»Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion«

05.09.2018

Auswertung der Antwort der Bundesregierung vom 20.07.2018 auf die Kleine Anfrage „Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion“ (BT-Drs. 19/2943) von Fabio De Masi u.a. und der Fraktion DIE LINKE im Bundestag.

 

Zusammenfassung:

Die Bundesregierung geht in ihrer Antwort auf verschieden Aspekte der wirtschaftlichen Entwicklung in der Eurozone sowie der Reform der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) ein, insbesondere die Kritik an den deutschen Leistungsbilanzüberschüssen, die Vollendung der Bankenunion und ihre Position zu Vorschlägen zur Reform der WWU.

Die Bundesregierung weißt eine politische Verantwortung für die deutschen Leistungsbilanz-überschüsse zurück und sieht somit auch nur eine geringe Möglichkeit für die (deutsche) Politik, hier gegenzusteuern. Andererseits gibt sie aber durchaus der expansiven Fiskalpolitik z.B. in den USA eine Mitschuld an den bestehenden Leistungsbilanzungleichgewichten. Die Antwort der Bundesregierung in diesem Punkt ist unlogisch, denn im Umkehrschluss könnte dann eine expansive Fiskalpolitik in Deutschland, z.B. über öffentliche Infrastrukturinvestitionen, einen Beitrag zur Senkung der deutschen Überschüsse leisten.

Die Bundesregierung sieht im deutschen Bilanzüberschuss auch kein makroökonomisches Ungleichgewicht, obwohl dieser die europäische Höchstgrenze von 6% vom BIP seit Jahren übersteigt.

Die Antwort der Bundesregierung zeigt eine zurückhaltende bis ablehnende Haltung gegenüber bisher gemachten Vorschlägen zur Reform der WWU, z.B. von Seiten des französischen Präsidenten Emmanuel Macrons oder der EU-Kommission. Trotz der Bilanz der Kürzungsbilanz in den letzten Jahren, sieht die Bundesregierung den Schlüssel zur Stabilisierung der Eurozone weiterhin in der Einhaltung der Verschuldungsregeln. Zusätzliche Mittel für die Einrichtung eines Eurozonen-Haushalt, wie in der Meseberg-Erklärung prinzipiell mit Frankreich vereinbart, lehnt die Bundesregierung vorerst ab.

Eine Banklizenz für den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) bzw. einen zukünftigen Europäischen Währungsfonds (EWF) lehnt die Bundesregierung ab.

Bei der Vollendung der Bankenunion hält die Bundesregierung weiterhin einen Abbau von Risiken im Bankensektor und eine Reduzierung des Bestands an notleidenden Krediten für notwendig, um Verhandlungen über die Einführung einer europäischen Einlagensicherung zu beginnen. Die Bundesregierung sieht keine Möglichkeit für einen neuen Anlauf für eine europäische Bankenstrukturreform zur Aufspaltung systemrelevanter Megabanken nach der nächsten Europawahl.

 

O-Ton Fabio De Masi, finanzpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Bundestag:

„Die Bundesregierung will den Eurozonen-Haushalt hinter die nächste Wahl schieben, um ihn zu beerdigen. Ein Haushalt ohne Geld ist nicht besser als kein Haushalt. Wenn der Eurozonen-Haushalt zudem über die Umschichtung anderer Mittel aus dem mehrjährigen Finanzrahmen gefüllt wird - nach dem Motto `linke Tasche, rechte Tasche` - ist überhaupt nichts gewonnen, weil es zu keinen zusätzlichen Investitionen kommt. Es wäre daher wohl sogar sinnvoller mehr Spielräume für Investitionen auf nationaler Ebene zu schaffen. Dies erfordert eine goldene Regel, die Investitionen aus den Defizit Kriterien raus rechnet.

Die Stabilisierung der Eurozone braucht eine Korrektur der deutschen Wirtschaftspolitik und einen Abbau der chronischen Leistungsbilanzüberschüsse. Deutschland muss durch öffentliche Investitionen und starke Lohnsteigerungen seine Binnennachfrage stärken. Ein Europäischer Währungsfonds hat nur Sinn, wenn er über eine Banklizenz verfügt, um sich bei der EZB Geld zu leihen und direkt öffentliche Investitionen zu finanzieren. Denn das Problem der Eurozone ist kein Mangel an Fremdwährungen sondern an öffentlichen Investitionen.

Eine europäische Einlagensicherung für die Bankenunion ist nur dann sinnvoll, wenn Risiken in den Bankbilanzen abgebaut werden, bevor sie gestreut werden. Die Sparkassen und Genossenschaftsbanken mit eigener Institutssicherung dürfen nicht für Casino-Banken verhaftet werden. Die Kürzungspolitik verhindert einen Abbau fauler Kredite in den Bankbilanzen bzw. neue Investitionen und somit gute Kredite. Zudem braucht es endlich eine Bankenstrukturreform zur Aufspaltung systemrelevanter Megabanken wie der Deutschen Bank.“

 

 

Ergebnisse im Einzelnen:

  • Bundesregierung legt bei der Reform der WWU den Schwerpunkt weiterhin auf „gesunde und auf Dauer tragfähige öffentliche Finanzen“, in der Verantwortung der jeweiligen Regierungen (z.B. Antwort Fragen 6, 9, 16)); kein Eurozonen-weiter Ansatz für Wirtschaft- und Fiskalpolitik und keine gemeinsame Schockabsorptionsmechanismen
    • Zur Vereinfachung von Staatsinsolvenzen befürwortet die Bundesregierung Staatsanleihen mit single-limb aggregation CACs (Antwort Frage 1); das verhindert, das hold-out Investoren („Geierfonds“) einen Schuldenschnittblockieren
    • Die Bundesregierung erwartet davon keinen zusätzlichen Risikoaufschlag auf Renditen (Antwort Frage 2); in der Praxis gab es aber bei italienischen Bonds Kursreaktionen auf die Meseberg-Erklärung
    • Die Bundesregierung befürwortet die Einführung einer Risikogewichtung auf Staatsanleihen im Einklang mit der ECOFIN-Roadmap von 2016 (Antwort Frage 15); zu den möglichen Auswirkungen auf den Finanzsektor (höherer Kapitalbedarf, Kapitalkosten) oder Risikoaufschläge(Renditen) äußert sie sich nicht
    • Die Bundesregierung lehnt Ausnahmen einzelner Schuldenkategorien von den Maastricht-Regeln ab (Antwort Frage 44); die bedeutet, dass z.B. höhere Rüstungsausgaben oder Mehrbelastungen durch den Brexit über höhere Einnahmen oder Kürzungen anderswo (im Sozialbereich?) kompensiert werden müssten
  • Mit Bezug auf die Vollendung der Bankenunion verweist die Bundesregierung auf die ECOFIN-Roadmap vom 2016
    • Vor einer politischen Einigung auf eine europäische Einlagensicherung (EDIS) müssen substantielle Fortschritte beim Risikoabbau im Bankensektor erfolgen, nämlich bei Verlustabsorptionspuffern aus dem Bankenpaket, einer Mindestharmonisierung des Insolvenzrechts, der Risikogewichtung von Staatsanleihen (vgl. auch Frage 15) und dem Abbau von non-performing loans (Antwort Frage 20); die Bundesregierung nennt aber keine konkreten Ziele
    • Zur Frage der Kompatibilität von EDIS mit bestehenden Institutssicherungssystemen äußert sich die Bundesregierung nicht, da noch keine Endscheidung für EDIS gefallen sei (Antwort Frage 21)
    • Beim Abbau von NPL sieht die Bundesregierung Fortschritte, aber noch zu hoher Bestand in einigen Mitgliedsstaaten (Antwort Frage 19)
    • Die Bundesregierun befürwortet die Letztsicherung des SRF über den ESM, maximal in der Höhe des Zielvolumens (ca. 55 Mrd. Euro; 1% der gedeckten Einlagen) (Antwort Frage 23)
    • Bankenstrukturreform ist nach Ansicht der Bundesregierung momentan gescheitert und einer neuer Anlauf allenfalls nach den Europawahlen denkbar (Antwort Frage 22)
  • Die Bundesregierung sieht die wirtschaftliche Entwicklung der Eurozone positiv und verweist auf 20 Quartale Wachstum in Folge (Antwort Frage 36)
    • Sie sieht kein akutes Risiko für neue Schuldenkrise, verweist aber die Verantwortung der jeweiligen Regierungen für „gesunde und auf Dauer tragfähige öffentliche Finanzen“ (Antworten Fragen 9 und 40)
    • Bundesregierung sieht kein Deflationsrisiko im Euroraum (verweist auf EZB) (Antwort Frage 38)
    • Niedrigzinsphase birgt nach Ansicht der Bundesregierung Risiko von Fehlallokationen und Aufbau von Risikopositionen im Finanzsektor (Antwort Frage 40)
    • Aber Ertragslage von Banken und Versicherern verbessert (Antwort Frage 40), so dass bei Zinswende zwar Gewinneinbrüche aber keine systemischen Probleme im Inland zu erwarten sind (Antwort Frage 41)
  • Die Bundesregierung sieht keine politische Verantwortung für die Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands und der Eurozone; diese seinen Marktentscheidungen und anderen äußeren Faktoren geschuldet (Antworten Frage 8, 36)
    • Die Politik können deshalb nur bedingt aktiv gegensteuern und  täte dies, über eine Verbesserung des Investitionsklimas (für private Investitionen) und höhere Ausgaben über die Legislaturperiode (Antwort Frage 11); diese Ausgabe liegen allerdings im Promillebereich, so dass kein großer Effekt zu erwarten ist
    • Die Bundesregierung Verweist zudem auf den Einfluss expansiver Finanz- und Wirtschaftspolitik in den USA und anderswo auf die europäische und deutsche Leistungsbilanz (Antwort Frage 11) und den Zusammenhang mit anderen sektoralen Finanzierungssalden (Antwort Frage 8), so dass sie hier nicht konsistent antwortet;  Eine expansive Haushaltspolitik wäre geeignet, den Leistungsbilanzüberschuss abzubauen
    • Die Bundesregierung sieht im deutschen Leistungsbilanzüberschuss aber kein übermäßiges Ungleichgewicht (Antwort Frage 11)
    • Zudem sieht sie keine Notwendigkeit einer Reform des makroökonomischen Ungleichgewichtsverfahrens (Antwort Frage 10)
  • Zu institutionellen Reformen in der Eurozone antwortet die Bundesregierung zurückhaltend
    • Die Diskussion um eine Reform des ESM sieht die Bundesregierung unabhängig vom Kommissionsvorschlag (Antwort Frage 24) und erst nach Abschluss der Reform käme eine Überführung in Unionsrecht in Frage (Antwort Frage 25)
    • Eine Banklizenz für den ESM lehnt die Bundesregierung ab (Antwort Frage 26)
    • Die Bundesregierung hat kein Interesse an einem EU-Finanzminister (Antwort auf Fragen 27-29)
    • Die demokratische Legitimation und Kontrolle der Eurogruppe betrachtet die Bundesregierung als ausreichend (Antwort Frage 30); diese ist allerdings sehr indirekt (Minister werden von der Kanzlerin benannt, die vom Bundestag gewählt wird, der direkt gewählt wird) (Kontrolle lediglich über Informationsrechte des Bundestags über die Bundesregierung, nicht direkt an europäische Institutionen)
    • Zum Eurozonen-Haushalt verweist die Bundesregierung auf den Minimalkompromiss mit Frankreich (Meseberg-Erklärung); Einführung nach 2021 im EU-Rahmen bisher ohne Mittel; Einführung eines Stabilitätsfonds für Arbeitslosigkeit soll geprüft werden (Antwort Frage 31)
    • Bei Haushaltsinstrumenten für die Unterstützung von Strukturreformen und zur Konvergenzfazilität betont die Bundesregierung die Notwendigkeit von Strukturreformen in einzelstaatlicher Verantwortung und betont, dass Fehlanreize vermieden werden müssen (Antworten Frage 32 und 33)
  • Die Bundesregierung sieht die Voraussetzungen für einen Euro-Beitritt Bulgariens noch nicht als erfüllt an, begrüßt aber die Absicht Bulgariens, dem WKM II beizutreten (Antwort Frage 34)
  • Die Bundesregierung lehnt den Vorschlag der Kommission zur Einführung von sovereign bond backed securities (SBBS) ab (Antwort Frage 17)
  • Die Bundesregierung sieht einen positiven Effekt des EFSI auf die Investitionstätigkeit (Antwort Frage 13)
  • Die Kritik des Europäischen Rechnungshofs an ÖPP Projekten in der Eurozone sieht die Bundesregierung als nicht zutreffend für Deutschland (Antwort Frage 14); der Bundesrechnungshof kritisiert allerdings auch regelmäßig ÖPP Projekte
  • Zu den abgefragten Zahlen (Antworten Frage 7 und 12):
    • Der öffentliche Schuldenstand ist vor allem in Griechenland, Italien, Portugal und Belgien sehr hoch (>100% des BIP); Spanien und Frankreich als große Volkswirtschafen habe eine Schuldenquote knapp unter 100%
    • Die Verschuldung privater Haushalte ist in den Niederlanden und Zypern besonders hoch
    • Die Investitionsquote in Deutschland ist konstant, aber vor allem die öffentlichen Investitionen liegen im niedrigen Bereich im Vergleich mit anderen Ländern

Hierzu liegt eine Antwort der Bundesregierung als Drucksache Nr. 19/3542 vor: 

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