Deutschland lebt vom Konsum der Anderen

Gastbeitrag im Tagesspiegel Causa zur Debatte über die deutschen Exportüberschüsse

07.06.2017

Der US-Präsident kritisiert die hohen Exportüberschüsse der Deutschen. Dabei täten wir gut daran, diese Kritik ernst zu nehmen, schreibt Fabio de Masi auf Causa.

Die Empörung über Donald Trumps Twitter-Schelte für den Handelsüberschuss Deutschlands war groß. Es wäre aber im Interesse Deutschlands, die internationale Kritik ernst zu nehmen. Auch Barack Obama und der Internationale Währungsfonds (IWF) verloren zunehmend die Geduld mit der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung. Und der US Präsident hat gerade mit der fatalen Kündigung des Pariser Klimaschutzabkommen bewiesen, dass ihn Diplomatie nicht interessiert.

Deutschland lebt dauerhaft vom Konsum der Anderen. Wir verkaufen (exportieren) ständig mehr ins Ausland als wir von dort einkaufen (importieren). Unser Leistungsbilanzüberschuss beträgt mittlerweile 8,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), Exporte machen 46,8 Prozent unseres BIP aus.

Für die Schweiz mag eine solche Strategie funktionieren, weil der internationale Markt sehr viel größer ist als die heimische Wirtschaft. Für Deutschland – die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt – ist dies verrückt. Wir machen unsere Binnenwirtschaft kaputt und provozieren internationale Reaktionen. Es macht eben einen Unterschied ob eine Maus einen Schäferhund beißt oder umgekehrt. Deutschland verbrennt zudem Vermögen im Ausland. Die deutschen Überschüsse werden   permanent in riskante Anlagen wie einst US-Immobilienpapiere recycelt, wodurch Deutschland seit 2000 bereits 600 Milliarden Euro Vermögen versenkte. Das Ausland muss hingegen Kredite bzw. Schulden aufnehmen.

Die Kritik innerhalb der Europäischen Union (EU) tat die Bundesregierung bislang erfolgreich ab. Denn die EU Verträge verpflichten unsere Handelspartner auf offene Märkte. Die Euro Staaten können sich gegen Deutschland nicht durch eine Abwertung einer heimischen Währung oder gar Strafzölle wehren. Sanktionen werden im Rahmen des EU-Verfahrens gegen makroökonomische Ungleichgewichte nur gegen Defizitländer angewendet. Durch die Überschüsse hat einzig Deutschland die fiskalische Munition für „Euro-Rettungspakete“. Berlin ist daher mächtiger als Brüssel oder Paris. Aber die USA sind weder Griechenland noch Frankreich. Die Bundesregierung wendet gegen Kritik gerne ein, man solle nicht den Klassenbesten kritisieren. Die Anderen könnten sich ja schlicht mehr „anstrengen.“ Deutschland habe eben Top-Ingenieure und schmerzhafte Reformen hinter sich.

Dies ist aus mehreren Gründen falsch: Erstens, wenn sich alle genauso „anstrengen wie Deutschland“ und im gleichen Umfang die Löhne drücken ändert sich an der Wettbewerbsposition innerhalb der Eurozone nichts. Nur die Beschäftigten werden noch weiter ausgepresst. Es sei denn, in Deutschland legen die Löhne kräftiger zu als die Produktivität und die Zielinflationsrate der Europäischen Zentralbank (EZB). Es können nun mal nicht alle gleichzeitig mehr exportieren – außer auf den Mars. Denn China oder die USA werden sich auf Dauer nicht gefallen lassen, dass Europa sie mit Waren und Dienstleistungen überschwemmt. Zweitens, wächst die Arbeitsproduktivität in Deutschland nicht stärker als etwa in Frankreich. Das Wachstum der Arbeitsproduktivität hat mit den Arbeitsmarktreformen in Deutschland sogar zeitweise nachgelassen, weil Arbeit zu billig wurde und Unternehmen mangels Nachfrage weniger investierten. Drittens, erklären auch die besten Ingenieure und fleißigsten Beschäftigten nicht warum Deutschland etwa Fleisch nach Griechenland exportiert. So viel besser schlachten wir unsere Schweine nun auch nicht. Viertens, geht es nicht zwingend darum, weniger zu exportieren, sondern eben mehr im eigenen Land zu investieren und durch höhere Löhne auch mehr zu konsumieren. Dadurch verringert sich der Exportüberschuss.

Die US-Regierung nimmt Deutschland nun – nicht erst seit Donald Trump –ins Visier. Dabei stützte sich die US-Administration auf Ihr Gesetz gegen Währungsmanipulation. Die drei Kriterien hierfür lauten: (1) ein Handelsüberschuss gegenüber den Vereinigten Staaten von über 20 Milliarden US-Dollar, (2) ein Leistungsbilanzüberschuss von mehr als 3 Prozent des BIP, und (3) der Netto-Ankauf von ausländischen Devisen von mehr als 2 Prozent der des eigenen BIP innerhalb von zwölf Monaten. Deutschland erfüllt zwei von drei Kriterien. Denn die EZB interveniert nicht direkt am Devisenmarkt. Dies ist für eine internationale Reservewährung wie den Euro nur selten erforderlich und die geldpolitische Lockerung der EZB hält den Euro schwach und stimuliert somit die Exporte. Die Bundesregierung wendet gegen die US-Kritik ein, sie habe keinen Einfluss auf die Wechselkurse bzw. die Geldpolitik der EZB. Sie zeigt mit dem Finger nach Frankfurt bzw. auf Mario Draghi. Schließlich befürworte die Bundesregierung gar eine geldpolitische Straffung, die zu einer Aufwertung und somit einer Verteuerung der deutschen Exporte führen würde.

Dabei verschweigt Finanzminister Wolfgang Schäuble aber, dass es die unzureichenden öffentlichen Investitionen und Lohndynamik sind, die Draghi zu dieser Geldpolitik zwingen. Die EZB räumt mittlerweile sogar ein, dass die Schwächung der Gewerkschaften durch Arbeitsmarktreformen zu unzureichenden Lohnzuwächsen führt und somit die Zielinflation von knapp unter 2 Prozent in der Eurozone stetig unterschritten wird. Zudem ist nicht die nominale Abwertung des Euros relevant sondern die reale Abwertung. Selbst bei einer strafferen Geldpolitik und einem stärkeren Euro würde Deutschland Wettbewerbsvorteile erobern, wenn die Löhne im Verhältnis zur Produktivität (Lohnstückkosten) und Zielinflationsrate weniger zulegen als der Euro gegenüber dem Dollar.

Deutschland kann daher unter dem Mantel des Euros erfolgreich Trittbrett fahren. Die D-Mark hätte bei solchen Exportüberschüssen bereits kräftig aufgewertet. Der Euro ist jedoch unterbewertet, da sich die Gemeinschaftswährung an der gesamten Eurozone und nicht nur Deutschland orientiert. Das US-Gesetz gegen Währungsmanipulation wurde schlichtweg nicht für eine Gemeinschaftswährung wie den Euro geschrieben.

Somit könnten jedoch Europa und Deutschland schmerzhafte Schocks drohen. Sei es durch Handelsbeschränkungen oder Importsteuern. Denn im Unterschied zu einer langsamen realen Aufwertung der Eurozone durch öffentliche Investitionen und höhere Löhne drohen mit Abwehrmaßnahmen der USA Schocks über Nacht. Dies kommt dann einer schnellen Aufwertung des Euros gleich. Die reale Wirtschaft ist aber wie bei Währungsschwankungen zu träge, um sich abrupten Preisschwankungen hinreichend schnell anzupassen. Man kann eben nicht Autos für den US-Markt einfach nach Japan exportieren. Niemand würden US Sanktionen durch einen unberechenbaren Donald Trump daher härter treffen als den deutschen Exportjunkie. Zeit für eine Therapie statt kalten Entzug.