Deutschland schmarotzt die Nachfrage der Anderen

Mein Interview bei Makroskop über Sparpolitik, „Mafianomics“ und Wirtschaftsnationalismus in Europaflagge

23.06.2017
Fabio De Masi

Das Interview erschien am 23. Juni 2017 auf makroskop.eu

Der Europaabgeordnete Fabio de Masi im Gespräch über die Sparpolitik, „Mafianomics“ und Wirtschaftsnationalismus in Europaflagge.

Seit 2014 sitzt Fabio De Masi für Die Linke im Europäischen Parlament und ist dort Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON). Den Kampf gegen die Kürzungspolitik bezeichnet er als „Markenkern“ seiner politischen Arbeit. Schon bald könnte das Gesicht des gebürtigen Hessen mit italienischen Wurzeln in Deutschland bekannter werden. De Masi wurde zum Hamburger Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl 2017 nominiert. Nico Beckert sprach mit ihm in Brüssel.

Herr De Masi, im deutschen Sprachgebrauch gibt es zahlreiche Sprichwörter zur Sparsamkeit: „Spare in der Zeit, so hast du in der Not.“ Am Berliner Rathaus soll es gar den Spruch geben „Auf Sparen folgt Haben.“ Wie ist Ihre Position zur Sparpolitik?

Die sogenannte Sparpolitik ist verheerend. In Wahrheit wird gekürzt, nicht gespart. Denn durch die schwache Wachstumsdynamik steigen die öffentliche Schulden statt zu sinken. Was man da macht ist folgendes: Man geht zur einer verschuldeten Person und zwingt ihr noch eine Kreditkarte auf – ein sogenanntes Rettungspaket. Gleichzeitig sagt man, du musst dein Restaurant , deine Stühle und deinen Tisch verkaufen, darfst niemanden mehr bedienen an den Tischen, um ein Einkommen zu erzielen.

Man hat versucht, diese Länder (Anm. d. R.: die südeuropäischen Länder) mit der Sparpolitik zu filetieren. Griechenland musste seine Regionalflughäfen mit nur einem Bieter an die Fraport verkaufen. Das hat nichts mehr mit Marktwirtschaft zu tun, das ist ganz normale räuberische Erpressung. Es ist eher eine Art Mafianomics …

… die aber als Notwendigkeit dargestellt wird.

Wenn den privaten Haushalten das Wasser bis zum Hals steht und die Unternehmen deswegen nicht investieren, weil keiner konsumiert und der Staat dann auch noch auf die Bremse tritt – wenn also alle gleichzeitig versuchen zu sparen – können sie nicht sparen, weil die Ausgaben der einen ja die Einnahmen der anderen sind. Wenn alle weniger ausgeben, nehmen auch alle weniger ein.

In Deutschland gibt es eine falsche ideologische Fixierung. Die USA sind mit einer anderen Politik viel besser aus der Krise gekommen. Die einzigen, die von der Sparpolitik profitieren, sind die oberen 1%. Die Leute müssen zu geringeren Löhnen arbeiten und öffentliches Vermögen wird zu Ramschpreisen privatisiert.

Deutschland sieht sich europaweit als Musterschüler – schwarze Null, statistisch fast Vollbeschäftigung und immer wieder Exportweltmeister. Wie kommt das bei den europäischen Partnern an?

Deutschland schmarotzt die Nachfrage der Anderen. Wenn wir immer mehr verkaufen als wir kaufen, müssen sich die anderen verschulden. Wenn die sich nicht verschulden, können wir nichts verkaufen. Also ist das mit dem Klassenbesten Schwachsinn, weil wir nicht alle gleichzeitig exportieren können – es sei denn auf den Mars.

Langsam regt sich Unmut, vor allem in den USA.

Die USA und die Chinesen sind nicht Griechenland, die werden das nicht mit sich machen lassen, dass wir sie mit unseren Waren überfluten.

Zweitens ist es ja so, dass wir über LePen und die anderen Rechtspopulisten gar nicht reden müssten, wenn es diese verheerende Politik nicht geben würde, die sich immer in die Europaflagge hüllt, aber im Prinzip blanker Wirtschaftsnationalismus ist. Der Euro nützt daher vor allem der deutschen Exportindustrie.

Drittens stellt sich immer die Frage: Wer profitiert denn in Deutschland? Wir haben 25% Niedriglohnsektor, die Beschäftigten haben mit Lohnzurückhaltung gezahlt.

Und viertens, Deutschland hätte die schwarze Null nicht, wenn wir so gekürzt hätten, wie wir es bei den anderen erzwungen haben. Man sieht es auch an Portugal. Sobald die aufgehört haben zu kürzen, haben sie ein sehr dynamisches Wachstum erreicht. Und Deutschland hat nach der Weltwirtschaftskrise auch genau das Gegenteil von dem gemacht, was wir Griechenland diktieren. Wenn Merkel nach der Krise so gekürzt hätte, wie es Griechenland musste, dann wäre sie jetzt nicht mehr im Amt.

Mit seinen dauerhaften Exportüberschüssen hat Deutschland andere Länder quasi de-industrialisiert und hat jetzt eine starke Position. Die anderen können auch nicht über Nacht eine Industrie aufbauen, die uns Konkurrenz macht, selbst wenn wir Deutschen jetzt höhere Löhne und höhere öffentlichen Investitionen hätten. Deutschland hat sich langfristig einen Wettbewerbsvorteil gesichert.

Martin Schulz fordert, Deutschland solle auch die nächsten 10 Jahre Exportweltmeister bleiben. Der Mann von der Straße denkt sich: Klingt doch gut! Was würden Sie ihm entgegnen?

Wir können natürlich versuchen, die nächsten 10 Jahre Exportweltmeister zu sein. Das wird sich aber sehr schnell erledigt haben, denn der Euro wird daran früher oder später zerbrechen. In Italien ist nur noch die demokratische Partei von Renzi für den Euro. Dann wird die DM ohne Intervention der Zentralbanken kräftig aufwerten und dann sind unsere ganzen schönen Exportüberschüsse über Nacht kaputt.

Für die Schweiz oder Luxemburg mag eine solche Export-Strategie funktionieren, weil das kleine Volkswirtschaften sind. Es tut also keinem weh. Es macht einen Unterschied, ob ein Hamster einen Schäferhund beißt oder ein Schäferhund einen Hamster. Wenn Trump über Nacht Strafzölle beschließt oder der Euro zusammenbricht, dann ist Schluss mit lustig. Wir können ja nicht Autos für den US Markt einfach nach Japan verkaufen. Wenn wir jetzt meinen, wir können die anderen an die Wand konkurrieren, dann wird sich das irgendwann rächen.

So weit scheinen hierzulande nur wenige zu denken.

Wichtiger als Exportüberschüsse sind höhere Löhne und bessere Jobs in der Binnenwirtschaft. Ein Wert von 50% des BIP als Exporte ist völlig verrückt. Ziel muss es sein, die Ungleichheit zu verringern. Dass sorgt – und das sagt mittlerweile selbst die OECD – für mehr Wachstum.

Die deutsche Sozialdemokratie tut sich sehr schwer mit praktischen Reformideen und direkten Maßnahmen. Wie würden sie denn die Löhne erhöhen wollen?

Wir brauchen eine Abwicklung der Agenda 2010. Zum Beispiel ein Verbot von sachgrundlosen Befristungen. Mindestens gleiche Bezahlung und eine Flexibilitätsprämie für Leiharbeiter vom ersten Tag an. Wir müssen die Gewerkschaften wieder in die Lage versetzen, dass sie überhaupt Tarifmacht haben, um höhere Löhne durchzusetzen. Wir müssen Teile der Arbeitsmarktreform rückgängig machen.

Selbst die EZB sagt mittlerweile, das billige Geld kommt in der Realwirtschaft nicht an, weil es zu wenig Nachfrage gibt. Niemand investiert trotz niedriger Zinsen. Die EZB sagt, sie erreicht ihr Inflationsziel nicht mehr, weil die Gewerkschaften zu schwach sind. Den Zusammenhang zwischen Lohnstückkosten und Inflation hat die EZB jahrelang negiert. Jetzt sieht sie das selber ein. Zudem sollte die EZB direkt öffentliche Investitionen unterstützen statt Banken und Vermögenden Papiere abzukaufen.

Sie wollen die Gewerkschaften stärken. Nun gibt es aber auch Gewerkschaften, die mit den geringen Lohnabschlüssen zufrieden sind und selbst das Lied von der Wettbewerbsfähigkeit singen.

Da gibt es sicher beides: Gewerkschaften, die im Export profitieren und zu schwache Streikmacht.

Das Bündnis für Arbeit war ein Fehler. Die Gewerkschaften haben sich auf Lohnverzicht eingelassen, weil ihnen dafür Jobs versprochen wurden, die am Ende aber nicht geschaffen wurden. Aber das funktioniert auch gar nicht: Ein Unternehmer – auch ein ehrbarer Kaufmann – schafft ja nicht Jobs wegen des Lohnverzichts, sondern wenn der Laden brummt und er mehr Leute braucht. Und wenn ich die Nachfrage dämpfe, dann brummt der Laden nicht und ich brauche nicht mehr Leute.

Zudem ist es da auch nicht von Vorteil, dass zahlreiche Gewerkschaftsbosse mit der SPD verheiratet sind und es da Interessenkonflikte gibt . Es bringt aber nichts, nur auf die Gewerkschaften einzuhauen. DIE LINKE muss in den Gewerkschaften verankert sein und auf mehr Unabhängigkeit von der SPD pochen.

Um die beiden Themen Steuerflucht und Sparpolitik miteinander zu verbinden: Gibt es Auswirkungen der Sparpolitik im Hinblick auf die Bekämpfung von Steuerflucht und vermeidung?

Absolut. Zum Beispiel kürzen die Länder bei den Finanzbeamten, sodass sie nicht genug Leute haben, um Steuerprüfungen vorzunehmen. Meine Fraktion erstellt dazu derzeit eine Studie. Man sagt, dass in Deutschland jeder Steuerfahnder ungefähr eine Million Euro mehr einbringt, als er an Personalkosten kostet. Insofern verstärkt die Kürzungspolitik auch die Ungleichheit vor dem Gesetz.

Stellen Sie sich vor, Sie wachen morgen als Angela Merkel auf. Was wäre Ihre erste politische Amtshandlung.

Also wenn ich morgen als Angela Merkel aufwache, ist das ein mieser Albtraum. Meine erste politische Amtshandlung wäre, den Arbeitsmarkt wieder zu regulieren, damit die Leute wieder in die Lage versetzt werden, selber für ihre Interessen zu kämpfen. Und zweitens würde ich mich dafür einsetzen, Waffenexporte an Terrorpaten wie Saudi Arabien zu unterbinden und in den internationalen Beziehungen auf Dialog und Entspannung mit Russland zu setzen, um den Nahen und Mittleren Osten zu stabilisieren und Fluchtursachen zu bekämpfen. Ich bete allerdings täglich, dass ich nicht als Angela Merkel aufwache.

Abschließend noch ein anderes Thema. Das bedingungslose Grundeinkommen wird ja häufig als Lösung für das Problem der Digitalisierung und des nächsten Strukturwandels angeführt. In Ihrer Partei wird es kontrovers diskutiert. Wie stehen Sie dazu?

Ich sehe das bedingungslose Grundeinkommen skeptisch. Auch wenn ich weiß, dass viele der Befürworter damit gute Absichten verfolgen. Die Idee ist keine linke Idee, sondern Milton Friedman und andere haben die entwickelt. Die wollten quasi eine Herdprämie für Arbeitslose, um sich nicht mehr für die Arbeitslosigkeit rechtfertigen zu müssen.

Ich streite gegen Hartz IV, für eine soziale Grundsicherung und eine gute Arbeitslosenversicherung. Die Zumutbarkeitskriterien, die Arbeit billig wie Dreck machen, gehören abgeschafft. Wenn ich jetzt allen ein Grundeinkommen zahle, dann ist es entweder zu niedrig, sodass ich den Arbeitgebern nur die Löhne subventioniere und sie weiter gedrückt werden. Oder wenn ich es hinreichend hoch haben möchte, sodass die Leute nicht mehr erpressbar wären, dann brauche ich eine unrealistisch hohe Staatsquote. Auch ein Grundeinkommen muss immer aus Erwerbsarbeit finanziert werden,

Zudem verschwende ich mit einem Grundeinkommen auch Geld. Wenn wir auch Leuten wie Herrn Ackermann ein Grundeinkommen zahlen, ist das nicht effizient. Für Menschen mit spezifischen Bedürfnissen – etwa durch Krankheit oder hohe Wohnkosten – ist es womöglich zu niedrig. Zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben. Und ich glaube, der eigentliche linke Anspruch ist, dass Arbeit auch soziale Teilhabe ist. Ich privatisiere mit einem bedingungslosen Grundeinkommen die soziale Gerechtigkeit. Der eigentliche Anspruch muss sein, dass sich die Arbeitswelt humanisiert. Es braucht öffentliche Investitionen durch die Zentralbank und die Abschöpfung von Mega-Vermögen sowie radikale Verkürzungen von Arbeitszeiten bei vollem Lohnausgleich. Wir haben einerseits Leute, die werden durch Freizeit erschlagen, andere arbeiten sich zu Tode.

Deswegen führt das Grundeinkommen in die Irre und spaltet die Leute, es stärkt hingegen die Arbeitgeber. Ich halte es für eine Illusion, dass man glaubt, man könne sich den mühsamen Weg des Konfliktes zwischen Arbeit und Kapital sparen, indem man ein Grundeinkommen durchsetzt. Ich akzeptiere aber, dass dies eine relevante Idee ist, über die wir in der Linken weiter streiten müssen. Wo Menschen sind, sind unterschiedliche Ideen. Das macht das Leben spannend.

Das Interview erschien am 23. Juni 2017 auf makroskop.eu