Wirecard vor Gericht: Die Geschichte von Dr. Seltsam und Mister Futsch

01.12.2022

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Doch Wirecard-Kenner wie der frühere Linken-Politiker Fabio De Masi wollen nicht so recht an eine saftige Strafe für Braun glauben. So sagte er unserer Redaktion: „Für mich besteht ein hohes Risiko, dass er mit einem blauen Auge davonkommt. Ich schaue mit einem schlechten Gefühl nach München.“ Er kann sich vorstellen, dass der Angeklagte sich zwar wegen der unrichtigen Darstellung der Konzern-Abschlüsse der Jahre 2015 bis 2018 verantworten muss, aber sonst glimpflich davonkommen. Der Masi, Sohn eines italienischen Gewerkschafters und einer deutschen Sprachlehrerin, gehörte vom 2017 bis 2021 dem Bundestag an. Der 42-Jährige war Obmann des Wirecard-Untersuchungsausschusses. Auch nach seiner Zeit im Bundestag beschäftigt sich der studierte Volkswirt nach wie vor mit Wirtschaftsskandalen. Er sieht sich als „Finanzdetektiv“ und Autor. In der Doppel-Rolle hat ihn der Rowohlt-Verlag im Oktober für ein Buch unter Vertrag genommen. Natürlich geht es um Finanz-Affären. Der Fall „Wirecard“ werde eine Rolle spielen, verrät De Masi, nennt aber noch keine Details. Nach seiner Theorie werde Braun alle Schuld für die fehlenden 1,9 Milliarden Euro auf Wirecard-Konten seinem früheren Vorstandskollegen Jan Marsalek zuschieben, der als einstiger Chief Operating Officer – kurz COO – für das Fernost-Geschäft zuständig war. (…) Letztlich – und das befürchtet nicht nur De Masi – könnte Braun, der am Ende des Prozesses wohl gut dreieinhalb Jahre Untersuchungshaft auf dem Buckel hat, nach einem Urteil in zwei, drei Jahren wieder ein freier Mann sein. Das ist die Blaue-Augen-Theorie in dem Verfahren.

 

(…)

 

Nun bringt De Masi eine dritte Theorie ins Spiel, mit der es sich vereinfacht so verhält: Als 2015 hunderttausende Flüchtlinge nach Europa kamen, (…) schaute hierzulande mancher bewundernd auf den damals noch aufstrebenden Stern des österreichischen Politikers Sebastian Kurz, der als Außenminister und späterer Kanzler den Typus eines kompromisslosen Konservativen verkörperte, der sich in Migrations-Themen von der Willkommenskultur Merkels abzusetzen versuchte. 

 

Zugleich gab es nach Darstellung De Masis in konservativen Kreisen Deutschlands den Wunsch, stärker auf Russland zuzugehen und sich nicht zu sehr von den USA abhängig zu machen. Hier soll Marsalek mit seiner ganzen Abenteuerlust und seinem Geltungsdrang als bestens vernetzter Hobby-Agent für Geheimdienste Jobs übernommen haben.