Vom Feeling her ein gutes Gefühl

Interview Tagesspiegel

23.12.2025
European Union

Erschienen bei Tagesspiegel[1]

BSW-Chef Fabio De Masi : „Wir sind gegen Anti‑AfD‑Koalitionen“ 

Herr De Masi, Sie wurden Anfang Dezember gemeinsam mit Amira Mohamed Ali zum BSW-Chef gewählt und folgen damit auf Sahra Wagenknecht, die Chefin der Grundwertekommission wird. Bleibt sie damit so etwas wie eine Schattenchefin?
Frau Wagenknecht ist unser bekanntestes Gesicht und setzt politische Impulse. Ich habe mir in den vergangenen Jahren auch einen Namen bei Finanzskandalen gemacht. Wir haben nun mehr Gesichter an der Spitze. 

Grundwerte sind aber nun einmal sehr grundsätzlich. Werden Sie in Ihrer Rolle genügend Gestaltungsfreiheit haben, um eigene Akzente zu setzen?
Ja. Wir haben nun über 11.000 Mitglieder. Die wollen zu Recht mitreden. Wir wurden stark über Themen wie Frieden wahrgenommen, sind aber auch eine Partei, die für das Versprechen des sozialen Aufstiegs und der wirtschaftlichen Vernunft steht. Frau Wagenknecht und ich arbeiten seit Jahren eng zusammen.

In den vergangenen Monaten gab es im BSW teils heftige Macht- und Richtungskämpfe, teils öffentlich ausgetragen. In welchem Zustand haben Sie die Partei übernommen?
Es gibt einige Brandherde im BSW. Bei einer jungen Partei, die sofort in zwei Landesregierungen eingetreten ist, überrascht das nicht. Ich habe jedoch gerade erst einen Parteitag erlebt, auf dem die Hütte vor Begeisterung brannte. Viele unserer politischen Einschätzungen – die militärische Erschöpfung der Ukraine, die hohen Energiepreise, die unserer Industrie das Genick brechen und die wirtschaftlichen Folgen stagnierender Reallöhne und des Rüstungswahns – wurden auf tragische Weise bestätigt. 

Zu Beginn wurde das BSW sozusagen von oben nach unten aufgebaut. Inhaltliche Diskussionen fanden nicht statt. Hat sich das gerächt? 
Die kontrollierte Mitgliederaufnahme hat uns geschwächt. Wir hatten weniger Botschafter im Wahlkampf auf der Straße. Wir waren gezwungen, als neue Partei innerhalb von wenigen Monaten etliche Wahlkämpfe zu führen und zu verhindern, dass völlig unklar ist, wer in die Partei strömt. Das hat Unterstützer frustriert, aber trotzdem ist das BSW eine Erfolgsgeschichte: Wir sind in drei ostdeutsche Landtage eingezogen, hatten eine starke Europawahl und das beste Bundestagswahlergebnis einer neuen Partei.

Haben die Folgen dieser Aufstellung, also etwa vielfach unbesetzte Listenplätze oder der offene Streit in Thüringen, Sie den Einzug in den Bundestag gekostet?
Die Debatte um Thüringen hat nicht geholfen. Dazu kamen Probleme in Hamburg und die veränderte Lage nach Trumps Wahlsieg in den USA, als die Ukraine einige Zeit aus den Schlagzeilen verschwand. Eine junge Partei wird oft nur mit einem Thema verbunden. Unsere anderen Themen – Gesundheit, Mieten, Rente – gingen unter. Aber wir blicken nach vorn. In den Umfragen stehen wir stabil bei rund vier Prozent, was für eine Partei außerhalb des Parlaments beachtlich ist. Wie sagte ein Fußballer mal? Vom Feeling her habe ich ein gutes Gefühl.

Wie wollen Sie die weiter schwelenden internen Konflikte langfristig lösen?
Indem wir mehr miteinander debattieren. Sahra Wagenknecht wurde zu viel aufgebürdet. Viele unserer Mitglieder sind neu in der Politik und suchen Orientierung. Wir können die Partei nicht nur über Interviews oder Talkshows führen. 

Wie wollen Sie das ändern?
Wir müssen auf die Marktplätze, wir müssen unsere Talente auf Veranstaltungen zeigen. Mit Oliver Ruhnert als Generalsekretär haben wir einen guten Coach. Er hat als Fußball-Manager bereits bei Union Berlin Aufstiege organisiert.

Wohin wollen Sie die Partei inhaltlich führen?
Wir stehen für Entspannungspolitik und Rüstungskontrolle, die den illegalen russischen Angriffskrieg verhindert hätte. Wir wollen eine souveräne Energiepolitik. Dies erfordert, die Nord-Stream-Pipeline – eingebettet in einen Waffenstilstand – wieder in Betrieb zu nehmen. Denn wir hauen Donald Trump die Auftragsbücher mit teurem Fracking-Gas voll, während er unsere Industrie mit Strafzöllen überzieht. Wir müssen das Land mit öffentlichen Investitionen reparieren, statt es tot zu rüsten. Wir wollen ein Rentensystem wie in Österreich, wo alle in die Rentenkasse zahlen und eine gerechte Steuerpolitik. US-Tech‑Konzerne und Milliardäre wollen wir angemessen besteuern und den Mittelstand von Bürokratie entlasten.

Sie betonen Ihre Opposition gegen die sogenannte Eskalationspolitik, was bei vielen Wählern als russlandfreundliche Haltung ankommt. Sehen Sie darin ein Problem?
Der Vorwurf ist unbegründet. Ich war im Wirecard‑Untersuchungsausschuss Ziel eines mutmaßlichen russischen Spions und habe die Kanzlerin persönlich vor dem Einfluss russischer Oligarchen auf die deutsche Cybersicherheit gewarnt. Wir verurteilen den Ukraine-Krieg als völkerrechtswidrig. Wir sagen aber: Die NATO‑Perspektive der Ukraine hat diesen Krieg begünstigt. Das sagen auch US‑Sicherheitspolitiker. Wir wollen das Sterben beenden.

Wie sollte Deutschland denn Ihrer Meinung nach auf die veränderte Sicherheitslage reagieren – wenn nicht mit mehr Wehrfähigkeit?
Es braucht wieder Rüstungskontrolle und Abrüstungsverträge. Russland bleibt unser europäischer Nachbar. Fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung würde bedeuten, dass fast jeder zweite Bundes-Euro in die Rüstung fließt – während die USA und China uns bei KI, Infrastruktur und Technologie davoneilen. Das wäre ökonomischer Selbstmord.

Zuletzt haben Sie auch eine Namensänderung beschlossen, die aber erst im Oktober 2026 wirksam werden soll. Befürchten Sie, ohne das Zugpferd Wagenknecht bei den kommenden Landtagswahlen baden zu gehen? 
Nein. Die Verzögerung ist juristisch bedingt. Eine sofortige Umbenennung der Partei könnte bereits gewählte Listen zu den Landtagswahlen ungültig machen. Das Kürzel BSW ist aber etabliert.

In neun Monaten wird auch in Sachsen-Anhalt gewählt, wo die AfD derzeit mit bis zu 40 Prozent die Umfragen anführt. Wie stehen Sie zu einer möglichen Zusammenarbeit?
Die AfD steht für Hochrüstung, Privatisierung der Renten und will Facharbeiter höher besteuern als Milliardäre. Das lehnen wir ab. Wir wollen Migration begrenzen und steuern – aber ohne Ressentiments.

 

Das heißt?
Eine Koalition mit der AfD wird es nicht geben. Wir lehnen jedoch Brandmauern bei Ausschussvorsitzen ab und prüfen Anträge inhaltlich. Wir schlagen Expertenregierungen vor, die mit wechselnden Mehrheiten regieren.

Sie würden also auch keinen AfD‑Ministerpräsidenten mitwählen?
Die AfD hat keine Idee, um das Land voranzubringen. Aber genauso wenig unterstützen wir reine Anti‑AfD‑Koalitionen, die die Unzufriedenheit der Bürger nicht verringern. Wir wollen Lösungen, die das Land einen.

 

 

 

Links:

  1. https://www.tagesspiegel.de/politik/bsw-chef-fabio-de-masi-wir-sind-gegen-antiafdkoalitionen-15062994.html