2018 nicht mehr im Kalender von Olaf Scholz, der nunmehr nur noch in Berlin geführt wurde. Auch Scholz sagte gegenüber dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages im September 2020 aus, dass einige Termine nicht überspielt wurden. Es habe technische Probleme gegeben und offensichtlich hätten sich für die Zeit, in der Peter Altmaier kommissarischer Finanzminister war, dessen Termine in den Kalender überspielt. Der Termin zwischen Scholz und Olearius im November 2017 fällt in diese Zeit.

Beim Überspielen des Kalenders des Ersten Bürgermeisters in das Finanzministerium wurde der Termin, sofern er jemals vermerkt war, somit nicht übertragen. Scholz müsste demnach den Termin erinnert haben. Scholz will auf diesen Widerspruch nicht eingehen und verweigert die Beantwortung von Anfragen hierzu. Scholz ist jedoch die einzige Quelle, die den Termin bestätigen konnte. Der Hamburger Senat oder die Warburg Bankiers scheiden dafür aus. Auch dies lässt sich nachweisen. 

Denn der Hamburger Senat hatte seit März 2018 laut seiner eigenen schriftlichen Aussage (dazu gleich mehr) keinen Zugriff mehr auf den Kalender. Auch ein Kontakt mit den einzigen weiteren Teilnehmern des Treffens, Christian Olearius und Max Warburg, um den Termin zu verifizieren, kann nicht stattgefunden haben, da solche weiteren Kontakte in parlamentarischen Anfragen und öffentlich wiederholt bestritten wurden. Scholz behauptete auch selbst, dass der Termin auf Grundlage seines Kalenders und nicht durch die Warburg Bankiers verifiziert wurde.

Auf diesen Widerspruch haben auch bereits die Enthüllungsjournalisten Oliver Schröm und Oliver Hollenstein hingewiesen, denen wir einen Großteil der Aufklärung der Warburg Affäre verdanken. Sie beschreiben den Vorgang in ihrem Buch „Die Akte Scholz“, das im Herbst 2022 veröffentlicht wurde. Sie haben nun kürzlich auch E-Mails veröffentlicht, die den Vorgang weiter ausleuchten.

Nur bisher gab es Hintertüren für Scholz, da nämlich theoretisch der Kalender in Hamburg vorgelegen haben könnte und der Termin hierüber hätte bestätigt werden können. In der Fülle des Materials blieb der Vorgang zudem weitgehend unbeachtet. 

Keine Hintertür mehr für Scholz

Auch mich trieb diese Frage um und ließ mir keine Ruhe. Im intensiven Austausch mit dem Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL, der sich über mehrere Wochen erstreckte, konnte ich nun jedoch die verbliebenen Hintertüren für Scholz endgültig schließen. Der Beweis schlummerte in den Akten und lag im Prinzip die ganze Zeit vor unseren Augen. Denn in der Antwort des Hamburger Senats auf eine Informationsfreiheitsanfrage des Journalisten Arne Semsrott stieß ich auf folgende Aussage:

„Soweit Sie die Übermittlung des Terminkalenders des ehemaligen Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz beantragen, wird Ihr Antrag abgelehnt, da die Senatskanzlei nach der Beendigung seiner Amtszeit keinen Zugriff, auf den im Rahmen eines persönlichen E-Mail-Accounts geführten Terminkalender hat.“ 

Das Ende der Amtszeit von Scholz in Hamburg war im März 2018. Die Senatskanzlei verfügte somit im Februar 2020 nicht mehr über den Kalender. Nur Scholz selbst kann also den Termin bestätigt haben. Er wurde aber nicht auf Grundlage eines Kalendereintrags bestätigt, wie in dem Zitat seines Regierungssprechers behauptet, da der Termin wie gezeigt nicht mehr in Scholz Kalender stand.

Auch gegenüber dem Hamburger Untersuchungsausschuss hatte der Hamburger Senat bereits offenbart, dass nur noch Scholz bzw. seine engsten Mitarbeiter über den Kalender verfügten. Dies hat der Senat kürzlich auch noch einmal in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Hamburger Linksfraktion (Drucksache 22/12638) mit folgenden Worten bestätigt.

„Nach den Erkenntnissen der Senatskanzlei sind dem Altbürgermeister Olaf Scholz nach seinem Ausscheiden aus dem Amt elektronische Kalenderdateien auf einem Datenträger zur Verfügung gestellt worden. Durch die Ämter der Senatskanzlei ist, wie auch in vergleichbaren Fällen, kein einsehbares Backup oder ähnliches erstellt worden, was insbesondere auch wegen des höchstpersönlichen Charakters der Daten unzulässig wäre.

 Es gibt demnach in der Senatskanzlei keinen abrufbaren Datenbestand mehr. (…) Allerdings ist im Rahmen der Recherche festgestellt worden, dass noch ein deaktivierter Nutzeraccount des Altbürgermeisters Olaf Scholz auf einem Server des IT Dienstleisters Dataport existiert. Ob und gegebenenfalls welche Daten in diesem passwortgeschützten Account gespeichert sind, ist nicht bekannt und auch nicht geprüft worden, da nach hiesiger Rechtsauffassung insoweit zuvor das ausdrückliche Einverständnis des Dateninhabers zwingend eingeholt werden müsste“

Und noch eine weitere Variante soll hier zugunsten von Herrn Scholz kurz analysiert werden:

Es soll laut Medienberichten über eine Beschlagnahme der E-Mail-Postfächer von Scholz und seiner Büroleiterin eine spätere E-Mail des Kanzleramtsministers Wolfgang Schmidt geben, wonach dieser sich wundere, dass der Termin aus 2017 nicht mehr im Kalender stehe. Er habe diesen doch selbst einmal im Kalender gesehen. Daraus zogen Ermittler zunächst den Schluss, der Termin sei später womöglich aktiv gelöscht worden. Denn er wurde ja im Februar 2020 angeblich noch auf Grundlage des Kalenders bestätigt. Allerdings wurde der Kalender im März 2018 von Hamburg an das Finanzministerium ja gar nicht erst überspielt.

Schmidt könnte daher den Termin vor dem Überspielen des Kalenders bei Amtswechsel gesehen haben. Oder er versuchte mit dieser E-Mail nur Verwirrung zu stiften und Nebelkerzen zu streuen, da er die offene Flanke des Kanzlers kannte. Denn wie die Journalisten Oliver Schröm und Oliver Hollenstein kürzlich enthüllten, schrieb die Büroleiterin von Olaf Scholz, Jeanette Schwamberger an den Kanzleramtsminister Schmidt und Regierungssprecher Hebestreit: „Ich habe noch nie einen Termin mit Olearius vom November 2017 im Kalender gesehen!“

Dass der Termin im Februar 2020 noch im Kalender stand und erst nach der Bestätigung durch Scholz Sprecher gelöscht worden wäre, stünde klar im Widerspruch zu den schriftlichen Aussagen der Büroleiterin vor dem Untersuchungsausschuss. Es würde auch keinen Sinn machen, einen bereits bestätigten Termin nachträglich zu löschen. Wenn der Kalendereintrag aber tatsächlich im Februar 2020 noch vorhanden gewesen wäre und etwa versehentlich gelöscht wurde, würde das Scholz entlasten, da er den Termin dann auch ohne aktive Erinnerung bestätigt haben könnte. Dann hätte Frau Schwamberger dies sicher vor dem Untersuchungsausschuss so dargestellt. Sie hat aber behauptet, der Termin sei bereits beim Überspielen nicht übertragen worden. Somit stand er nicht mehr im Kalender und Scholz muss sich erinnert haben.

Ein Satz, viele Lügen

Aber es ist noch krasser: Der Hamburger Senat musste nun bei der Beantwortung einer Anfrage der Linksfraktion, die im Zusammenhang mit diesen Recherchen entstand, einräumen, dass er sich zur Beantwortung der früheren parlamentarischen Anfrage aus dem Jahr 2019 nach Treffen von Mitgliedern des Hamburger Senats mit Warburg Bankiers bereits an das Finanzministerium gewendet hat. Der Kalender lag schließlich in Hamburg gar nicht mehr vor. Das Finanzministerium habe aber nicht in der erforderlichen Frist geantwortet. Vorsorglich schiebt der Senat noch hinterher, es lägen zu dem Austausch keine Aufzeichnungen mehr vor. 

Wörtlich heißt es: „Darüber hinaus hat sich die Senatskanzlei vorsorglich bemüht, entsprechende Auskünfte bei dem Bundesministerium der Finanzen einzuholen. Eine Rückmeldung ist innerhalb der für die Beantwortung der schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht erfolgt. Einzelheiten hierzu wurden nicht dokumentiert.“ 

Damit hat Scholz jedoch mit seinen eigenen Aussagen und jenen seines Regierungssprechers aktiv die Unwahrheit verbreiten lassen: Erstens, der Termin stand nicht mehr in Scholz Kalender, er wurde aus Scholz Erinnerung bestätigt. Denn eine andere Möglichkeit existierte gar nicht mehr. Zweitens, Scholz Leute waren in die Nicht-Offenlegung aller drei Treffen von Beginn an eingebunden. Bereits 2019 wandte sich der Hamburger Senat an das Ministerium von Scholz. Drittens, der Senatskanzlei lag der Kalender, anders als von Scholz Sprecher behauptet, auch nicht mehr vor. Scholz Leute wussten dies, obwohl in dem Statement seines Regierungssprechers bewusst ein anderer Eindruck vermittelt wird. Viertens, warum die Anfrage der Linksfraktion damit unwahr beantwortet wurde, entzog sich auch nicht, wie in dem Zitat behauptet, der Kenntnis von Scholz bzw. seinen engsten Mitarbeitern. Das Finanzministerium hat die Anfrage des Senats (mutmaßlich bewusst) nicht beantwortet und die Nicht-Offenlegung der Treffen so selbst verursacht. 

Später fügte Scholz mehrfach an, er sei in die Terminabfragen persönlich nicht eingebunden gewesen. Es ist nun auch vollkommen klar, warum diese Feststellung Scholz so wichtig war. Denn er wusste, welche Leichen da im Keller schlummern und versuchte sich hinter seinen Mitarbeitern zu verstecken, falls doch alles auffliegen sollte. Letzteres ist nun geschehen.

Damit ist nunmehr auch schriftlich und sachlogisch bewiesen, dass Scholz sowie sein Regierungssprecher bewusst die Unwahrheit verbreitet haben. Scholz hat einen Untersuchungsausschuss hinsichtlich seiner Erinnerungslücke belogen. Dies ist eine Straftat. Und er hat seinen Regierungssprecher die Unwahrheit verbreiten lassen. Er ist als Kanzler nicht mehr tragbar. Warum aber so viele Lügen über Treffen mit Cum-Ex Bankiers, wenn die Treffen doch angeblich nur vergessen wurden und Scholz keinen Einfluss genommen habe? 

Scholz Schachspiel

Meine These ist, dass Scholz sich angesichts der damals umkämpften SPD-Kanzlerkandidatur und den Gefahren strafrechtlicher Ermittlungen zur Einflussnahme auf das Steuerverfahren für eine gefährliche Strategie entschied: Nichts einräumen und darauf hoffen, dass die Treffen nicht öffentlich werden. Die Falschinformation des Hamburger Senats nahm man billigend in Kauf und entschied sich einfach nicht zu antworten. Damit konnte Scholz zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Der Senat war durch Scholz Schwiegen für die Verheimlichung der Termine formal nicht verantwortlich. Und Scholz vermied es aktiv zu lügen. Kommunikation dazu existiert angeblich nicht mehr. Wie praktisch. Als die Tagebücher dann jedoch auftauchten, und Journalisten Scholz zunächst mit einem Treffen konfrontierten, spekulierte man auf Schadensbegrenzung und hoffte nur dieser Termin würde letztlich bekannt werden. Die unwahre Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage schob man gar wider besseres Wissen den Parteifreunden im Hamburger Senat unter.

Scholz tat zunächst so, als habe es nur dieses eine Treffen gegeben. Es fand damals zur Weisung des Finanzministeriums an Hamburg statt, die Tatbeute der Warburg Bank nicht erneut verjähren zu lassen. Er vermied erneut eine unmittelbare Aussage zu weiteren Treffen, um nicht aktiv zu lügen. Er räumte sie aber auch bei entsprechenden Nachfragen nicht ein. Doch bereits die Aussagen seines Regierungssprechers entsprachen nicht der Wahrheit.

Scholz spekulierte zu diesem Zeitpunkt noch darauf, dass die weiteren Treffen nicht in den Tagebüchern von Olearius geschildert wurden oder den Journalisten nicht bekannt waren, da sie ihn nur mit einem Treffen konfrontiert hatten. Und sollte er dann später doch damit konfrontiert werden, würde er für die Treffen plötzlich Erinnerungslücken behaupten. 

Damit die Option Erinnerungslücke aber später noch möglich war, musste Scholz wahrheitswidrig behaupten, dass er den Termin aus seinem Kalender heraus bestätigt habe. Und dies war auch wichtig, um sich nicht allzu umfangreich zum Ablauf des Treffens einlassen zu müssen. Denn so konnte er den Eindruck erwecken, er habe kaum Erinnerungen an das Treffen und stütze sich nur auf seine Unterlagen.

Der Fall Warburg – ein Rückblick

Es sollte neben diesen Details über die unwahren Aussagen von Scholz aber nicht in Vergessenheit geraten, worum es eigentlich geht: handfeste Straftaten zum Nachteil Hamburgs sowie der Bundesrepublik Deutschland. Daher will ich zum Abschluss auch noch einmal darlegen, warum neben der Verbreitung von Lügen auch ein Einfluss von Scholz auf das Steuerverfahren naheliegt. 

Ich habe bereits in umfangreichen Beiträgen für die Berliner Zeitung dargelegt, wie sich der Bundeskanzler Olaf Scholz in der Warburg Affäre um kriminelle Cum-Ex-Geschäfte in Widersprüche verheddert. (Siehe mein Interview und mein umfangreicher Beitrag in der Berliner Zeitung). 

Kriminelle Geschäfte verjähren

Es ging in der Affäre um die Hamburger Privatbank Warburg um den Verzicht auf 47 Millionen Euro Tatbeute durch die Finanzverwaltung, da Hamburg einen Teil der Steuerforderungen 2016 zunächst verjähren ließ. Als Hamburg weitere 43 Millionen Euro im Folgejahr verjähren lassen wollte, schritt das damals noch CDU-geführte Finanzministerium ein. Die Tatbeute konnte zwar später trotz erfolgter steuerlicher Verjährung noch strafrechtlich eingezogen werden. Dies war damals aber noch nicht absehbar, sondern nur einer späteren Rechtsfortentwicklung durch einen mutigen Richter geschuldet. 

Scholz Netzwerk

Zuvor engagierte die Warburg Bank wegen drohender Steuerrückforderungen aus den kriminellen Cum-Ex-Geschäften, die dem Finanzamt zunächst unvermeidlich erschienen, das Umfeld von Olaf Scholz aus der Hamburger SPD, wie den früheren Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs (in dessen Wohnung eine Razzia stattfand und gegen den weiter ermittelt wird) sowie den früheren Innensenator und Scholz-Mentor, Alfons Pawelczyk, um Einfluss auf das Steuerverfahren zu nehmen. Die zuständige Finanzbeamtin hatte laut Tagebuch von Olearius der Bank hierzu geraten („jetzt kann nur noch die Politik helfen!“)

Die Spur des Geldes: Parteispenden für die SPD

Kahrs kassierte Parteispenden für die SPD Hamburg und Pawelczyk bekam sogar als Privatperson Geld für diese Kontaktanbahnung. Pawelczyk wollte Scholz auf das Gespräch mit den Bankiers „vorbereiten“.

Daraufhin traf sich der damalige Erste Bürgermeister von Hamburg, Olaf Scholz, mitten in laufenden Ermittlungsverfahren gegen Olearius und nach einer Razzia bei der Warburg Bank mit den Cum-Ex Bankiers mehrfach. Er machte sich stellenweise laut Tagebuch die Sicht der Warburg Bank auf die Steuerrückforderungen zu eigen. Scholz ließ den Bankier zwar im Unklaren, wie er sich verhalten würde, vermittelte ihm laut Olearius aber das Gefühl, er brauche sich keine Sorgen zu machen. Er teilte dem Bankier sogar mit, dieser solle sich in dieser Angelegenheit gerne weiter an ihn wenden, er erwarte dies sogar. Und später tauchte der Name Scholz neben Kahrs und dem Steuerberater von Olearius auf einer Dankesliste auf, die in Verbindung mit der Warburg-Affäre stand.

Dies ist ein eklatanter Widerspruch zu den Aussagen von Scholz, er mische sich nie in laufende Steuerverfahren ein. Scholz räumte die Treffen mit den Cum-Ex Bankiers trotz entsprechender Nachfragen immer erst ein, wenn er mit schriftlichen Belegen konfrontiert wurde, da Herr Olearius nämlich Tagebuch geführt hatte und die Tagebücher bei einer Razzia beschlagnahmt wurden.

Teuflischer Plan – Die Politik nimmt Einfluss

Es gibt eine dichte Indizienkette für den Einfluss der Hamburger Politik auf das Steuerverfahren. Etwa einen Anruf von Scholz bei Olearius, der im Tagebuch des Bankiers wiedergegeben wird. Dort fordert Scholz Olearius auf, ein der Finanzverwaltung bereits bekanntes Beschwerdeschreiben erneut an den Finanzsenator zu reichen, der es hiernach mit seinen Anmerkungen in die Finanzverwaltung spielte. Die zuständige Finanzbeamtin Daniela P. wurde hiernach in das Hamburger Finanzministerium einbestellt. Sie revidierte danach unter Protest ihrer Betriebsprüfer die Entscheidung zum Einzug der Tatbeute, die sie zuvor noch in einem umfangreichen Gutachten für unumgänglich gehalten hatte. Die Beamtin sprach später in einer Textnachricht von einem "teuflischen Plan" im Zusammenhang mit der Verjährung der Steuerforderung und prahlte mit der Zufriedenheit ihrer Vorgesetzten. 

Scholz täuscht den Bundestag

Scholz verschwieg nach Bekanntwerden eines Treffens (in 2017) weitere Treffen mit den Cum-Ex Bankiers zum Steuerverfahren im Jahr 2016 trotz meiner konkreten Nachfrage im Bundestag am 4. März 2020 (und weiterer Nachfragen im Juli 2020). Er behauptete bei einer dritten Befragung im September, er hätte trotz der ganzen Aufregung in der Öffentlichkeit um die Treffen zuvor seinen Kalender nicht überprüft.

Die gezielte Verwirrung der Öffentlichkeit

 Es wurde herausgearbeitet, wie sich die Versionen des Kanzlers änderten und er nach der Enthüllung der weiteren Termine die berühmte Erinnerungslücke erfand, die er als Begründung heranzog, warum er die weiteren Termine zuvor nicht eingeräumt hätte. Er bezog die Erinnerungslücke nun plötzlich auf alle drei Treffen. Dies war auch daher unglaubwürdig, da er mir gegenüber zuvor in einer bis kürzlich noch geheim eingestuften Sitzung des Finanzausschusses des Bundestages eine konkrete Erinnerung an das zuerst bekannt gewordene Treffen aus 2017 im Finanzausschuss des Bundestages schilderte. Er führte damals aus, dass er sich gegenüber Olearius zurückhaltend verhalten habe. Er fügte hinzu, seine Schilderung werde auch durch Medienberichte gestützt. 

Die SPD versuchte später diesen Widerspruch durch die abenteuerliche Behauptung zu entkräften, dass Scholz keine eigene Erinnerung geschildert habe, sondern nur Medienberichte wiedergebe. Dies war schon von daher nicht überzeugend, da Scholz im September 2020 als die weiteren Treffen enthüllt wurden, an einer Stelle etwa noch die Formulierung wählte, dass er „nicht viele Erinnerungen“ (statt „keine Erinnerung“) an die Treffen habe.

Der Kanzler ist nicht mehr tragbar

In einer funktionierenden parlamentarischen Demokratie müsste die Hamburger Staatsanwaltschaft gegen Olaf Scholz wegen Falschaussage vor einem Untersuchungsausschuss ermitteln. Der renommierte Hamburger Strafverteidiger Gerhard Strate hatte bereits einmal Strafanzeige erstattet. Doch die der Hamburger Justizsenatorin von den Grünen, Anna Gallina, unterstellte Hamburger Staatsanwaltschaft, die in der Warburg Affäre und Cum-Ex Ermittlungen keinen Finger krümmte, stellte Ermittlungen zu Olaf Scholz mit der irren Begründung ein, dieser habe die Erinnerung womöglich nur vorgetäuscht.

Ermittlungen gegen einen Bundeskanzler oder gar dessen Rücktritt mag einigen angesichts der Umfragen und der Stärke der AfD keine verlockende Perspektive sein. Aber ich bezweifle, dass der Verteidigung der demokratischen Institutionen durch einen Pinocchio-Kanzler mehr gedient ist. Ich halte das Prinzip Angst für gefährlich und für ein Geschenk an die AfD, das sie weiter stärken wird.

Dabei hat die AfD selbst nichts zur Aufklärung der Warburg-Affäre beigetragen und gehören kriminelle Cum-Ex-Geschäfte in ihrem Milieu eher zum guten Ton. So gehört etwa dem niederländischen Parlament Olaf Ephraim an. Er ist ein ehemaliger Banker, der einer der früheren „Erfinder“ von Cum-Ex-Geschäften ist. Er ist Abgeordneter des „Forum für Demokratie“, das mit der AfD auf europäischer Ebene zusammenwirkte. 

Dies alles zeigt: Auch wenn der Nachweis der Lüge nun eindeutig erbracht ist, für einen weiteren Untersuchungsausschuss im Deutschen Bundestag gäbe es noch viel zu tun. Ein solcher Ausschuss ist überfällig. Scholz sollte hingegen vielleicht wieder auf Bürgermeister umschulen.