Süddeutsche Zeitung: Angela Merkel – Mahnende Zuschauerin

Bei der Bewältigung der Corona-Krise hat Merkel die Regie abgegeben. In einer Fragestunde macht die Kanzlerin aber nicht den Eindruck, dass sie schwer darunter leidet. Eine Presseschau mit Fabio De Masi

13.05.2020

Süddeutsche Zeitung: Angela Merkel – Mahnende Zuschauerin

"Ganz am Ende lässt sich Angela Merkel doch eine kleine Spitze entlocken. Der FDP-Abgeordnete Hartmut Ebbing möchte zum Abschluss ihrer Befragung wissen, ob Merkel für eine Öffnung der Kinos zusammen mit den Ländern ein bundesweit einheitliches Signal geben werde. "Also", antwortet Angela Merkel da, "an mir wird's nicht liegen, dass da ein einheitlicher Termin gefunden wird." Sie will eigentlich das Gegenteil sagen, nämlich dass das an ihr nicht scheitern werde, aber die Abgeordneten haben sie schon verstanden, wie das Gelächter im Plenum zeigt.

So hat die politische Gewichtsverschiebung der vergangenen Tage doch noch ihren Niederschlag im Bundestag gefunden - süffisant karikiert von der Kanzlerin selbst: Merkel, die Deutschland wegen der Corona-Krise in den Shutdown geführt hat, kann mittlerweile nur noch zusehen, wie Regierungschefs in den Ländern sich dabei überschlagen, Lockerungen des öffentlichen Lebens zu verkünden. Auch der Kanzlerin fällt es schwer, sich da noch zu orientieren: Schon auf die Frage nach Musikveranstaltungen hatte Merkel geantwortet, sie habe gerade nicht den Überblick, "ob es schon Länder gibt, die Konzerte in Aussicht gestellt haben". Gibt es. (...)

Auch die Kosten der Krise werden von Abgeordneten aufgerufen, wenn auch mit unterschiedliche Akzenten, je nach Parteizugehörigkeit. Der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla möchte Merkel gerne darauf festlegen, dass sie keine Steuer- oder Abgabenerhöhungen vorhat. Das sei "Stand heute" nicht geplant, antwortet Merkel, und schiebt nach Zwischenrufen hinterher, es sei das Wesen von Politik, "immer auf dem jetzigen Stand zu antworten, sonst wären wir ja Zukunftsvorherseher". Als später der Linken-Abgeordnete Fabio De Masi einer Vermögensabgabe das Wort redet, bekommt er allerdings eine klare Antwort: Stärkere Schultern müssten mehr tragen als schwächere, aber für eine Vermögensabgabe, so die Kanzlerin, "spreche ich mich nicht aus". (...)"