SHZ: Fabio De Masi: „Jetzt ist Zeit für neue Abenteuer“

Ein Interview mit Fabio De Masi

19.06.2021

SHZ: Fabio De Masi: „Jetzt ist Zeit für neue Abenteuer“

 

"Es war eine sehr persönliche Auslandsreise, die für den Hamburger Abgeordneten nach Corona und monatelangem Wirecard- Untersuchungsausschuss nicht länger aufzuschieben war. Und die ihn nach seiner Rückkehr wegen der bevorstehenden Plenarsitzung in Berlin in Quarantäne zwang. Manfred Ertel empfing er im Video-Stream und sprach mit ihm über Erfahrungen und künftige Pläne – frei und befreit.

Herr de Masi, haben Sie Ihren Abschied aus dem Bundestag eigentlich schon mal kurz bedauert?

Nein, sicher gibt es Momente, an denen ich wehmütig bin. Ich werde die großen Redeschlachten vermissen oder die Möglichkeit, Themen zu setzen. Es gibt aber so viele schöne Dinge im Leben, gerade auch jetzt nach Corona, dass ich mich auf die neugewonnenen Freiheiten freue. Politik ist eine Droge um Aufmerksamkeit. Wenn man dann runter ist, merkt man vielleicht auch, dass Politik oft ein Raumschiff ist.

Wie lange haben Sie mit Ihrer Entscheidung gerungen, und von wem haben Sie sich beraten lassen?

Ich habe dies vor einem Jahr endgültig entschieden. Es gab viele Leute, die versucht haben, mir das auszureden. Aber den Ausschlag gab mein Sohn. Im Bundestag bekommt man den ganzen Tag das Gefühl, eine wichtige Person zu sein. Aber die meisten interessieren sich nicht für dich als Person, sondern für deine Rolle. Im wahren Leben zählen Familie und Freunde, nicht die Freunde auf Facebook. Ich glaube, dass viele Politiker und Politikerinnen deswegen nicht aufhören, weil sie Einsamkeit fürchten. Aber ich bin Anfang 40, ich habe einen tollen Sohn, von dem ich sieben Jahre zu viel verpasst habe. Jetzt wird er zwölf Jahre alt, und ich muss langsam darum kämpfen, bei ihm noch einen Termin zu bekommen. Das ist jetzt meine Chance.

Ihr italienischer Großvater wäre stolz auf Sie als Bundestagsabgeordneter gewesen, haben Sie mal gesagt. Wäre er jetzt nicht traurig, dass Sie so schnell aufgeben?

Nein, mein Großvater wäre der Erste gewesen, der gesagt hätte, du machst das genau richtig. Er war ein einfacher Mann. Daher wusste er, was im Leben zählt. Und mein Vater, der selbst spät noch mal Vater geworden ist, war der Erste, der sofort sagte: Du machst das richtig.

Trotzdem klang Ihre Erklärung zum Abschied auch etwas genervt über den Zustand der Politik. Was läuft da falsch?

Ich will das positiv formulieren: Ich glaube, dass die Linke, nicht nur wir als Partei, sondern auch in der SPD, viel stärker und erfolgreicher sein könnte, wenn wir Ungerechtigkeiten stärker in den Mittelpunkt stellen und Sicherheit stiften. Beispiel Klima: Viele Menschen wissen ganz genau, dass sie ihren Kindern und Enkeln keine Welt hinterlassen wollen, in denen es Wetterextreme und Verwüstung gibt. Aber es reicht nicht, wenn ich dann als Professor, der sich eine hohe Miete in der Innenstadt leisten kann, von oben herab mit dem Finger auf diejenigen zeige, die mit ihrem alten Schrottdiesel zur Arbeit in die Stadt fahren müssen und kein Bio-Schnitzel kaufen. Der Professor fährt vielleicht mit dem Fahrrad zur Uni, macht aber öfters eine Fernreise als der Malocher, der sich schon die Miete in der Innenstadt nicht mehr leisten kann. Unsere Aufgabe ist doch, massiv in die Verkehrswende zu investieren, damit auch auf dem Land die Bahn kommt. Die Menschen erwarten, dass wir Probleme lösen. Wenn ich das nicht mehr tue, sondern mich nur noch wie auf dem Kirchentag darüber auslasse, ob jemand ein guter oder ein schlechter Mensch ist, dann gewinne ich die Menschen nicht.

Sind Haltung und Moral oft wichtiger als der politische Streit um die beste Lösung für Probleme?

Die öffentlichen Debatten, siehe Corona oder Flüchtlingskrise, sind oft sehr unversöhnlich. Das spaltet unser Land. Davon profitieren aber Maulhelden wie die AfD, die Menschen aufgrund ihrer Herkunft abwertet und für alle Probleme verantwortlich macht. Genauso falsch ist es aber, Menschen abzuwerten, weil sie etwa „alte weiße Männer“ sind. Die sozialen Medien sind oft oberflächlich wie Werbespots. Der alte weiße Mann Bernie Sanders kämpfte sein Leben lang für höhere Löhne für Afroamerikaner und Latinos in den USA. Amazon macht antirassistische Werbespots, setzt aber schwarze Arbeiter vor die Tür, weil sie Gewerkschaften gründen wollen. 

Macht und Mehrheiten werden heutzutage oft durch „Likes“, „Herzchen“ und mithilfe von „Followern“ in den Sozialen Medien zementiert. Was ist in der politischen Auseinandersetzung passiert?

Ich würde mir wünschen, dass wir wieder mehr Streitkultur wagen. Mein italienischer Großvater war Widerstandskämpfer und Kommunist und meine deutsche Großmutter war bei derCDU. Ich habe beide sehr gern gehabt, beide haben mir sehr unterschiedliche Sachen erzählt. Und beides war für mich eine Bereicherung. Bis heute kann ich mit CDUWählern sehr gut diskutieren, weil ich die Denkweise verstehe. Ich werte niemanden wegen seiner Haltung ab, ich kann Wahlen nur gewinnen, wenn ich Menschen überzeuge, die ich bisher nicht erreicht habe.

Sonst ...?

Sonst tappen wir in eine Falle. Wer die Unterschiede zwischen Menschen größer macht als die Gemeinsamkeiten, schadet sozialer Politik. Das ist ein Spielfeld, auf dem die Rechten am Ende gewinnen. Donald Trump hat uns das natürlich vorgemacht. Natürlich ist Sprache nicht egal. Wenn aber mehr über korrekte Sprache gestritten wird als über die Niedriglöhne von Millionen Frauen oder mehr über Erklärungen von Schauspielern, als dass Afrikaner Impfstoffe bekommen, läuft etwas falsch. Wir müssen raus aus unserer Internetblase. Dort ist es oft nur wie im Fußballstadion, wenn es darum geht, welche Fan-Gruppe ist lauter. Am Ende erreiche ich da immer nur meine eigenen Hooligans.

Haben Sie einen echten Plan für das Leben danach oder ist die letzte Ausfahrt dann doch wieder Politik, zum Beispiel in einer grün-rot-roten Bundesregierung?

Ich strebe in den nächsten Jahren kein politisches Amt an. Hamburg ist das Tor zur Welt. Schon als junger Mann, als ich zum Studium her kam, stand ich oft vor den Containern im Hafen und mich packte das Fernweh. Ich bin dann nach Kapstadt ans andere Ende der Welt gegangen. Ich will jetzt eine Weile dorthin zurück und werde nächstes Jahr für eine Stiftung zur Zukunft der Finanzmärkte arbeiten. Gern würde ich mich auch im Umfeld des FC St. Pauli engagieren. Erst mal werde ich aber ein Buch schreiben...

Worüber?

Ich kann noch nicht zu viel verraten, aber wahrscheinlich über meine Geschichte als Finanzdetektiv in zwei Parlamenten und was ich so erlebt habe, auch aus unterhaltsamer Sicht.

Was bedeutet Heimat für Sie?

Heimat ist ein Ort, an dem Menschen sind, die mich verstehen. An denen man eine gemeinsame Geschichte hat. Jeder Mensch braucht Wurzeln, gerade in einer Welt, die sich immer schneller dreht. Ich hatte immer viele Herzen in meiner Brust. Ich habe mich in Südafrika verliebt, bin gerne bei meiner Familie in Italien und meine Heimat ist St. Pauli. Vielleicht komme ich irgendwann zur Ruhe. Jetzt ist erst mal die Zeit für neue Abenteuer. Wenn ich  dann aber in Kapstadt sitze und dort die Container von Hamburg-Süd reinkommen, werde ich sicher auch Heimweh bekommen.

Wie erleben Sie hier in Deutschland die Diskussion über Rassismus vor dem Hintergrund Ihrer Südafrika-Erfahrungen?

Die große Mehrheit will in guter Nachbarschaft zusammenleben. Bei mir auf St. Pauli fragt keiner, wo kommst du her. Man kommt von St. Pauli. Dafür brauchen wir uns nicht mit der Pinzette anzufassen, sondernmüssen uns mal streiten und wieder vertragen. In der Schule war ich mit meinem Namen ein Exot, ich wurde sogar Spaghettifresser genannt. Aber ich habe mich dagegen behauptet. Wir haben das als Kinder unter uns ausgemacht. Da gab es auch mal was auf die Ohren. St. Pauli ist immer noch ein Stadtteil, der zeigt, dass das sehr gut funktioniert, wenn Menschen zusammenleben und auch zusammen arbeiten. Wenn ich immer die Unterschiede von Menschen betone, dann schaffe ich zu wenig Gemeinsamkeiten."