„Wir haben uns an den Rockzipfel der USA geklammert“
Passauer Neue Presse
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»Seit 2024 ist Fabio De Masi Mitglied des Europäischen Parlaments. Er führt die fünfköpfige BSW-Delegation. Von 2017 bis 2021 war er stv. Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag. In Brüssel gilt er als scharfer Kritiker der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Haben Sie den Schritt von den Linken zum BSW nicht schon bereut, nachdem die Linken gerade einen Aufschwung erleben?
Fabio De Masi: Nein, wir haben immer noch eine der erfolgreichsten Parteiengründungen der Bundesrepublik durchgeführt. Es ist noch keiner Partei gelungen, auf Anhieb in drei Landesparlamente einzuziehen. Bei der Europawahl haben wir über sechs Prozent geholt. Bei der Bundestagswahl sind wir laut dem amtlichen Ergebnis mit 4,98 Prozent so knapp gescheitert wie noch keine neue Partei. Selbst die AfD, die jetzt teilweise die Umfragen anführt, holte 2013 nur 4,7 Prozent. Und wir sind überzeugt, dass wir durch unsere Wahlbeschwerde noch in den Bundestag einziehen werden.
Glauben Sie, dass die Wahlbeschwerde Erfolgsaussichten hat?
De Masi: Ja. Ich habe es vorher selbst nicht für möglich gehalten, wie schlecht unser Wahlsystem bei einem so knappen Fall funktioniert. In den USA wird bei einem Prozentstimmenunterschied automatisch nachgezählt. Einen so knappen Fall wie bei uns, den gab es noch nie. Es fehlten uns am Anfang 13 435 Stimmen, jetzt fehlen uns noch knapp 9500. Über 40 Prozent aller Stimmkorrekturen des vorläufigen Wahlergebnis entfielen nur auf das BSW. Bei einer Stichprobe aus Nachzählungen trat im Schnitt in jedem dritten Wahllokal eine Stimme für das BSW hinzu. Jede Stimme muss zählen, ab der Fünf-Prozent-Hürde. Und wenn man nicht sicher weiß, ob wir die unterschritten haben, muss nachgezählt werden. Fatale Entscheidungen werden von einer Regierung Merz getroffen, die womöglich keine Mehrheit hat. Fünf Prozent unserer Wirtschaftskraft für Rüstung, heißt jeder zweite Euro aus dem Bundeshaushalt. Das Motto „Panzer statt Autos“ macht Deutschland kaputt.
Würden Sie angesichts der Situation in Deutschland nicht doch lieber hier Politik machen?
De Masi: Mir ist wichtig, in Deutschland vor Ort zu sein, deswegen öffne ich jetzt auch ein Büro in Passau. Aber ich habe eine Aufgabe im EU-Parlament. Europa beeinflusst die deutsche Politik, denken Sie etwa an die Russland-Sanktionen und die Energiepreise. Ohne Bundestagsfraktion muss ich mich jedoch noch stärker in Deutschland engagieren, weil unser Ziel ist, dass wir das BSW in Deutschland verankern.
Sie gelten als scharfer Kritiker der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Was macht sie denn so falsch?
De Masi: Frau von der Leyen hat Europa in eine politische und ökonomische Sackgasse geführt. Wir haben 18 Sanktionspakete gegen Russland mit Tausenden Einzelsanktionen beschlossen. Sie haben aber den brutalen Krieg nicht verkürzt, und wir sind in der Energiepolitik noch mal viel abhängiger von Donald Trump geworden. Zu Gaza hat Frau von der Leyen monatelang geschwiegen. Und während Trump uns Strafzölle aufbrummt, hauen wir ihm die Auftragsbücher voll und bestellen mehr Fracking-Gas und mehr US-Rüstungsgüter. Und eben das ist eine Form der Unterwürfigkeit, die unsere Industrie kaputt macht. Wir haben uns an den Rockzipfel der USA geklammert. Auf die Strafzölle Trumps hätten wir mit Abwehr-Maßnahmen gegen US-Tech-Konzerne reagieren können, die in der EU enorme Umsätze machen. Darauf haben wir verzichtet. Und jetzt hat uns Trump völlig die Hosen ausgezogen.
Sie haben den Misstrauensantrag gegen von der Leyen mit unterstützt, da mit den Rechtsaußenparteien gestimmt.
De Masi: Wir entscheiden in der Sache. Die AfD ist für Hochrüstung und will die Renten kürzen. Wir wollen Migration steuern, jedoch ohne die Fremdenfeindlichkeit der AfD. Ich habe Frau von der Leyen nicht gewählt, dann kann ich ja nicht auf einmal für sie stimmen, nur weil die Rechten sie jetzt weghaben wollen. Dann hat die AfD ja in der Hand, was ich noch tun oder sagen darf.
Sie plädieren dafür, mit der AfD zu reden, statt sie generell zu boykottieren?
De Masi: Die AfD ist unser politischer Gegner, hat aber von der Opferrolle profitiert. Die schlechte Regierungspolitik hat ihren Aufstieg verursacht. Und weil darüber die anderen Parteien nicht sprechen wollen, werden ihr dann Ausschussvorsitze vorenthalten oder jeder Antrag abgelehnt. Übrigens steht sie bei Rüstung, Wirtschafts- oder Sozialpolitik Friedrich Merz viel näher als dem BSW.
Sie haben sich als Kritiker bei den Cum-Ex-Geschäften oder im Untersuchungsausschuss zum Wirecard-Skandal viel Anerkennung erworben. Wie abgeschlossen ist das Ganze?
De Masi: Finanzskandale sind nie vorbei. Die Finanzkriminalität ist erfinderisch und die hört nicht auf. Und wir haben zum Beispiel immer noch kein System in Deutschland, dass unsere Steuerverwaltung so digitalisiert ist, dass wir Cum-Ex-Betrugsmodelle automatisch erkennen. Im Wirecard-Skandal, da spielten auch die Sicherheitsbehörden, auch die Nachrichtendienste eine Rolle. Es ging darum, wer die Kontrolle über die schmutzigen Geldströme international hat, und das ist natürlich immer noch ein großes Thema. Der flüchtige Wirecard-Manager Jan Marsalek ist in Russland. Aber er kooperierte auch mit deutschen Behörden. Da gibt es noch viel schmutzige Wäsche im Kleiderschrank.«
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Links:
- https://www.pnp.de/nachrichten/politik/wir-haben-uns-an-den-rockzipfel-der-usa-geklammert-19561331
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