Olaf Scholz und die Cum-Ex-Affäre: Staatsanwaltschaft Hamburg weist Fabio De Masis Strafanzeige gegen den Kanzler zurück

Business Insider

05.12.2023

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Laut dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten sei nachgewiesen, dass Scholz sich im April 2021 durchaus an mindestens eines der Treffen habe erinnern können – und die Erinnerungslücken demnach nicht der Wahrheit entsprächen. Eine uneidliche Falschaussage vor einem Untersuchungsausschuss ist kein Kavaliersdelikt – dafür drohen zwischen drei Monaten und fünf Jahren Gefängnis.

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Doch nun hat die Staatsanwaltschaft Hamburg De Masis Vorwürfe zurückgewiesen. Es lägen keine zureichenden Anhaltspunkte für eine Straftat vor, heißt es in dem Antwortschreiben der Staatsanwaltschaft vom 28. November 2023, das Business Insider vorliegt. Deswegen habe man beschlossen, kein Ermittlungsverfahren gegen den Bundeskanzler einzuleiten.

Doch nur wenige Monate später zeigte sich: Das entspricht nicht der Wahrheit. Im Februar 2020 wurde – dank der Tagebucheinträge des Warburg-Bankiers Olearius – zunächst eines der drei Treffen öffentlich, nämlich das dritte aus dem Jahr 2017. Damit konfrontiert, bestätigte Scholz‘ Pressesprecher, Steffen Hebestreit, den Termin unter Verweis auf Scholz‘ Kalender. Es habe das Treffen gegeben, im November 2017, „wie aus dem Kalender des Ersten Bürgermeisters hervorgeht, der der Senatskanzlei vorliegen müsste“, so Hebestreit. Weshalb das bei der Antwort auf die Linken-Anfrage im November 2019 nicht berücksichtigt worden sei, „entzieht sich unserer Kenntnis“.

Das Problem: Inzwischen ist bekannt, dass es diesen Kalendereintrag gar nicht gibt. Scholz selbst behauptet, der Termin sei aufgrund eines technischen Übertragungsfehlers im März 2018 bei seinem Wechsel aus dem Hamburger Rathaus ins Bundesfinanzministerium verloren gegangen. „Da stellt sich mir die ganz simple Frage: Wie kann ich ohne Erinnerung einen Termin bestätigen, der nicht mehr in meinem Kalender steht?“, so Fabio De Masi. „Damit hätte denk- und sachlogisch Olaf Scholz den Hamburger Untersuchungsausschuss über seine Erinnerungslücken belogen.“

Die Staatsanwaltschaft widerspricht: „Es kommt neben einer Vielzahl anderer Möglichkeiten ebenso in Betracht, dass der Sprecher Hebestreit seine Ausführungen gemacht hat, um den Eindruck eines geordneten Hauses zu erwecken.“ Eine weitere Möglichkeit sei: Scholz könnte sich im Datum geirrt haben, als er sagte, der Kalendereintrag existiere seit März 2018 nicht mehr.

„Die Staatsanwaltschaft behauptet, der Kalendereintrag könne durch den Sprecher von Scholz im Jahr 2020 nur vorgetäuscht worden sein, um den Eindruck eines geordneten Hauses zu erwecken“, sagt De Masi. „Aber auch dann stellt sich ja die Frage, wie der Termin ohne Erinnerung bestätigt werden konnte.“

Tatsächlich gibt es noch weitere Widersprüche. In einer geheimen Sitzung des Finanzausschusses des Bundestages im Juli 2020 räumte Scholz das Treffen von 2017 ein – und berichtete dabei aus eigener Erinnerung. Als dann noch durch Medienberichte die zwei weiteren Termine bekannt wurden, erklärte Scholz plötzlich in einer weiteren Sitzung im Finanzausschuss im September 2020, er könne sich an alle drei Treffen nicht erinnern und diese nur anhand seines Kalenders bestätigen.

Doch am vergangenen Samstag enthüllten „Welt“ und „t-online“ ein internes Papier, dass das Bundesfinanzministerium in Vorbereitung auf jene Sitzung vom September 2020 anfertigte. Darin sind Sätze formuliert, die Scholz in der Sitzung sagen sollte. Die Schilderungen sollten den Verdacht der politischen Einflussnahme zurückweisen und beriefen sich – wie in der Sitzung zuvor – auf eigene Erinnerungen. Scholz sollte etwa sagen: „In den Gesprächen habe ich mich nicht zu dem Verfahren geäußert oder gar Handlungen in Aussicht gestellt“. 

Es kam anders und Scholz berief sich stattdessen auf Erinnerungslücken. Fabio De Masi, der das Dokument auf Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) vom Bundesfinanzministerium erhalten hat, sagte „t-online“, Scholz habe vor der Ausschusssitzung „in letzter Minute“ einen „Strategiewechsel“ vollzogen und „plötzlich die berühmte Erinnerungslücke“ eingeführt.