EU-Weißbuch: Die Titanic umsteuern

Eine Pressemitteilung von Fabio De Masi

01.03.2017

Anlässlich der Präsentation des Weißbuchs zur Zukunft der EU durch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erklärt Fabio De Masi, wirtschaftspolitischer Sprecher der LINKEN im Europaparlament:
 
„Die EU steckt in der tiefsten Krise seit ihrer Gründung. Brexit, Le Pen, Wilders sind Symptome einer kaputten Politik, die Investitionen, Löhne und Renten kürzt. In der EU wächst vor allem die Ungleichheit. Darum ist auch die Eurokrise zurück, die nie vorbei war. Die Finanzmärkte wurden beruhigt, aber die reale Wirtschaft – insbesondere in Italien – bleibt depressiv. Die Renditen auf Staatsanleihen für Südeuropa steigen wieder. Die Wahlen in Frankreich und Italien könnten den Euro sprengen.
 
Die EU und besonders die Eurozone brauchen ein Regelwerk, das die wahren Ursachen der Krise angeht. Deutschland - die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt - hat Exportüberschüsse von mittlerweile fast 9 Prozent der Wirtschaftskraft. Dies basiert nicht einfach auf guten Ingenieuren, sondern auf der Ausbeutung der europäischen und internationalen Partnerländer sowie der Beschäftigten in Deutschland durch Jahre zu geringer Lohnzuwächse. Die Agenda 2010 muss daher fallen. Deutschland schafft damit die Ursachen für neue Schuldenkrisen und permanente Transfers. Doch europäische und internationale Kritik wird in Berlin abgekanzelt. Denn die EU spricht ja mittlerweile deutsch.
 
Eine Vertiefung der Eurozone hat keine Zukunft, wenn damit die falsche Politik zementiert wird:  zum Beispiel mit einer Fiskalkapazität noch mehr Strukturreformen durchzusetzen - also Lohn- und Rentenkürzungen, die die Nachfrage dämpfen und Arbeitsplätze vernichten. Wer brav ist, bekommt dann höchstens etwas Taschengeld aus Brüssel. Das kann nicht funktionieren. Dort, wo mehr EU hingegen Sinn macht – etwa bei der Bekämpfung der Steuertricks von Konzernen – findet die EU nicht hinreichend statt.
 
Wir brauchen stattdessen öffentliche Investitionen und Sanktionen gegen chronische Exportüberschüsse. Der dumme Stabilitäts-und Wachstumspakt muss verschrottet und kurzfristig durch eine goldene Investitionsregel ersetzt werden, die öffentliche Investitionen von den Maastricht-Kriterien ausnimmt. Es ist ein Treppenwitz, dass derartige Überlegungen zur Ausnahme von Investitionen von den Maastricht-Regeln ausgerechnet auf die Aufrüstung beschränkt werden sollen. Dabei haben Waffenexporte, Öl- und Gaskriege sowie die Kumpanei mit Terrorpaten wie dem türkischen Präsidenten Erdogan Terror, Staatenzerfall und Flucht geschaffen. Sofern hohe Exportüberschüsse sanktioniert würden, wäre der Stabilitätspakt überflüssig, weil Länder mit ausgeglichener Leistungsbilanz, Staatsschulden jederzeit über die privaten Ersparnisse im Inland finanzieren könnten und auch die private Verschuldung adressiert würde. Deutschland muss durch öffentliche Investitionen und starke Lohnsteigerungen seine Binnennachfrage stärken,“ so De Masi abschließend.