Handelsblatt: Fabio De Masi zu Wirecard-Ausschuss: „Aus jeder Schublade, die wir aufzogen, kam Dreck“

Ein Interview mit Fabio De Masi

04.06.2021

Handelsblatt: Fabio De Masi zu Wirecard-Ausschuss: „Aus jeder Schublade, die wir aufzogen, kam Dreck“[1]

 

"Der Obmann im Untersuchungsausschuss Wirecard spricht über Zweifel an den Ermittlern. Dem Finanzministerium wirft er ein „unmoralisches Angebot“ vor. (...)

Herr De Masi, am 18. Juni 2020 gab Wirecard zu, dass 1,9 Milliarden Euro fehlen. Wissen Sie noch, wo Sie damals waren?.

Ich glaube, ich war in einer Bundestagssitzung. Wie haben Sie die Nachricht aufgenommen? Es war ein Wow-Moment. Ich hatte zwar schon länger vermutet, dass bei Wirecard etwas nicht stimmte. Dass aber solch eine riesige Summe fehlt, hätte ich nie gedacht. Mir sind die Menschen durch den Kopfgegangen, die damit ihre Ersparnisse verloren haben.

Wann sind Sie auf Wirecard aufmerksam geworden?

Das war 2017. Der Hype um Fintechs und Bezahldienstleister wurde immer größer. Dann kam ein Journalist auf mich zu, machte mich auf Wirecard aufmerksam und die dubiosen Vorgänge um den Konzern.

Am 18. Juni 2020 wurden Sie bestätigt. Was geschah dann?

Mir war schnell klar, dass es bei Wirecard um mehr geht als das Ende eines deutschen Wirtschafts-Sommermärchens. Es gab einen politischen Escortservice für Wirecard. Bereits nach dem Auftritt von Ex-Bafin-Chef Hufeld im Juli wurde mir klar, dass es den U-Ausschuss braucht. Aber in der Sommerpause platzte mir dann endgültig der Kragen. Warum?

Finanzstaatssekretär Wolfgang Schmidt rief mich an. Er sagte mir, dass wir Informationen schneller erhalten, wenn wir auf die Einsetzung eines U-Ausschusses verzichten.

Was genau bot Schmidt an?

Wir könnten dann etwa zeitnah ein Schreiben einsehen, dass er im Auftrag von Spitzberg Partners an seinen chinesischen Amtskollegen geschickt hatte. Die Bundesregierung hielt es damals noch geheim. Hinter der PR-Agentur Spitzberg stand Ex-Minister Karl-Theodor zu Guttenberg, ein Wirecard-Lobbyist. Wie haben Sie Schmidts Intervention empfunden?

Für mich war das ein unmoralisches Angebot. Da habe ich mir gedacht: jetzt erst recht. Kurz darauf hatten wir das nötige Quorum zusammen. Dass der Ausschuss so viel zutage fördern würde, ahnte ich aber nicht. Aus jeder Schublade, die wir aufzogen, kam Dreck raus.

Der Ausschuss ist fast beendet. Ihr Fazit? Die deutsche Finanzaufsicht ist nicht fit für das Internetzeitalter.

Die deutsche Finanzaufsicht Bafin sagt, sie sei nur für die Wirecard Bank zuständig gewesen, nicht für den Konzern.

Da die Bilanz der Wirecard AG aufgepumpt war, war Wirecard real eher eine Finanzholding statt ein Technologiekonzern. Hätte die Bafin die Wertpapieraufsicht stärker genutzt, um die Bilanzen zu durchleuchten, hätte sie hierüber auch den Konzern umfassend beaufsichtigen können. Und wenn eine Aufsichtsbehörde bei Bilanzbetrug an Grenzen stößt, muss sie erweiterte Befugnisse einfordern. Das hat die Bafin nie getan.

Wie sehen Sie die Arbeit von EY, den Wirtschaftsprüfern von Wirecard?

EY hat versagt. Die Aufdeckung des Wirecard-Bilanzbetrugs war keine Raketenwissenschaft. EY hat allein für den Jahresabschluss 2019 25.000 Arbeitsstunden abgerechnet. EY wollte das Testat nicht verweigern. Das wäre jedoch ihr Job gewesen. Bevor staatliche Aufsichtsbehörden ins Spiel kommen, sind die privaten Prüfunternehmen zuständig. EY hat Prüfpflichten verletzt, zum Beispiel bei den erfundenen 1,9 Milliarden Euro auf Treuhandkonten. Dem letzten VorstandschefJames Freis fiel angeblich sofort auf, dass es so viel Euros im philippinischen Bankensystem gar nicht gibt.

EY will sich an alle Vorgaben gehalten haben. Ich habe Dokumente gefunden zu den Treuhandkonten. Auf diesen ist die Unterschrift hinter der Unterschriftenlinie. Jedes Kind mit einem Detektivkoffer hätte erkannt, dass das gefälscht war. Ich habe das Dokument Herrn Barth, dem EY-Deutschland-Chefvorgelegt. Er hat es angeblich nicht erkannt.

Wirecard-Vorstandschef Markus Braun sagt, er sei selbst Opfer von Betrügern.

Es gibt zwei Lesarten. Entweder war Braun der dümmste CEO Deutschlands. Das heißt, er war so geblendet von sich selbst, dass er die Wirklichkeit nicht wahrhaben wollte. Oder Braun war ein ausgebuffter Strippenzieher, der viele Leichen im Keller hat.

Welche Lesart halten Sie für wahrscheinlich?

Für mich ist völlig klar, dass Braun gewusst hat, was vor sich ging. Herr Braun wollte im Ausschuss nicht aussagen. Deshalb habe ich vorgeschlagen, dass wir seine Sekretärin vorladen, die frei nach

Schnauze reden kann. Zum Beispiel?

Sie hat sehr eindrücklich geschildert: Sie hatte kaum etwas mit seiner offiziellen Kommunikation zu tun, weil Herr Braun alles über Telegram geregelt hat.

Den Messenger-Dienst, den auch Vorstand Jan Marsalek nutzte.

Ja, und Brauns Nachrichten dort sind auf wundersame Weise verschwunden. Das zeigt, dass er etwas zu verbergen hat. Dem U-Ausschuss haben Mitarbeiter berichtet, wie Braun jede Zahl, jede Twitter-Nachricht kontrolliert hat. Dass ein solcher Mann jetzt behauptet, er habe nichts mitbekommen, ist absurd. Also lügt er?

Wenn ich die Wahl hätte, ob ich der dümmste CEO Deutschlands bin oder einer der größten Wirtschaftskriminellen, dann bin ich lieber Ersteres. Dann habe ich vielleicht ein paar Schäfchen ins Trockene gebracht, gehe ein paar Jährchen wegen Marktmanipulation in den Bau, und segele anschließend an der Cote d'Azur. Rechnen Sie denn damit?

Die Rolle der Staatsanwaltschaft beunruhigt mich. Ich finde es wenig überzeugend, dass die Ermittler Herrn Marsalek gemütlich aus dem Land herausspazieren lassen - zwei Tage, nachdem man erfahren hat, dass 1,9 Milliarden Euro weg sind. Schon bei der ersten Razzia bei Marsalek wurden Dokumente übersehen. Ich habe daher auch große Sorge um das Verfahren gegen Braun.

Sie haben als Parlamentarier viele Finanzskandale untersucht. Jetzt verlassen Sie den Bundestag freiwillig. Haben Sie kapituliert? Überhaupt nicht. Finanzkriminalität ist ein Mega-Themä. Wenn White-Collar-Kriminelle, Finanzeliten weniger stark bestrafen werden, dann beschädigt das das Vertrauen in den Rechtsstaat. Warum hören Sie dann auf?

Ich war nicht mehr damit einverstanden, mit welchen Themen die Linke in der Öffentlichkeit steht. Dabei ist die Wirtschaftsmacht der Big-Tech-Konzerne im digitalen Zeitalter das Zukunftsthema. Wir sprechen nicht mehr nur über Marktmacht, sondern über Gefahren für die Demokratie. Ich werde eine Weile ins Ausland gehen, ein Buch schreiben und mich hoffentlich weiter um Finanzmärkte kümmern. Vielleicht juckt es mich wieder in ein paar Jahren. (...)"

Links:

  1. https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/banken/interview-fabio-de-masi-zu-wirecard-ausschuss-aus-jeder-schublade-die-wir-aufzogen-kam-dreck-/27252838.html?ticket=ST-11067667-f1Je5kdnfyoWl6GKVgEe-ap1