Steueroase EU verweigert Aufklärung

Gastkolumne im Neuen Deutschland

18.06.2015
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Fabio de Masi über den ausgebremsten Ausschuss des Europäischen Parlaments zu den »Lux Leaks«-Enthüllungen und andere Versuche Luxemburgs und der EU-Kommission, Steuergerechtigkeit in der Union zu verhindern

Jährlich verliert die EU etwa eine Billion Euro durch Steuerhinterziehung und -vermeidung. Dem Luxleaks-Skandal will man dennoch nicht mit einem Untersuchungsausschuss angehen. Eine Steuergerechtigkeit wird somit verhindert.

Er hätte sich einen echten Untersuchungsausschuss gewünscht, wie ihn unter anderem die Linksfraktion im Europäischen Parlament gefordert hatte, sagte der Whistleblower Antoine Deltour kürzlich in der Anhörung des Sonderausschusses des Parlaments zu Steuervorbescheiden (TAXE). Deltour hatte die Steuerdeals für große Konzerne in Luxemburg aufgedeckt. Durch die »Lux Leaks«-Enthüllungen hatte er auch den EU-Kommissionspräsidenten und einstigen Luxemburger Regierungschef Jean-Claude Juncker in Bedrängnis gebracht.

Recht hat Deltour nun mit seiner Aussage. Denn drei Monate nach Einrichtung von TAXE konnte bisher kaum ein relevantes Dokument aus den Mitgliedsstaaten eingesehen und konnten wichtige Zeugen nicht vernommen werden. Ein Kartell des Parlamentspräsidenten Martin Schulz hat den Ausschuss trotz der erforderlichen Unterschriften von etwa 190 Abgeordneten mit einem unseriösen juristischen Gutachten verhindert, um Juncker zu schützen. Es ist wie bei einem Mafia-Dinner: Stürzt Juncker, stürzt die Große Koalition im Parlament, stürzt Schulz.

Das hindert Schulz nicht daran, über die »Bild«-Zeitung die Backen gegen Griechenland aufzublasen - wegen dessen vermeintlicher Nachlässigkeit gegenüber reichen Steuersündern. Dabei verschweigt er, dass der griechische Finanzminister nach den Sparbomben der Troika nur noch über etwa 100 Steuerfahnder verfügt. Und der Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem prellt Griechenland über Briefkastenfirmen in den Niederlanden jährlich um Millionen. In puncto Steuergerechtigkeit herrscht in der EU eben Wilder Westen. Die EU-Staaten verlieren jährlich etwa eine Billion Euro durch Steuerhinterziehung und -vermeidung.

Die Vertreter internationaler Konzerne wie Amazon, IKEA oder Google erklärten indes, »keine Zeit« für TAXE zu haben oder wegen laufender Ermittlungen der EU-Kommission eine Aussage zu verweigern. Die Luxemburger Regierung behauptete gar, »Mister Tax Ruling« Marius Kohl, der viele der fragwürdigen Steuervorbescheide für die Multis in Luxemburg im Rekordtempo ausgestellt hatte, sei kein aktiver Beamter mehr und nicht zu kontaktieren. Er steht im Luxemburger Telefonverzeichnis. Unter seiner Rufnummer ertönte aber: »Kein Anschluss unter dieser Nummer.«

Es geht nicht nur um Luxemburg, sondern um systematischen und überwiegend legalen Steuerbetrug in ganz Europa zum Nachteil der Bevölkerungsmehrheit. Schließlich profitieren auch deutsche Konzerne vom Steuerkartell. Eine Krähe wie Finanzminister Wolfgang Schäuble hackt der anderen kein Auge aus.

Die EU-Kommission schlägt den automatischen Austausch von Steuervorbescheiden zwischen EU-Staaten vor - ohne Zugang der Öffentlichkeit. Auch die angepeilte vereinheitlichte Bemessungsgrundlage der Körperschaftssteuer im Rahmen eines »Aktionsplans« wird Steuerwettbewerb eher anheizen, da hierdurch Steuersätze für Unternehmen noch besser vergleichbar werden. Luxemburg führt nebenbei neue Formen von Stiftungen ein, um ausländische Reiche vor der Erbschaftssteuer zu schützen. Deutschland bastelt an einer Patentbox, mit der Gewinne über fiktive Lizenzgebühren verschleiert werden.

All das zeigt: Wir brauchen endlich eine konsolidierte, internationale Bemessungsgrundlage, die den gesamten Gewinn eines Konzerns unabhängig von Briefkasten- und Tochterformen ausweist und nach ökonomischer Aktivität auf die jeweiligen Staaten aufteilt. Zudem brauchen wir Mindeststeuern für Konzerne. Das geht nur mit neuen EU-Verträgen. Transfers innerhalb eines Konzerns müssen drastisch an der Quelle besteuert werden. Banken, die wiederholt Beihilfe zur Steuerhinterziehung leisten, ist die Lizenz zu entziehen.

Inzwischen wurde selbst der Journalist Edouard Perrin in Luxemburg angeklagt, der zuerst über »Lux Leaks« berichtet hatte. Schutz der Pressefreiheit und von Whistleblowern? Fehlanzeige. Die EU-Kommission will mit ihrer Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen den Schutz von Whistleblowern sogar weiter absenken. Dann können Unternehmen frei entscheiden, was ein geschütztes Geheimnis ist. Im Zweifel zählt dazu auch die Steuerpraxis. Vielleicht sollten Sie sich beim nächsten Gang zum Finanzamt künftig auf Ihr Geschäftsgeheimnis berufen - falls Sie Amazon heißen.

Der Artikel ist zuerst im Neuen Deutschland erschienen.