Jesus von der Alster

Erinnerungslücke von Olaf Scholz widerlegt (T-Online)

02.12.2023

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Denn es mehrten sich die Gerüchte, dass Scholz in der geheimen Sitzung vom Juli 2020 Erinnerungen an das damals bekannte Gespräch geäußert hatte. Auch deshalb hatten manche Teilnehmer der Sitzung schon frühzeitig darauf gedrängt, dass das Protokoll der Sitzung öffentlich, die Verschlusssache also "entstuft" werde. Zum Beispiel der damalige Linken-Abgeordnete Fabio De Masi, der heute parteilos ist. Doch die CDU, damals mit in der Regierung, zog zunächst nicht mit. Erst eine Woche vor der Bundestagswahl, zu einem Zeitpunkt, als die Umfragewerte gut für Olaf Scholz waren, änderte die Partei ihre Meinung – aber erst nach der Wahl wurde das Protokoll freigegeben.

Zunächst erinnert er sich offenbar

Medien berichteten Ende 2021 über dessen Inhalt. Und tatsächlich: Scholz hatte laut Protokoll in der Sitzung über Erinnerungen an das eine Treffen mit Olearius gesprochen. Wörtlich im Protokoll antwortete er auf eine Frage von Fabio De Masi: "Man habe über viele Dinge gesprochen. [...] Er habe sich lediglich die Sicht der Dinge von Christian Olearius angehört." Der Skandal war da: Scholz hatte über Monate gelogen. So sahen es zumindest die CDU, die Linke und die Grünen. Doch die SPD baute schnell einen Verteidigungswall um ihren damaligen Finanzminister, der sich anschickte, Kanzler zu werden.

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Unveröffentlichte Dokumente

Das ehemalige Mitglied des Bundestages Fabio De Masi hat durch einen Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz diverse Akten aus dem Bundesfinanzministerium bekommen und t-online zur Verfügung gestellt. Ein Dokument trägt den Namen: "Zur Berichterstattung von SZ, Panorama und Die Zeit über Cum Ex und die Warburg Bank". Dieses Dokument wurde von einem leitenden Mitarbeiter des Bundesfinanzministeriums erstellt und an die Leitungsebene versendet.

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So heißt es wörtlich: "Richtig ist, dass ich mich auch mit Christian Olearius und Vertretern der Warburg Bank wiederholt getroffen habe". Und: "In den Gesprächen habe ich mich nicht zu dem Verfahren geäußert oder gar Handlungen in Aussicht gestellt". Keine Rede davon, dass er sich bei diesen Erinnerungen auf die Presseberichterstattung stützt. Und es gibt noch einen weiteren Beleg, dass Scholz ganz genau wusste, was er mit dem Banker besprochen hatte.

Die Rolle der Tagebücher

Denn in einem detaillierten Part des Dokuments steht wörtlich: "Er hat keine Auskünfte über seine Einschätzung zu dem Sachverhalt gegeben. So ist es auch in den öffentlich zitierten Tagebuchaufzeichnungen von Herrn Olearius klar nachzulesen." In der Vorbereitung der Sitzung bezieht sich Scholz also explizit nicht auf die Tagebucheinträge, nutzt sie nur als Beleg, dass seine eigene Erinnerung an den Gesprächsverlauf korrekt sein soll. 

Das sei besonders spannend, sagt Fabio de Masi, weil er dann in der September-Sitzung erstmals selbst von Erinnerungslücken spreche: "Erst in letzter Minute erfolgte ein Strategiewechsel. Scholz führte bei der dritten Befragung im Bundestag plötzlich die berühmte Erinnerungslücke ein."

"Jesus von der Alster"

Auch vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Hamburg am 30. April 2021 sprach Scholz von Erinnerungslücken. Für diese, laut Strate, Falschaussage zeigte ihn der renommierte Hamburger Strafverteidiger Gerhard Strate an. Ermittelt wird aber nicht. Für De Masi ist das – erst recht jetzt nach Bekanntwerden dieser Dokumente – "ein Unding". Auch die Begründung der Staatsanwaltschaft kritisiert er: "Die politisch weisungsgebundene Hamburger Staatsanwaltschaft hat nur nicht ermittelt, weil sie sagt, dass Scholz die Erinnerung im Bundestag nur vorgetäuscht haben könnte", so De Masi: "Mit anderen Worten: Es wird nur nicht wegen Falschaussage gegen Scholz ermittelt, weil er ja womöglich im Bundestag gelogen hat. Und dort wäre eine Lüge nicht strafbar."

Früher seien Politiker schon wegen des falschen Briefpapiers zurückgetreten, heute "dürfen Bundeskanzler ein Parlament belügen". Scholz gelte in Hamburg offenbar als "Jesus von der Alster", fasst De Masi zusammen. "Mit ein bisschen Demenz!"