Frankfurter Rundschau: Fabio De Masi: Warum der Linke nicht mehr zur Bundestagswahl antritt

Eine Presseschau mit Fabio De Masi

29.06.2021

Frankfurter Rundschau: Fabio De Masi: Warum der Linke nicht mehr zur Bundestagswahl antritt

 

"Der Bundestagsabgeordnete der Linken, Fabio De Masi, tritt nicht mehr zu der Bundestagswahl an. Darüber spricht er mit der FR.

Herr De Masi, Sie gehören seit 2017 für Die Linke dem Bundestag an. Bei den Bundestagswahlen im September treten Sie nicht mehr an. Was hat Sie am Bundestag gestört?

Meine Arbeit im Bundestag hat mir große Freude bereitet. Ich habe versucht, durch mein Engagement in der Wirtschafts- und Finanzpolitik und bei der Aufklärung von Finanzskandalen zu beweisen, dass Linke Wirtschaft können. Wir stehen vor großen Umbrüchen im Finanzmarkt durch digitales Bezahlen und die drohende Marktmacht von Tech-Konzernen wie Facebook oder Apple. Aber Politik ist ein Mannschaftssport und Leben heißt Veränderung.

Welche Rolle spielen die Kontroversen innerhalb Ihrer Partei? Stichwort: Debatte um Identitätspolitik.

Die Linke hat unter Akademiker:innen in Großstädten gewonnen. Das ist gut. Diese Leute sind aber auch schnell bei den Grünen, wenn es darum geht, die CDU im Kanzleramt zu verhindern. Und wir haben unter Arbeiter:innen und Angestellten verloren. Wer aber Mehrheiten in Deutschland will, muss Stadt, Land und Fluss beherrschen. Unsere Forderungen - etwa das Verbot von Parteispenden von Unternehmen; ein Rentensystem, in das alle einzahlen; ein funktionierender Staat in der Corona-Pandemie, der die Impfstoffproduktion ankurbelt; eine Vermögensabgabe für Milliardäre; und mehr öffentliche Investitionen - haben hohe Zustimmungswerte in der Bevölkerung. 

Aber die Leute trauen uns nicht zu, das durchzusetzen, und nehmen unsere Debatten teilweise als weltfremd oder abgehoben wahr. Dies gilt übrigens auch für die türkischstämmige Pflegerin in Schichtarbeit, die sich die Miete in der Innenstadt nicht leisten kann, und mit dem Auto zur Arbeit fahren muss, weil der Bus nicht fährt. Fakt bleibt aber: Die Grünen müssen erklären, wie sie eine gerechtere Politik mit der Union durchsetzen wollen, und wir sind der Schutzschild gegen den Abriss des Sozialstaates nach der Corona-Krise.

Hat die Linke nicht mehr den richtigen Fokus?

Es geht nicht darum, wie oft wir das Wort „sozial“ auf ein Wahlplakat drucken. Die Leute haben ein feines Gefühl, ob wir ihre Lebenswirklichkeiten kennen. Der österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky hat mal gesagt, man müsse die Leute mögen. Und wir müssen auch aufpassen. Wenn wir jetzt etwa steuerfinanzierte Mindestsicherungen fordern würden, die weit höher liegen als das, was andere nach 40 Jahren schuften bekommen, kann das den sozialen Zusammenhalt sogar gefährden, weil die Leute sagen, das mache ich nicht mit. 

Wie kann eine Lösung aussehen?

Wir müssen vor allem eine Idee davon haben, wie wir die Jobs der Zukunft schaffen. Den Job erledigt auch keine Vermögenssteuer. Die Leute brauchen in Zeiten des Wandels Sicherheit. Wir dürfen nicht immer nur dieselbe Schallplatte auflegen, sondern müssen die großen Themen der Zukunft von links besetzen. Etwa die Macht der großen Internetkonzerne oder einen Staat, der in Zeiten von Klimawandel und Pandemien schützt. Jetzt müssen wir aber kämpfen! Denn ohne Linke wird in diesem Land der Ellenbogen regieren.

Aber wäre es dann nicht gerade wichtig, in einer gewählten Funktion an einer neuen Ausrichtung der Partei zu arbeiten? 

Ich habe versucht, Impulse zu setzen, die meiner Partei nützen - etwa bei der Vermögensabgabe, der Ankurbelung der Impfstoffproduktion und der Aufklärung von Maskendeals. Mit einem Parteiamt hätte ich aber nicht mehr in der Finanzpolitik punkten können. Nur ein Beispiel: Ich war über Monate alleine im Wirecard Untersuchungsausschuss. Ich saß dort fast jede Sitzungswoche bis 4 Uhr morgens im Untersuchungsausschuss und musste fünf Stunden später um 9 Uhr weiter machen. An den Wochenenden musste ich Akten wälzen. Ich war der einzige Abgeordnete, der über Monate keine Vertretung hatte. Den Luxus, meine Macht in der Partei zu sichern, hatte ich nicht.

Sie sind in den sozialen Netzwerken sehr aktiv. Haben die Anfeindungen gegen Ihre Person auch eine Rolle für den Rückzug gespielt?

Nein, überhaupt nicht. Ich habe doch enormen Zuspruch. Übrigens bei Themen wie Wirecard und CumEx weit über die Linke hinaus. Übrigens auch auf Twitter. Aber Twitter hat mit dem echten Leben oft wenig zu tun. Natürlich wird man auch mal angefeindet. Das war bei meiner frühen Kritik an Wirecard so. Heute passiert das Selbe beim Thema Bitcoin. Aber ich finde das eher unterhaltsam."