Welt: „Hatte vier Jahre Zeit“ – Scholz nach Razzia unter Beschuss

Ein Interview mit Fabio De Masi

10.09.2021

Welt: „Hatte vier Jahre Zeit“ – Scholz nach Razzia unter Beschuss

 

"„Wenn man dieses Land führen will, dann nicht mal den Zoll auf die Reihe bekommt, dann ist das kein gutes Omen“: Fabio De Masi, stellvertretender Fraktionschef der Linken im Bundestag, attackiert den SPD-Kanzlerkandidaten nach der Razzia in seinem Ministerium. (...)

WELT: Was ist da schiefgelaufen bei den Finanzermittlern der Financal Intelligence Unit (FIU), dass jetzt sogar die Staatsanwaltschaft Razzien anordnen muss? 

Fabio De Masi, stellv. Fraktionsvorsitzender, Die Linke: 
„Das ist natürlich die Höchststrafe für den Finanzminister, denn wir haben auf dieses Problem seit 2017 aufmerksam gemacht, als ich in den Bundestag eingezogen bin. Bei der letzten Bundestagswahl war eine meiner ersten parlamentarischen Anfragen genau zu diesem Thema, den vielen unbearbeiteten Geldwäsche-Verdachtsmeldungen beim Zoll. Das Problem hat Herr Scholz von Herrn Schäuble geerbt, aber er hat sich vier Jahre dafür nicht interessiert. 

Auch bei Wirecard war es so, dass Strafvereitelung im Amt im Raum stand, weil z.B. eine sehr werthaltige Meldung der Commerzbank, wo es in die ganzen dubiosen Transaktionen bei Wirecard ging, über anderthalb Jahre nicht an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet wurde. Damit wurde gewartet bis nach der Insolvenz.

WELT: Sie haben gesagt, dass es die Warnungen schon ein paar Jahre gegeben hat, 2017, 2018, Olaf Scholz hätte davon wissen müssen. Haben Sie eine Erklärung dafür, dass er nicht reagiert hat? 

De Masi Herr Scholz ist natürlich besser darin oder er hat mehr Spaß darin, auf Schnellbooten in Venedig zu stehen und ich sage mal, irgendwelche Verhandlungserfolge bei der globalen Mindeststeuer oder so zu präsentieren, als diese sehr kraftraubend Arbeit zu machen. Er war ja eigentlich schon in der ganzen Zeit als Finanzminister eigentlich in Vorbereitung seiner Kanzlerkandidatur. Eine solche Behörde umzubauen, da muss man viel politisches Gewicht dahinter legen. Das hat er offenbar nicht gewollt. Das hat ihn nicht interessiert, denn wir haben immer wieder auf diese Probleme hingewiesen. 

Wir hatten z.B. am Anfang die Situation, dass Langzeitarbeitslose händisch Geldwäscheverdachtsmeldungen per Fax quasi abgeschrieben haben. Wir haben zu wenig kriminalistische Expertise. Das heißt viele Verdachtsmeldungen, die von der FIU bearbeitet werden. Selbst wenn sie denn weitergeleitet werden – die müssen dann von den Beamten in den Landeskriminalämtern im Prinzip komplett neu aufgesetzt werden, weil es dort einfach an geschultem Personal fehlt. Und all das sind Probleme, die waren Herrn Scholz bekannt. Wir haben ihn ja ordentlich damit genervt. Aber es hat ihn offenbar nicht interessiert. 

WELT: Herr Scholz hat gerade gesagt, dass er dafür gesorgt hat, dass diese Einheit aufgestockt wird um 100 Stellen. Ist das dann nur eine Nebelkerze?

De Masi: Nun, es ist sicherlich eine Verbesserung, dass es mehr Stellen gibt, aber es bringt ja nichts, wenn ich mehr Stellen schaffe, wenn ich nicht die richtigen Leute, nicht den richtigen Datenzugang, nicht die richtige IT-Infrastruktur habe. Denn wir haben ja damit zu tun, dass wir allein durch das Wachstum der Finanzmärkte immer mehr Meldungen in der Tendenz bekommen. Und einfach nur ein paar Jobs zu schaffen, löst ja nicht die strukturellen Probleme. Leute mit kriminalistischer Expertise, die wollen nicht zu dieser Behörde gehen. Sie hat einen desolaten Ruf und deswegen ist das schön auf dem Papier. 

In der Praxis ändert das aber sehr wenig. Und was wir bräuchten, wäre in Deutschland eine Art echtes „Geldwäsche-FBI“. Ich gebe dieses Interview jetzt gerade aus Verona, aus Italien. Italien, dem Land, dem man immer nachsagt, so große Probleme mit Korruption der Mafia zu haben. Italien hat eine bessere Anti-Geldwäsche-Gesetzgebung und hat eine Art Finanzpolizei, die sehr viel effektiver arbeitet als in Deutschland.

WELT: Das klingt nach systematischem Versagen und nicht nach Einzelfällen.

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De Masi: Das ist ein systematisches Versagen. Es ist ja auch nicht der erste Fall. Wir hatten übrigens eine ähnliche Entwicklung, eine Razzia auch bei der Behörde bereits im Juli 2020. Deswegen finde ich es auch etwas putzig, wenn sich der Finanzminister jetzt hinstellt und sagt – er suggeriert ja quasi, dass da irgendwelche finsteren Staatsanwälte ihm jetzt den Wahlkampf vermasseln wollen. Und die hätten ja auch einfach schriftlich nachfragen können. Also ich habe ganz oft schriftlich nachgefragt beim Finanzminister und nur komische Antworten erhalten. Ich bin Abgeordneter, da kann man das vielleicht machen, mit einem Staatsanwalt eben nicht. (...)


Das vollständige Interview können Sie auf Welt.de nachlesen.