»Wahlsiege sind nur eine Nacht lang schön«

Spiegel Portrait

23.12.2022

 

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Was macht die Politik mit den Menschen? Unsere Reporterin hat drei Profis gefragt: Volker Bouffier, Anke Rehlinger, Fabio De Masi. Sie berichten von Zweifeln, Schicksalsschlägen – und Glücksmomenten.

Permanenter Druck, Workaholismus: Warum ein erfolgreicher Abgeordneter hinwirft 

Am 7. Oktober 2021 um 16:32 Uhr sendet der Linkenpolitiker Fabio De Masi einen Tweet: »Diplomatenpass abgegeben, Büroschlüssel hinterlegt! Abgeordnetenausweis kommt mit der Post. Ein paar Anfragen von mir muss die Regierung noch beantworten. Dann ist Ruhe! War mir eine Ehre.« Es ist sein Abschied aus dem Bundestag[2], nach nur einer Legislaturperiode geht ein Abgeordneter, der als einer der begabtesten gilt, als »kluger Kopf«, als »einer der profiliertesten Finanzexperten«, der sich in den Skandalen um Wirecard und Cum-Ex-Deals als Aufklärer einen Namen machte. Warum wirft so einer hin?

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Er ist 42 und nennt sich jetzt »Finanzdetektiv« und Autor, schreibt Kolumnen zu Finanzthemen, berät eine TV-Produktion, unterstützt die Bürgerbewegung »Finanzwende«, schreibt ein Buch. Er arbeitet von zu Hause aus, er hat kein Büro mehr wie Bouffier, keinen Fahrer, keine Vorzimmerdame. Nach einer Legislaturperiode standen ihm vier Monate Übergangsgeld zu, er nennt das ein »absolutes Privileg«, das ihm geholfen habe, sich beruflich neu zu sortieren.

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2014 saß er im Europaparlament, als das legendäre WM-Halbfinale Brasilien[3]-Deutschland lief, er habe draußen vom Platz den Jubel der deutschen Fans gehört, aber unbedingt noch etwas zu Ende schreiben wollen. Sieben Tore schoss Deutschland, De Masi, der Fußballfan, sagt, er habe sie alle verpasst. Auch privat sei »viel liegengeblieben«.

Schon als er 2017 in den Bundestag wechselte, sagt De Masi, habe er mit sich gerungen, mit seiner Rolle als Vater, mit seiner Partei. Sein Sohn war noch klein, seine Partei, die Linke, zerschliss sich bereits in Flügelkämpfen. Politik, sagte er da in einem Interview, »macht auf Dauer krank«. (...)

Aber da war auch die Sucht. Er arbeitete bis tief in die Nacht, noch am Wochenende las er Akten wie ein Ermittler. Er bekam Aufmerksamkeit für seinen Kampf gegen das Finanzgangstertum, und er wollte mehr davon. »Die Währung, um aus der Opposition etwas zu erreichen, ist nun mal Öffentlichkeit.« Aber er war auch eine Art Star geworden und wollte es offenbar gern bleiben.

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Von seiner Fraktion fühlte er sich alleingelassen. »Ich war der einzige Abgeordnete im Wirecard-Untersuchungsausschuss, der über weite Strecken keinen Stellvertreter hatte.« Er habe sich »häufig gefühlt, als würde ich einen Steilpass in den Strafraum hineinspielen, und die stehen vor einem leeren Tor und verwandeln nicht«. Er hatte Erfolg, gehörte zu den Abgeordneten mit den meisten Redebeiträgen im Bundestag. Doch da war das Gefühl, wie er heute sagt, »ich habe alles nur halb gemacht«.

Auf dem Schulfest seines Sohnes habe er die Hälfte der Eltern nicht gekannt. In der Fraktion habe er »geackert, die anderen haben die Strippen gezogen und mich außen vor gehalten. Wieder nur halb dabei.« Als er seinen Rückzug angekündigt hatte, hätten nur wenige mal gefragt, »wie es mir eigentlich geht«. Und das seien eher Kollegen anderer Parteien gewesen. Er sei ein »heimatloser Linker«, sagt er einmal in einem Telefonat. Im September tritt er aus der Linken aus, bei keiner der Landtagswahlen in diesem Jahr hat sie die Fünfprozenthürde geschafft. »Ich bin sehr froh«, sagt De Masi, »diese Malaise nicht mehr durchleben zu müssen.«

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Politik ist ein hungriges Biest, Zeit frisst es besonders viel. Bouffier spricht von 18-Stunden-Tagen, »und zwar meistens«, Fabio De Masi sagt, wenn Wirecard-Untersuchungsausschuss war, habe er häufig nur drei Stunden geschlafen. (...)

Aussteiger De Masi sagt, ihm gehe es heute »viel besser« als davor. Er gehe jetzt regelmäßig schwimmen, sei nach Mosambik[4] gereist und nach Verona, um dort ein paar Wochen zu wandern und sein Italienisch aufzubessern. Nun ist er wieder in Südafrika[5], seiner Zweitheimat, wo er mehrere Monate im Jahr lebt. Dort habe er etwas verwirklicht, sagt er, was er früher »nie geschafft hätte«: Er hat isiXhosa gelernt, die Sprache Nelson Mandelas.

 

 

Links:

  1. https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/volker-bouffier-anke-rehlinger-fabio-de-masi-was-die-spitzenpolitik-mit-den-menschen-macht-a-5c551e7a-5a89-4d7f-adc8-6bad2a939e4e
  2. https://www.spiegel.de/thema/bundestag/
  3. https://www.spiegel.de/thema/brasilien/
  4. https://www.spiegel.de/thema/mosambik/
  5. https://www.spiegel.de/thema/suedafrika/