DJ Twitter

Warum Twitter fasziniert, aber nicht immer gut für die Demokratie ist. Fabio De Masi kündigt im Gespräch mit der ZEIT ein Kunstprojekt an: Eine Bundestagsrede, die nur aus Tweets anderer Politiker besteht.

25.04.2018

Der Linken-Abgeordnete Fabio De Masi über sein Leben mit den Kurznachrichten. Interview: Marc Brost und Heinrich Wefing

DIE ZEIT: Herr De Masi, von allen Abgeordneten des Bundestags sind Sie am längsten auf Twitter – seit dem 15. Mai 2008.

Fabio De Masi: Ja, ich habe diese Statistik auch gelesen und konnte es erst gar nicht glauben.

ZEIT: Wieso?

De Masi: Meine Anfänge auf Twitter waren etwas seltsam. Ich erinnere mich an eine Diskussion mit einem Mitarbeiter, der mich überzeugen wollte, dass ich einen Twitter-Account brauche. Das muss zur Europawahl 2014 gewesen sein. Ich habe mich gesträubt. So einen Unsinn will ich nicht, habe ich gesagt. Er hat mich dann doch überzeugt, und dann stellten wir fest: Ich hatte schon einen! Nur eben ungenutzt. Ich habe anfangs meinen Bruder verdächtigt, dass er mich heimlich angemeldet hat. Der jubelt mir immer überflüssige Technik unter. Aber ich muss es tatsächlich selbst gewesen sein. Offenbar schon 2008.

ZEIT: Wie viele Tweets schreiben Sie heute am Tag?

De Masi: Manchmal gar keinen, gestern waren es innerhalb einer Stunde vier. Ich hatte gerade zu Abend gegessen, hab noch mal über die Nachrichtenlage nachgedacht, und dann fiel mir zu verschiedenen Themen was ein.

ZEIT: Halten Sie Twitter immer noch für Unsinn?

De Masi: Nein, ich lehne Twitter ja nicht grundsätzlich ab. Ich halte die Beschränkung auf 280 Zeichen sogar für spannend, sie schult den Blick für das Wesentliche. Außerdem ist Twittern ein bisschen wie früher die Rauchzeichen bei den Indianern, durch Retweeten kann man die Tweets von anderen teilen, und es gibt eine Art Abstimmung per Knopfdruck darüber, welche Botschaft interessant ist.

ZEIT: Was lehnen Sie ab?

De Masi: Man muss im Social-Media-Markt sehr schnell mit einem knackigen Statement raus, um weiter im Geschäft zu sein. Man sollte aber öfters länger nachdenken, bevor man einen Knopf drückt. Wenn Algorithmen von Facebook oder Tweets von Donald Trump die Debatte beherrschen, ist unsere Demokratie gefährdet.

ZEIT: Twittern Sie auf dem Smartphone?

De Masi: Ja, aber nicht im Plenum, dort gibt’s ein offizielles Twitter-Verbot von Wolfgang Schäuble. Ich finde das übrigens sinnvoll, denn wenn alle immer nur auf ihr Smartphone starren, passt das nicht zur Rolle des Parlaments. Im Europäischen Parlament gab’s kein Verbot, und als einmal der Papst da war, haben die Abgeordneten die ganze Zeit ihre Smartphones und Tablets hochgehalten und fotografiert und die Bilder gepostet. Das fand ich unwürdig.

ZEIT: Darf in der Fraktion getwittert werden?

De Masi: Ja, das nervt oft. Vor allem wenn Streit aus Fraktionssitzungen an die Medien durchgestochen wird. Natürlich gehört öffentlicher Streit dazu, aber man muss sich auch in die Augen schauen können, ohne dass jedes Statement getwittert wird oder anders an die Presse durchsickert. Das verhindert ehrliche Debatten.

ZEIT: Das haben Sie noch nie gemacht?

De Masi: Nein, das ist nicht meine Art, Politik zu machen. Und es stößt die Menschen ab.

ZEIT: Viele Ihrer Kollegen sehen das offenbar anders.

De Masi: Es gibt in allen Parteien Leute, die schneller twittern als ihr Schatten. Die können das Wasser nicht halten, auch nicht auf Twitter. Das ist aber eher eine Charakterfrage, keine Frage der politischen Einstellung.

ZEIT: Haben Sie schon mal einen Tweet bereut?

De Masi: Wenn ich sachliche Fehler mache, ärgert mich das sehr. Das kommt natürlich vor. Es gab auch mal eine Meldung, der Bankenverband habe einen Maulwurf im Bundesfinanzministerium. Da habe ich mir den Scherz erlaubt, zu twittern: Ach, ist Peer Steinbrück (der damalige Finanzminister, Anm. d. Red.) jetzt aufgeflogen? Da hat mich sofort Norbert Walter-Borjans angetweetet, der damalige SPD-Finanzminister von Nordrhein-Westfalen. Der schrieb, das sei doch unter meinem Niveau. Da ich ihn mag, habe ich darüber nachgedacht, ob mein Tweet verletzend war. Aber bereut wäre zu stark.

ZEIT: Was wäre Politik ohne Twitter?

De Masi: Vielleicht entspannter. Man hätte mehr Zeit zum Nachdenken. Und ich glaube, es ist ganz gut, wenn man sich in der Politik ins Gesicht schaut und mit echten Menschen spricht. Unsere Facebook-Freunde sind ja auch nicht unsere wahren Freunde.

ZEIT: Folgen Sie Donald Trump auf Twitter?

De Masi: Nein. Aber ich folge Bernie Sanders, und da sehe ich dann häufig, wie Sanders die Tweets von Trump kommentiert. Interessant finde ich allerdings schon, wie Trump quasi sein komplettes politisches Programm über Twitter verkündet.

ZEIT: Trump entlässt auch seine Minister per Tweet. Halten Sie so etwas in Deutschland für möglich?

De Masi: Frau Merkel spricht ja immer erst das vollste Vertrauen aus, ehe sie jemanden feuert. Und das macht sie in der Regel nicht über Twitter.

ZEIT: Wird Politik flüchtiger durch Twitter?

De Masi: Weiß ich nicht. Kennen Sie Kenneth Goldsmith? Das ist ein US-Schriftsteller, Obama hat ihn mal ins Weiße Haus eingeladen. Goldsmiths These ist, dass im Prinzip alles schon einmal gesagt oder gedacht wurde. Wir haben eine geniale Idee, und dann stellen wir irgendwann fest: Die gibt es schon längst. Goldsmith sagt daher, statt ständig neue Literatur schaffen zu wollen, statt – wie er das formuliert – eine Pipette Kreativität in einen Ozean zu träufeln, sollte man Bekanntes neu kombinieren. So wie DJs, die Songs sampeln. Und das hat mich auf einen Gedanken gebracht: Ich will eine Bundestagsrede halten, die nur aus Tweets anderer Politiker besteht. Die werden das gar nicht merken. Das könnte ein spannendes Experiment werden.

ZEIT: Mit Tweets von Politikern aller im Bundestag vertretenen Parteien?

De Masi: Ja, ich könnte das ja umsortieren. Einen neuen Kontext schaffen, es mit anderen Zitaten kombinieren. Es zeigt, wie austauschbar manche Phrase ist.

ZEIT: Jetzt sind Sie im Wort.

De Masi: Abgemacht. Am Ende dieser Legislaturperiode. Seien Sie gespannt.