Geheimdienst-Märchenstunde im Öffentlich-Rechtlichen

Cicero Magazin

08.06.2022

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Der Wirecard-Milliardenbetrug ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auch ein Geheimdienstskandal, hinter dem ein politisches Netzwerk steht. Doch der BND und die Bundesregierung mauern und verschanzen sich bei Kleinen Anfragen von Bundestagsabgeordneten hinter dem Staatswohl. Umso ärgerlicher ist es, dass der Bayerische Rundfunk jüngst einem verwickelten Ex-Geheimdienstler und einem bestens vernetzten Ex-CDU-Politiker unkommentiert Raum gab, um unglaubwürdige Behauptungen zu verbreiten. Eine nachträgliche Einordnung. Von Ulrich Thiele

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Am 8. Mai veröffentlichte Cicero ein ausführliches Interview mit dem Linken-Politiker und Ex-Bundestagsabgeordneten Fabio De Masi. De Masi wirft darin deutschen Sicherheitsbehörden vor, den Wirecard-Milliardenbetrug gedeckt zu haben. Jahrelang war der Zahlungsdienstleister das deutsche Vorzeigeunternehmen und der Liebling der Regierung. Beim deutsch-chinesischen Finanzdialog 2019 wurde nicht einmal die Deutsche Bank so sehr protegiert wie Wirecard. Dabei hatte das Unternehmen in großem Stil Bilanzen gefälscht. Obwohl es seit Jahren Hinweise darauf gab, ließen die Wirtschaftsprüfer Wirecard gewähren und attestierten saubere Bilanzen. Auch die Bundesregierung in Gestalt der damaligen Kanzlerin Angela Merkel und des damaligen Finanzministers Olaf Scholz setzte sich weiter für das kriminelle Unternehmen ein – zulasten zahlreicher Kleinanleger, deren finanzielle Verluste nie entschädigt wurden.

„Wirecard ist ein Geheimdienstskandal“

Wirecard ist in der Frühphase des Internets mit Zahlungsabwicklung für Online-Glücksspiel und Pornographie groß geworden. Online-Glücksspiel dient der Geldwäsche der organisierten Kriminalität und von Terroristen, weil sich Umsätze leicht manipulieren lassen. Das hat Wirecard für die Nachrichtendienste interessant gemacht. Außerdem war das Unternehmen für sie verlockend, um selbst Zahlungen für Aktivitäten der Geheimdienste im Ausland zu tarnen. Fabio De Masi ist überzeugt, dass der bestens vernetzte Ex-Vorstand Jan Marsalek das genutzt hat, um mit Geheimdiensten aus verschiedenen Ländern zusammenzuarbeiten.

Vieles spricht für seine These. Um nur ein Beispiel von vielen zu nennen: Marsalek soll mit ranghohen österreichischen Beamten eine Miliz mit russischen Söldnern zur Flüchtlingsabwehr in Libyen geplant haben – zu einer Zeit, als der damalige Kanzler Sebastian Kurz sich öffentlich als Anti-Merkel präsentierte. Als sich die Hinweise auf die kriminellen Machenschaften des Unternehmens verdichteten, hätten auch deutsche Sicherheitsbehörden Wirecard geschützt. „Wirecard war auch ein Asset unserer Nachrichtendienste. Ich bin der festen Überzeugung, dass Wirecard auch ein Geheimdienstskandal ist“, hinter dem ein politisches Netzwerk stecke, sagte De Masi Cicero.

Zwei Märchenonkel plaudern im ÖRR

Als der Bilanz-Betrug im Sommer 2020 aufflog, konnte Jan Marsalek von einem Kleinflughafen in Österreich aus fliehen. Mit Hilfe eines FPÖ-Abgeordneten und des ehemaligen österreichischen BVT-Agenten Martin Weiss, der den Flug organisierte. Marsalek flog zunächst nach Minsk, wohin er von dort weiterreiste, war der Öffentlichkeit lange unbekannt.

Im April enthüllte die Bild-Zeitung, dass er nach Moskau geflohen sein soll – und der deutsche BND schon seit Monaten davon wusste. Auf ein Angebot Russlands, Marsalek vor Ort zu sprechen, ist der  BND nicht eingegangen. Angeblich, weil es eine Falle hätte sein und das Treffen hätte fotografiert werden können, um den BND zu diskreditieren. Laut De Masi gäbe es Informationen, „wonach die Verhandlungen bereits weiter fortgeschritten waren, als bisher öffentlich eingeräumt wurde. Die russische Seite soll dabei auch schon konkrete Forderungen für die Auslieferung von Marsalek gestellt haben.“

Zwei Personen aus Geheimdienstkreisen, deren Rolle im Wirecard-Geheimdienstskandal De Masi kritisiert, legten jüngst ihre Versionen der Geschichte in der BR-Sendung „report München“ dar: Ex-BVT-Agent und Marsalek-Fluchthelfer Martin Weiss sowie Bernd Schmidbauer, der zwischen 1991 und 1998 im Kanzleramt unter Helmut Kohl Geheimdienstkoordinator war.

Ihre Versionen strotzen nur so vor Widersprüchlichkeiten. Angefangen beim mittlerweile 83-jährigen Schmidbauer, für dessen Verstrickung an dieser Stelle etwas ausgeholt werden muss.