Cicero: Der Mann an seiner Seite

Jörg Kukies wird neuer Wirtschaftsberater im Kanzleramt. Der Scholz-Vertraute gilt als fachlich versiert und wird für seine Expertise sogar von politischen Gegnern geschätzt. Ein Makel haftet ihm jedoch an: Seine Rolle beim Wirecard-Skandal bleibt nebulös

09.12.2021

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Wirecard-Skandal

Und da ist die Krux an der Sache, der Fleck auf der sonst glänzend weißen Weste des unprätentiösen Erfolgsmagneten. Kukies wird, genauso wie seinem Chef Scholz, ein Elefantengedächtnis nachgesagt. Im Zuge des Wirecard-Skandals scheint dieses aber eher in der Größe eines Ameisengehirns ausgeprägt gewesen zu sein. Im Februar 2019 sprach die Finanzaufsichtsbehörde BaFin ein zweimonatiges Leerverkaufsverbot für Wirecard-Aktien aus. Damit griff die BaFin direkt in den Markt ein, um Wetten auf weiter fallende Kurse zu verhindern. Ein einmaliger Vorgang, um wohl einen „nationalen Champion“ zu schützen. Kukies und Scholz hatten Kenntnis davon, obwohl das Bundesfinanzministerium das Mitwissen der beiden zunächst noch dementierte. Später räumte Scholz’ Adlatus Wolfgang Schmidt, damaliger Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, die Unrühmlichkeit ein.

Von noch größerer Tragweite war ein Telefonat, das Kukies am 23. Juni vergangenen Jahres führte. Einen Tag zuvor gab Wirecard öffentlich bekannt, dass die mittlerweile sagenumwobenen 1,9 Milliarden Euro auf den philippinischen Treuhandkonten wohl gar nicht existierten. Damit fiel das kriminelle Kartenhaus endgültig in sich zusammen. Trotzdem drängte Kukies tags darauf die staatseigene, zur KfW gehörende IPEX-Bank, weiter Kredite an Wirecard auszubezahlen, diese gar zu erhöhen. Aus einem E-Mail-Verkehr mit dem Chef von IPEX, Klaus Michalak, ging hervor, dass das Finanzministerium eine „deutsche Lösung“  für Wirecard finde wollte. Heißt: Die Bundesregierung wollte mit der Fortzahlung der Kredite eine Insolvenz des Finanzdienstleisters vermeiden und den Ausverkauf durch ausländische Finanzunternehmen verhindern.

Immense Aufgabenfülle

Mutmaßlich unterschätzte Kukies zu diesem Zeitpunkt die kriminelle Dimension der Wirecard-Geschichte. Auch dieser Anruf wurde später im Wirecard-Untersuchungsausschuss nicht offenbart, wie der mittlerweile aus dem Bundestag freiwillig ausgeschiedene Fabio De Masi (Die Linke) im Frühjahr in einem Interview mit unserer Redaktion mitteilte.

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Und wie reagieren die an der Aufarbeitung des Wirecard-Skandals Beteiligten auf die Ernennung von Kukies? Der ehemals vehemente Kritiker De Masi äußerte sich im Handelsblatt durchaus versöhnlich: Kukies sei „als Mensch ein guter Typ, sehr nett und verbindlich und tief im Detail“. Sorge bereite ihm demnach nur eine mangelnde Distanz zur Finanzwelt. „Deutschland ist nicht Goldman Sachs“, so De Masi.