»Es geht um die Demokratisierung von Labour«

Fabio De Masi im Interview mit dem Neuen Deutschland

26.09.2016
Liverpool 2016

Das Interview kann auf der Homepage des Neuen Deutschlands kostenfrei abgerufen werden. Wir dokumentieren das Interview von Guido Speckmann mit Fabio De Masi hier.

Herr De Masi, mit 62 Prozent wurde Jeremy Corbyn als Labour-Vorsitzender bestätigt. Erleichtert?

Absolut. Ich glaube, dass sich immer mehr junge Menschen von der etablierten Politik ab- und einer neuen Politik zugewandt haben. Und es ist gut, wenn in England, wo mit dem Schröder-Blair-Papier der Abstieg der Sozialdemokratie begann, Menschen wieder Hoffnungen in eine Labour-Partei setzen, die für soziale Gerechtigkeit und Frieden streitet.

Die Wiederwahl Corbyns hat also auch für die deutsche Linke eine Bedeutung?

Ja. Wir wären glücklich, wenn wir einen Corbyn in der deutschen Sozialdemokratie hätten. Diskussionen über Rot-Rot-Grün wären dann einfacher. Das direkte Umfeld von Corbyn hat mir bestätigt, dass sie sehr genau die Entwicklung der deutschen Linken verfolgen. Ich habe eine Einladung unserer Partei- und Fraktionsvorsitzenden an Jeremy ausgesprochen. Ich bin auch auf junge Labour-Mitglieder gestoßen, die in Berlin leben und gesagt haben, wir würden uns gerne auch bei Euch engagieren, kannst du uns da weiterhelfen.

Sie waren Redner auf einer Konferenz, die vom Momentum-Netzwerk organisiert wurde. Dieses besteht im Wesentlichen aus jüngeren Linken. Wie war Ihr Eindruck?

Viele bezeichneten den »Putsch« des Labour-Establishments, der ja zu der neuen Mitgliederbefragung geführt hatte, als Glücksfall. Denn der habe alle wach gerüttelt. Viele merkten, es geht nicht nur um die Wahl von Corbyn, sondern um mehr: um die Frage, wie kann man Labour seinen Mitgliedern zurückgeben. Viele der neuen Labour-Mitglieder haben nämlich kein Mitspracherecht. So bei der Aufstellung von Kandidaten für die nächsten Parlamentswahlen. Manche glauben auch, dass Corbyn die Wahl nicht gewinnen kann, weil die Abgeordneten im Unterhaus ihm das Leben zur Hölle machen werden. Stattdessen, so ihr Argument, sollte man mit aller Kraft die Demokratisierung der Partei vorantreiben und den Generalsekretär ablösen, anstatt über Jeremys Schattenkabinett zu verhandeln. Dies soll dann die Chance eröffnen, mit einem jungen Gesicht wie etwa Clife Lewis die übernächste Wahl zu gewinnen.

Im Vorfeld des Labour-Parteitages war zu lesen, dass Corbyns Gegner gar nicht nach Liverpool kommen wollten. War das so?

Nein, die sind gekommen. Man muss wissen, dass Corbyn in der Partei bisher auf Parteitagen keine Mehrheiten hatte, obwohl eine Mehrheit der Mitglieder hinter ihm steht. Der Parteitag setzt sich anders zusammen. Da gibt es Labour-Interessengruppen, die eigene Delegierte entsenden. Auch die Wahlverfahren zum Parteitag sind undemokratisch. Teilweise geht das noch auf Tony Blair zurück. Auch vor diesem Hintergrund forderte John McDonnell, eine Schlüsselfigur der Labour-Linken und Schattenfinanzminister von Corbyn, auf dem Momentum-Kongress die Demokratisierung von Labour.

Wie reagierten die Gegner von Corbyn auf seine Wiederwahl?

Unterschiedlich. Vor der Wiederwahl gab es noch Labour-Abgeordnete, die explizit gesagt haben, wir werden jetzt einen permanenten Zermürbungskampf gegen Corbyn führen. Inzwischen gibt es moderatere Töne. Das ist offensichtlich Hinterzimmergesprächen geschuldet.

Zu den inhaltlichen Kontroversen - der Brexit spielte wahrscheinlich eine große Rolle?

Auf dem Momentum-Kongress war das ein Thema. Und die Frage der Haltung von Linken zur Europäischen Union (EU). Da gab es Selbstkritik, weil auch die britische Linke den Kontakt zu den britischen Arbeitern verloren hat. Auf dem Kongress teilten viele die kritische Haltung von Corbyn zur EU. Allen ist klar, dass etwa eine Änderung der EU-Verträge nicht realistisch ist, weil man dazu 27 Regierungen braucht. Notfalls müsse man Regeln der EU brechen. Themen waren auch der Zugang zum Binnenmarkt und die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach dem Brexit. Der Konsens hier: Ja zum Zugang zum europäischen Binnenmarkt, aber Nein zu Regeln, die Lohndumping schaffen und Beschäftigte spalten.

Wie geht es nach dem Labour-Parteitag mit der Momentum-Bewegung weiter?

Sie wollen weg von den internen Personaldebatten. Es geht nicht nur um Jeremy Corbyn, es geht um eine Bewegung, die sich Kernprojekten widmet und wieder da ist, wo die kleinen Leute schwitzen. Etwa durch Straßenarbeit zur Wohnungsfrage oder zum Gesundheitswesen.