Freie Fahrt für politische Hasardeure

Cicero

04.01.2024

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Viele Millionen Euro hat den Bund das Pkw-Maut-Debakel gekostet. Hauptverantwortlicher ist Bundesverkehrsminister a.D. Andreas Scheuer. Eine Anwaltskanzlei rät in einem Gutachten von einer Klage ab. Das Bundesverkehrsministerium folgt dieser Empfehlung. Doch das Gutachten ist defizitär und die Entscheidung falsch.

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Die Prüfung der Untreue hätte man einem Spezialisten für Strafrecht überlassen sollen

So etwas in einem Rechtsgutachten lesen zu müssen, macht schon Eindruck – nur leider keinen guten. Denn es ist nicht die Staatsanwaltschaft Berlin, die darüber abschließend Auskunft gibt, ob ein Schutzgesetz verletzt ist, sondern einzig und allein das Zivilgericht, das über den deliktischen Anspruch und eine darauf gestützte Klage entscheidet. Das ergibt sich nicht nur aus Artikel 97 Absatz 1 des Grundgesetzes und der darin normierten richterlichen Unabhängigkeit, sondern auch aus § 17 Absatz 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes, wonach „das Gericht des zulässigen Rechtsweges […] den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten [entscheidet]“. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Zivilgericht eine strafrechtliche Frage anders als ein Strafgericht beurteilt. Das mag man unter dem Gesichtspunkt der „Einheit der Rechtsordnung“ für problematisch halten, gehört aber unbestritten zu unserem Rechtssystem und der Unabhängigkeit seiner Richter. Schon gar nicht ist ein Zivilgericht an die Entscheidung der Staatsanwaltschaft gebunden.

Im Vergleich dazu ist es nur noch eine Randnotiz, dass die MWP-Gutachter nicht auf den originären Begründungstext der Staatsanwaltschaft verweisen, worin abgelehnt wird, gegen Andreas Scheuer ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Vielmehr zitieren die drei Gutachter aus einer Sekundärfundstelle, nämlich aus einem Artikel des juristischen Onlinemagazins Legal Tribune Online. Als unmittelbare Quelle hätte das Schreiben der Staatsanwaltschaft Berlin vom 11. Februar 2020 an den Anzeigenerstatter, MdB Fabio de Masi, dienen können, das man mit etwas Anstrengung vermutlich hätte bekommen können. Wer so arbeitet, muss sich den Vorwurf der Oberflächlichkeit gefallen lassen. Die Prüfung der Untreue hätte man vielleicht einmal einem Spezialisten für Strafrecht und Strafprozessrecht überlassen sollen.

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