Danke Robert?

Kolumne Berliner Zeitung

10.11.2023
Apfelkabinett - Verteilung von Apfelkoerben an das Bundeskabinett Aktuell, 08.11.2023, Berlin, Bundeswirtschafts- und Kl

Die Kolumne ist bei der Berliner Zeitung erschienen

Wirtschaftlicher Aufstieg Deutschlands? Wie man sich mit Statistik die Welt schön reden kann, erklärt unser Autor Fabio De Masi. 

Kürzlich machte die Schlagzeile die Runde, dass Deutschland laut dem Internationalen Währungsfonds (IWF) Japan absehbar als drittgrößte Volkswirtschaft der Erde ablösen werde. Wolfgang Gründinger, seines Zeichens „European Digital Leader“ des World Economic Forum in Davos und „Chief Evangelist“ beim Berliner Solar-Start-up Enpal, wo er sich laut Eigenbeschreibung für ein neues „Wirtschaftswunder“ engagiert, versetzte dies in Trance.   

Auf der Plattform X schrieb er: „Deutschland steigt zur drittgrößten Volkswirtschaft der Welt auf, Inflation sinkt drastisch, Staatsschuldenquote sinkt auf Stand vor Corona, Gasspeicher zu 100% voll, Kohleverstromung fast halbiert, Danke Robert Habeck!“  

Deutscher Aufstieg mit Null-Wachstum?

Das Problem dabei: Deutschland steckt in einer schweren Wirtschaftskrise, während Japans Wirtschaft Wachstumsrekorde bricht. Wie kann Japan also von Deutschland überholt werden? Ganz einfach: Japan hat die extremen Zinserhöhungen der US-Zentralbank, Federal Reserve, und der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht mitgemacht. Dadurch hat der Yen gegenüber dem US-Dollar abgewertet. Und die Statistik des IWF zur Größe der Volkswirtschaft bzw. dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird in US-Dollar errechnet. Den Japanern dürfte dies herzlich egal sein. Ihr „Abstieg“ in US-Dollars fühlt sich mit Wachstumsraten von aufs Jahr gerechnet sechs Prozent wahrscheinlich sehr viel besser an als der deutsche „Aufstieg“ mit Null-Wachstum.   

Die Tagesschau titelte gar „Wirtschaftswunderland Japan?“ und führt aus: „Japan profitiere derzeit von der aufgeschobenen geldpolitischen Straffung der Bank of Japan, der Abwertung des Yen und einer späten Wiederöffnung der Wirtschaft nach der Pandemie.“  

Nun mag man einwenden, dass hinter Deutschlands Aufstieg und Japans Abstieg auch ein längerfristiger Trend stünde. Schließlich hat Japans Wirtschaft viele Jahre der Stagnation hinter sich. Das ist richtig. Nur ist der Dank an Robert Habeck dann noch bekloppter, weil er in den Jahren davor nicht Wirtschaftsminister war, und seit er es ist, läuft es ja hierzulande eher nicht so rund. Man könnte vermuten, dass dies auch etwas mit der Regierungspolitik zu tun hat, wie etwa Wirtschaftskrieg und Investitionsstau. 

Die gefährliche Deflation 

Zudem hing die Stagnation Japans mit einer Deflation nach dem Platzen einer Immobilienblase zusammen. Unter Deflation versteht man eine Situation sinkender Preise. Sie ist viel gefährlicher als eine Inflation: Denn es ist extrem schwierig aus einer solchen Falle herauszukommen. Japans verlorene Dekaden zeigen dies eindrucksvoll. Auch China droht derzeit eine solche Entwicklung.

Denn Verbraucher werden in Erwartung sinkemnder Preise (bzw. hoher Arbeitslosigkeit und geringer Lohndynamik) Anschaffungen eher aufschieben (einkaufen wird ja zukünftig billiger), Unternehmen werden daher kaum investieren und die reale Schuldenlast von Schuldnern steigt. Denn fallen die Preise, ist die Geldsumme, die man etwa bei einem Kredit tilgen muss, in realer Kaufkraft höher. Gut für die Gläubiger, schlecht für die Schuldner.  

Man spricht daher in der Ökonomie auch von einer sogenannten Schuldendeflation: Wenn Preise und Umsätze von Unternehmen sinken, bleiben die Schulden trotzdem gleich hoch. Im Verhältnis zu den sinkenden Einnahmen bzw. Einkommen fällt dann auch die Schuldenlast höher aus. Dies kann Insolvenzen begünstigen. 

Kurzum: Bei einer Deflation ist angezeigt, die Staatsausgaben ordentlich hochzufahren und die Zinsen unten zu lassen. Insofern spricht gerade die japanische Erfahrung fundamental gegen die Kürzungspolitik der Ampel. 

Daher schiebt die japanische Regierung -– ähnlich wie die USA, China und Spanien – öffentliche Investitionen an, entlastet die Verbraucher und subventioniert die Energiepreise. Denn die Teuerung nach Corona-Schock und Ukraine-Krieg kam von den Energiepreisen, nicht etwa von zu hohen Staatsausgaben. Doch in der Verschwörungsökonomie der Ampel-Koalition muss gekürzt werden bis es kracht, um den Preisschock bei Energiepreisen zu bekämpfen. Die Inflation bildet sich jedoch in anderen Ländern ebenso zurück wie in Deutschland. Nur eben ohne die bittere Nebenwirkung, dass die Wirtschaft deswegen abschmiert. Dies kann sich durch den Nahost-Konflikt auch wieder ändern. Nur hat dies wenig mit Staatsausgaben zu tun. 

Und dass die Schuldenquote sinkt, darauf kann sich Herr Gründinger ein Ei pellen. Denn was nützen geringe Schulden, wenn die Wirtschaft im Koma liegt? Das ist wie bei einem Skelett, dass sich über den guten Zustand der Knochen freut. 

Dass die Gasspeicher voll sind, verdanken wir übrigens unter anderem der erhöhten Abhängigkeit von LNG-Gas aus den USA, die dieses überwiegend durch klimaschädliches Fracking gewinnen. Wir beziehen weiter russisches Öl und Gas über den Umweg von Indien und Belgien. Und die Außenministerin Annalena Baerbock meinte kürzlich: „Eigentlich hätten wirtschaftliche Sanktionen wirtschaftliche Auswirkungen. Das ist aber nicht so.  Weil eben die Logiken von Demokratien nicht in Autokratien greifen“. Da könnte man sich kurz am Kopf kratzen und fragen seit wann wir aber Sanktionen gegen lupenreine Demokratien verhängen? Schwamm drüber: Unabhängig davon wie man zum Wirtschaftskrieg und Sanktionen steht, einem Solarunternehmer könnte diese Widersprüche zumindest auffallen. 

Das „Wirtschaftswunder“ auf, dem sich Gründinger verschrieben hat, hatte schon einst Bundeskanzler Olaf Scholz versprochen. Aktuelle Lage? Deutschland ist durch Wirtschaftskrieg und verrückter Kürzungspolitik Schlusslicht beim Wachstum unter den Industrienationen. Als einziges OECD-Land schrumpfte unsere Wirtschaft im Winter. China hat übrigens auch unsere Solarindustrie weitgehend verdrängt. Aber das nur nebenbei. Ich sage einfach mal: Danke, Olaf!