IT Deal mit Fragezeichen

Die Cybersecurity Firma der Bundesregierung, Russland und das Marsalek Netzwerk

25.02.2022

Vollständiger Artikel auf Capital[1]

Geschäftsanbahnung in Österreich

Dennoch hatten in der breiten Öffentlichkeit wohl nur wenige jemals von Virtual Solution gehört, als der Name erstmals in Verbindung mit dem Wirecard-Skandal fiel. Der damalige Linken-Abgeordnete Fabio De Masi stolperte in Vernehmungsprotokollen aus Österreich über die Aussage von Marsaleks mutmaßlichem Fluchthelfer Martin W., der angab, Marsalek und von Rintelen hätten sich „näher“ gekannt. Als Ende April 2021 der damalige Finanzminister und SecurePIM-Nutzer Scholz und Kanzlerin Merkel als Zeugen im Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestags aussagten, sprach De Masi beide darauf an. Die US-Agentur Bloomberg berichtete über Virtual Solution und die Spur zu Marsalek[2]. Auch SPD-Vertreter im Untersuchungsausschuss äußerten sich besorgt.

Direkt nach der Scholz-Vernehmung meldete sich Finanzstaatssekretär Wolfgang Schmidt, Scholz‘ engster Vertrauter, bei De Masi. Er bat um weitere Informationen, damit man sich kümmern und „nachfassen“ könne. Was der heutige Kanzleramtschef Schmidt damals nicht erwähnte: Er selbst stand schon im Austausch mit von Rintelen – obwohl er im Finanzressort gar nicht für IT-Sicherheit und die eingesetzten Produkte von Virtual Solution zuständig war, wie die Bundesregierung im Januar in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage einräumte. Darin listete sie vier Kontakte zum „allgemeinen Austausch“ zwischen Scholz‘ Staatssekretär und von Rintelen im Februar 2020 sowie zwei weitere im Januar 2021 auf. Allerdings sei 2020 nur einer als „physisches Treffen“ erfolgt. Ein Großteil der Kontakte lief offenbar per Mail. Worum es bei dem Austausch konkret ging, ist bis heute unklar.

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Tatsächlich stellte von Rintelen im November 2019 seine Firma und ihre Produkte einem Spitzenbeamten im Wiener Außenministerium vor. Der Diplomat steht heute unter Verdacht, streng geheime Dokumente mit der Formel für das russische Nervengift Nowitschok weitergegeben zu haben. Das Dokument landete – wohl über eine Clique von österreichischen Ex-Spionen um W. und dessen Ex-BVT-Kollegen Egisto O. – bei Marsalek, der damit im Sommer 2018 vor Investoren in London prahlte. Als zum Jahreswechsel 2019/2020 großflächige Cyberangriffe auf die österreichische Regierungs-IT liefen, suchte der Spitzendiplomat über W. Kontakt zu von Rintelen. In diese Chats war auch Marsalek eingebunden.[3] Allerdings verfügt Virtual Solution nach eigenen Angaben über kein Produkt, das bei der Bekämpfung einer akuten Cyberattacke helfen kann.Über die Jahre gab es regelmäßige Treffen zwischen Eigentümer von Rintelen und dem BSI – mal unter vier Augen mit dem Behördenchef in einer Executive Lounge des Berliner Hotels Adlon, zu dessen Gegenstand sich die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage ausschwieg, mal unter Vermittlung des früheren CDU-Bundestagsabgeordneten Clemens Binninger, der mehrere Jahre Chef des Kontrollgremiums für die Geheimdienste war. Binninger wollte sich auf Anfrage nicht zu diesem Termin im Frühjahr 2020 äußern. Ein anderes Mal ging es im Mai 2019 bei einem Treffen im BSI um ein „konkretes Projekt des BKA“. Ob Produkte von Virtual Solution auch bei den Nachrichtendiensten des Bundes eingesetzt werden, hält die Bundesregierung – wie in solchen Fällen üblich – unter Verweis auf das Staatswohl auch gegenüber den Abgeordneten geheim.

Russischer Gas-Oligarch als „Mentor“

Jahrelang schrieb Virtual Solution rote Zahlen, vor allem wegen der hohen Entwicklungskosten für die Sicherheitsapp SecurePIM, die in erster Linie an Behörden, aber auch an Unternehmen wie Finanzdienstleister oder Rüstungskonzerne verkauft wird. Im Corona-Krisenjahr 2020 lag laut Geschäftsbericht zweitweise eine buchtechnische Überschuldung vor. Die Löcher in den Bilanzen stopfte von Rintelen wiederholt mit Gesellschafterdarlehen in Millionenhöhe und Kapitalerhöhungen.

Das Geld dafür kam unter anderem aus dem früheren Verkauf eines Pakets von Aktien des russischen Gasriesen Novatek, für dessen Hauptaktionär Leonid Michelson von Rintelen nach einer beruflichen Station im Linde-Konzern für mehr als ein Jahrzehnt bis Ende 2013 gearbeitet hatte. Heute nennt er Michelson seinen „Mentor“ und verteidigt ihn vehement. Der Putin-nahe Oligarch, einer der reichsten Russen, könnte sich nach dem russischen Angriff auf die Ukraine bald auf westlichen Sanktionslisten wiederfinden. Gegen sein Unternehmen haben die USA schon früher Sanktionen verhängt.

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Digid wollte zu Beginn der Corona-Krise, als noch keine Schnelltests breit verfügbar waren, einen revolutionären Fünf-Minuten-Antigentest auf Nanotechnologiebasis entwickeln. Einige träumten deshalb vom ganz großen Geschäft, etwa auch in den USA. Für Digid als Berater tätig war damals nach neuen Capital-Recherchen auch ein weiterer Marsalek-Bekannter: ein anderer Ex-FPÖ-Abgeordneter, der dem Wirecard-Vorstand nach dem Auffliegen des Bilanzschwindels am 18. Juni 2020 zusammen mit Ex-BVT-Agent W. bei der Flucht geholfen haben soll, indem er für ihn den Privatjet für die Ausreise nach Minsk organisierte. Der Ex-Parlamentarier der rechtslastigen FPÖ stand zuvor im Zentrum einer Affäre um einen Mandatskauf durch einen ukrainischen Oligarchen. 2021 wurde er wegen schweren Betrugs in einem anderen Fall zu einer Haftstrafe verurteilt. Von Rintelen versichert, er habe nie Kontakt mit dem FPÖ-Mann gehabt: „Seine Beratung für Digid fand auf operativer Ebene statt. Ich selbst hatte davon weder Kenntnis noch Kontakt zu ihm.“

 

Links:

  1. https://www.capital.de/wirtschaft-politik/it-sicherheit--ein-deal-mit-fragezeichen--31655164.html
  2. https://www.bloomberg.com/news/articles/2021-04-23/merkel-warned-of-wirecard-fugitive-link-in-cell-phone-software
  3. https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/J/J_08733/fnameorig_1013609.html

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