Wirecard: "Die gesamte Kommunikation offenlegen"

Tagesspiegel-Interview: Linken-Fraktionsvize Fabio de Masi will in der Wirecard-Affäre auch das Kanzleramt befragen

22.07.2020

Herr de Masi, was sind für Sie die größten Ungereimtheiten im Wirecard-Skandal?

Da ist zum Einen das Thema Finanzaufsicht. Da sind immer noch wesentliche Fragen ungeklärt. Der Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Felix Hufeld, sagt immer, man hätte die Wirecard AG damals nur als Technologiekonzern wie etwa Volkswagen einstufen können. Man sei daher beim Thema Geldwäsche nur für die Wirecard Bank zuständig. Aber Wirecard wickelte Zahlungen ab und baute keine Autos. Es gab zudem Prüfungen der Wirecard-Bank, die angeblich auf Kommando des Vorstands Millionenkredite vergab an Markus Braun und von Wirecard gekaufte Firmen. Daher ist die Trennung zwischen Bank und Konzern künstlich und die BaFin hätte eingreifen müssen.

Warum wurde das nicht gemacht?

Ich kann nur spekulieren. Vielleicht dachte man, Wirecard ist eben keine Sparkasse, sondern das neue deutsche Finanzwunder. Die schöpfen Finanzdaten ab, um mit Technologie Kreditrisiken zu ermitteln. Die kommen aus riskanten Märkten - Online-Glückspiel und Porno. Aber wenn wir Ihnen Zeit geben und nicht zu viele unbequeme Fragen stellen, dann drehen die das große Rad und decken die Verluste mit neuen Gewinnen ab. Das würde erklären, dass zum Beispiel am Ende der Regierungsbezirk Niederbayern einen Weltkonzern beaufsichtigt nur weil er seinen Konzernsitz in Bayern hat. Man stelle sich vor, St. Pauli kontrolliert Facebook. Aber das ist Spekulation und wir müssen das aufklären.

Und nun gibt es ein Schwarzer-Peter-Spiel.

Wir erfahren jeden Tag etwas Neues aus der Presse. So will das Finanzministerium das Kanzleramt über Wirecard informiert haben, bevor die Kanzlerin für den Konzern in China Lobbyismus machte. Was hat vielleicht das Wirtschaftsministerium mit Bayern besprochen? Da ist noch vieles offen. Es gibt ja viele Verbindungen zur CSU nach Bayern, Karl-Theodor zu Guttenberg, der sich bei der Kanzlerin für Wirecard eingesetzt hat, oder die Kanzlei von Peter Gauweiler, die Wirecard im Verfahren gegen Journalisten vertreten hat, die frühzeitig über Marktmanipulationen berichtet haben - und Wirecard hat die Corona-Hilfen für die bayerische Landesregierung umsonst abgewickelt. Inzwischen versucht die bayerische Landesregierung, die Zuständigkeit des Regierungsbezirks Niederbayern zu leugnen. Das ist alles eine Provinzposse.

Für wen wird das richtig gefährlich?

Bundesfinanzminister Olaf Scholz war frühzeitig über Probleme informiert. Aber man muss in einem Untersuchungsausschuss natürlich auch nach Bayern, zur CSU, und zur Kanzlerin gucken. Und ich halte es für vollkommen unglaubwürdig, dass die Kanzlerin in China für eine Firma lobbyiert, weil Karl Theodor zu Guttenberg sagt: Angie, das ist ein heißes Investment - und sich zuvor nicht informiert. Damals gab es schon die Berichte der "Financial Times" über falsche Bilanzen und mögliche Geldwäsche. Zudem soll Guttenberg am selben Tag per E Mail für Augustus Intelligence, die Firma, die im Zusammenhang mit der Lobby-Affäre um Philipp Amthor steht, bei der Kanzlerin lobbyiert haben. Warum einmal direkt und einmal schriftlich? Die ganze Kommunikation der politischen Ebene zu Wirecard muss offengelegt werden.

Also ist ein Untersuchungsausschuss sicher? 

Ich fordere das nicht leichtfertig. Mir wäre es lieber, wir könnten die Reform der Finanzaufsicht angehen. Digitale Finanzkonzerne sind ja ein Mega-Thema der Zukunft. Aber ich bin der Meinung, dass nur der Untersuchungsausschuss die nötige Akteneinsicht ermöglicht. Die zwingen uns mit ihrer Salamitaktik ja dazu. Ich bin mir sicher, dass noch weitere Dinge ans Licht kommen werden. 

Das Interview führte Georg Ismar. Es erschien am 22. Juli 2020 in der gedruckten Ausgabe des Tagesspiegels.