"Ein Putsch aus Berlin"

Interview im Freitag mit Fabio De Masi zur Euro-Krise, Italien und Angela Merkel

12.06.2018

07.06.2018, Interview in der Freitag: "Ein Putsch aus Berlin"

Führt die Bundesregierung ihre Politik fort, wird die Währungsunion zerbrechen, sagt der Linken-Abgeordnete Fabio De Masi.

Griechenland war gestern: Bei der jetzt heraufdämmernden Krise des Euro geht es um Italien, die drittgrößte Volkswirtschaft der Währungsunion - und um Angela Merkel, sagt Fabio De Masi.

der Freitag: Herr De Masi, Sie sagen, Deutschland sei eine größere Gefahr für den Euro als Italien.

Fabio De Masi: Das ist die Meinung vieler internationaler Ökonomen: Deutschland verfolgte mit der Einführung des Euro und der Agenda 2010 eine Politik der realen Abwertung: Wir haben hinreichende Lohnzuwächse unterdrückt, sodass wir immer billiger werden. Deutschland verkauft seit vielen Jahren mehr ins Ausland, als es von dort importiert. Das aber heißt, dass unsere Handelspartner anschreiben, also Schulden machen müssen. Die Kürzung von Löhnen, Renten und Investitionen in der Euro-Krise, die Privatisierung von allem, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, war fatal. Die Euro-Zone hat sich daher im internationalen Vergleich langsamer erholt als andere Wirtschaftsräume.

In Deutschland denkt man gemeinhin, die hohe Exportquote läge an der Qualität deutscher Autos. Und die Lohnzurückhaltung sei nötig, um Arbeitslosigkeit abzubauen. Sollen es die anderen doch einfach so machen wie wir!

Das ist Mickey-Mouse-Ökonomie. Sind unsere Ingenieure seit Einführung des Euro wirklich dreimal besser geworden als vorher? Wenn jemand exportiert, muss jemand anders importieren. Wir können ja nicht alle auf den Mars exportieren. Der Exportjunkie Deutschland könnte durch die Strafzölle von Donald Trump bald auf kalten Entzug gesetzt werden. Wir haben nun viele Jahre Arbeitslosigkeit exportiert. Hätten wir unsere Binnenwirtschaft gestärkt, hätten wir auch mehr Jobs, aber mit vernünftigen Löhnen.

Aber stimmt nicht auch, dass Italien seine Hausaufgaben nicht gemacht hat? Was ist Italiens Werk, was ist Deutschlands Beitrag?

Natürlich braucht Italien Strukturwandel, und ja, es gibt dort viele hausgemachte Probleme. Aber man schafft Strukturwandel nicht, indem man alles kaputtkürzt, sondern nur, indem man investiert. Italien hatte nach Deutschland einen der höchsten Anteile des verarbeitenden Gewerbes. Das ist futsch, weil das Instrument der Abwertung seit dem Euro-Start verloren ging.

Wie könnte man das ändern?

Sosehr ich die Lega verabscheue: Italien braucht eine andere Wirtschaftspolitik. Investieren heißt nicht zwingend, mehr Geld aus Brüssel zu bekommen, wenn daran Auflagen wie weitere Lohn- und Rentenkürzungen geknüpft sind. Stattdessen müsste man Italien ermöglichen, dass öffentliche Investitionen aus den Maastricht-Kriterien ausgenommen werden. Die Bundesregierung strebt so etwas ausgerechnet für die Rüstung an.

Aber ist Italiens Schuldenberg nicht jetzt schon zu groß?

Italiens Schulden sind vor allem Altlasten aus den 1980ern. Wenn das Wachstum unter den Zinsen bleibt, erhöht sich natürlich der Schuldenberg. Es gäbe zwei Möglichkeiten: Entweder müsste Italien mit Hilfe der Zentralbank umschulden oder dafür sorgen, dass durch Investitionen Wachstum entsteht und die Schulden bedient werden können. Jedes Kind weiß: Ich kann Schulden nur bedienen, wenn ich auch Einkommen habe.

Hat Günther Oettinger jüngst nicht einfach ausgesprochen, was man auch in Berlin und Brüssel insgeheim denkt: dass die Finanzmärkte für Staatsanleihen Italiens neue Regierung schon in die Spur zwingen werden?

Italien spricht nicht Deutsch, und Blackrock oder Moody's sind keine Regierung. Auf die Rationalität der Märkte würde ich mich nicht verlassen. Vor der Euro-Krise war die Weisheit der Märkte so groß, dass jede Menge billiges Geld in spanische Immobilienblasen geflossen ist. Hinterher haben die Märkte die Hand aufgehalten, als es um Rettungspakete ging. Wenn Italien seine Schulden nicht mehr bedienen kann, wären die französischen Banken schnell im Eimer, dann die spanischen, auch die Deutsche Bank. Die Rationalität der Märkte kann also sehr, sehr teuer werden. Die EZB und Mario Draghi haben sich ja gegen die Märkte gestellt, als sie begannen, Staatsanleihen zu kaufen.

Das war auf dem Höhepunkt der Staatsschuldenkrise 2012. Tatsächlich haben viele deutsche Beobachter Draghis Vorgehen seitdem scharf kritisiert.

Man kann ja kritisieren, dass das billige Geld nicht in der realen Wirtschaft ankommt, weil gekürzt wird, bis es kracht. Aber mit Angela Merkels Autopilot würde der Euro auseinanderfliegen. Ich bin übrigens niemand, der sagt, man muss den Euro um jeden Preis verteidigen, ich halte es eher mit dem Ökonomen Joseph Stiglitz: Wenn die Bundesregierung ihre derzeitige Politik fortführt, wird der Euro zerbrechen. Der Preis, permanente Lohnund Rentenkürzungen, wird irgendwann zu hoch. Man sieht das in Italien.

Tatsächlich hätten eine technokratische Regierung und eine Fortführung des Brüssel und Berlin genehmen Sparkurses im italienischen Parlament keine Mehrheit mehr.

Eine technokratische Regierung ist ja eigentlich nur eine diplomatische Umschreibung eines Putsches aus Brüssel und Berlin beziehungsweise dafür, dass Statthalter der Finanzmärkte eingesetzt werden. Für Merkel ist das vielleicht marktkonforme Demokratie, aber die Italiener haben das schlichtweg abgewählt.

Geht Merkels Antwort auf Macrons Reformvorschläge für die Euro-Zone in die richtige Richtung?

Weder die Vorschläge von Macron noch jene von Merkel werden den Euro retten. Das zentrale Problem der Euro-Zone besteht ja darin, dass wir zwar eine gemeinsame Währung haben, aber die größte Volkswirtschaft Europas, Deutschland, lange Zeit künstlich abgewertet hat, indem die Löhne gedrückt wurden, und permanent Exportüberschüsse erzielt. Macron traut sich nicht, die Bundesregierung zu stellen. Stattdessen sagt er: Wir machen jetzt auch eine Agenda 2010 in Frankreich, und als Belohnung wollen wir ein bisschen Taschengeld aus Brüssel. Das kann nicht funktionieren.

Das Gespräch führte Pepe Egger und erschien hier online.

Fabio De Masi, 38, wurde in Groß-Gerau als Sohn eines italienischen Gewerkschafters und einer deutschen Sprachlehrerin geboren. Seit 2017 gehört der Ex-Europaparlamentarier dem Bundestag an. De Masi ist stellvertretender Vorsitzender der Linksfraktion und deren Obmann im Finanzausschuss des Bundestags.