Berliner Zeitung: Wirecard – „Der größte Börsenskandal Deutschlands“

Nach dem Wirecard-Desaster hat die Suche nach den Schuldigen begonnen. Neben der Aufsicht richten sich die Blicke vor allem auf die Wirtschaftsprüfer von EY.

26.06.2020
Presseschau

BZ: Wirecard – „Der größte Börsenskandal Deutschlands“

"Der Zusammenbruch von Wirecard ist nach den Worten des Finanzexperten der Linkspartei, Fabio De Masi, ein Ereignis einer neuen Dimension. De Masi sagte der Berliner Zeitung: „Wir haben es hier mit dem größten Börsenskandal Deutschlands zu tun.“ Daher sei es nötig, umfassend aufzuklären, wie es so weit kommen könne. Anzeichen hat es im Fall Wirecard ausreichend gegeben: Seit Jahren kamen immer wieder Hinweise, dass es bei Tochtergesellschaften des rasant wachsenden Technologie-Konzerns Unregelmäßigkeiten geben solle. Auch die deutsche Aufsichtsbehörde BaFin ging den Vermutungen, bei Wirecard könnte es zu Bilanz-Manipulationen gekommen sein, nach. Die BaFin ist wegen der Insolvenz von Wirecard unter Beschuss geraten. Erst vor wenigen Tagen räumte der Chef der BaFin, Felix Hufeld, ein, seine Behörde sei „nicht effektiv genug gewesen, um zu verhindern, dass so etwas passiert“. Dies sei die „entsetzlichste Situation, in der ich jemals einen Dax-Konzern gesehen habe“. (...)

Fabio De Masi will die Begründung, die BaFin könne wegen der globalen Verflechtungen nichts machen, nicht gelten lassen: „Die BaFin kann auf ausländische Behörden zugehen. Sie hat das nach eigenen Angaben im Fall Wirecard auch getan. Die Behörden in Singapur haben Wirecard untersucht. Die BaFin hätte sich hier eng austauschen müssen.“ Die BaFin habe „selbst gesagt, sie könne bei Geldwäsche Sonderbeauftragte in Banken schicken – warum wurde dies nicht schon früher bei Wirecard gemacht?“

De Masi sieht außerdem einen Widerspruch zwischen den Aussagen der BaFin zu ihren Möglichkeiten und ihrem tatsächlichen Handeln. Die BaFin sei nämlich sehr wohl tätig geworden – bloß nicht gegen Wirecard, sondern gegen jene, die sich über die Bilanzen gewundert hatten. Die Behörde ging gegen Journalisten der Financial Times vor, als diese über dubiose Vorgänge berichteten. Es stand der Verdacht im Raum, die Journalisten würden mit Short-Sellern gemeinsame Sache machen und versuchen, den Kurs zu manipulieren. De Masi: „Wenn sich die BaFin nicht für zuständig hält – warum fühlte sie sich dann für Anzeigen gegen FT-Journalisten zuständig, als diese von Unstimmigkeiten in Asien berichtet haben?“ Mit dieser Aktion habe die BaFin einen völlig falschen Eindruck erweckt: „Gerade die Ermittlungen gegen die FT waren ein fatales Signal, das die BaFin ausgesendet hat. Man konnte den Eindruck gewinnen, Wirecard habe sich nichts vorzuwerfen, aber die Wirecard-Kritiker hätten unlautere Motive. Darauf haben sich viele Kleinanleger berufen.“

De Masi dringt nun darauf, die Rolle der Aufsicht zu untersuchen: „Die BaFin muss im Finanzausschuss des Bundestags berichten, die Opposition wird alle Optionen prüfen einschließlich eines Untersuchungsausschusses sowie eines Sonderermittlers.“ Die BaFin ist laut Reimer dazu bereit:„Herr Hufeld wird am Mittwoch im Finanzausschuss Rede und Antwort stehen.“

Eine Diskussion über die Ausweitung der Möglichkeiten der BaFin ist zwar politisch angelaufen, dürfte jedoch nicht den Kern des Problems treffen. De Masi: „Sicher sind Ausweitungen der Kompetenzen für die BaFin als Konsequenz denkbar. Aber die BaFin hat ihre bisherigen Kompetenzen nicht genutzt.“ Im Umfeld der BaFin und aller Beteiligten ist allerdings auch eine Erkenntnis klar: Die Rolle der Wirtschaftsprüfer bei Wirecard dürfte in den kommenden Wochen in den Fokus gelangen. Das Unternehmen Ernst&Young (EY) hat die Bilanzen von Wirecard seit Jahren geprüft. Für Behörden und Anleger war das Testat durch EY das Gütesiegel: Die Öffentlichkeit ist davon ausgegangen, dass die Wirtschaftsprüfer ihre Arbeit verlässlich erledigt haben. Ob das im Fall Wirecards wirklich geschehen ist, ist fraglich. So berichtete die Financial Times am Freitag unter Verweis auf Bankenkreise, dass EY bei Wirecard drei Jahre lang auf die Vorlage der Bankbelege aus Singapur verzichtet habe - jener Bank mit dem Namen OCBC, bei der angeblich die verschwundenen 1,9 Milliarden Euro hätten liegen sollen. Ein Banker sagte der FT, es sei abenteuerlich, dass EY die Original-Belege nicht angefordert habe, sondern sich auf Kopien und Informationen von Wirecard verlassen habe. Die Überprüfung der Cash-Bestände sei eine der leichtesten Aufgaben für einen Wirtschaftsprüfer, sagte der Banker. 

Die Kritik am Pocedere bei Wirtschaftsprüfungen existiert nicht erst seit Wirecard. Doch seit dem Enron-Skandal, der das Ende des renommierten Wirtschaftsprüfers Arthur Andersen brachte, hat sich trotz aller damals gehörten Klagen nichts geändert: Die Prüfer werden weiter von jenen bezahlt, die sie prüfen. Daher besteht die Gefahr, dass der Prüfer die kritische Distanz zu den Zahlen seines Kunden verliert. Wirtschaftsprüfer haften aktuell nicht im vollen Umfang für mögliche Schäden durch Fehler in der Prüfung – ein Webfehler, den De Masi dringend korrigieren will. „Wir müssen unbedingt das Haftungsprivileg für Wirtschaftsprüfer aufheben.“ (...)"

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