»Investitionsprüfung muss geschärft werden«

Auswertung der Antwort der Bundesregierung vom 05.05.2020 auf die Kleine Anfrage „Kontrolle von Unternehmenserwerb durch Investitionsprüfung" (BT-Drs. 19/18929) von Fabio De Masi u.a. und der Fraktion DIE LINKE im Bundestag.

11.05.2020

Hintergrund/Zusammenfassung:

Die Beteiligung und/oder Übernahme von Unternehmen durch EU-fremde Anleger bzw. Unternehmen wird zunehmend kritisch diskutiert. Exemplarisch steht dafür der Einstieg des chinesischen Autokonzerns Geely bei der Daimler AG im Februar 2018, wodurch Geely mit einem Unternehmensanteil von 9,69 Prozent auf einen Schlag größter Anteilseigner wurde. Dieser Vorgang führte seinerzeit zu Debatten um das Wertpapierhandelsgesetz, mögliche Rechtslücken und Verstöße.

Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die Änderung der deutschen Außenwirtschaftsverordnung (AWV) vom 29. Dezember 2018. Grundsätzlich bleibt es dadurch bei der allgemeinen Prüfeintrittsschwelle von 25 Prozent, jedoch sollen sicherheits- und verteidigungsrelevante („kritische“) Infrastrukturen und Unternehmen besonders geschützt werden, indem die Prüfschwelle dafür auf 10 Prozent der Stimmrechte gesenkt wurde. Aktuell liegt mit dem Referentenentwurf des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie eine Anpassung des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) an die EU-Screening-Verordnung (EU 2019/452) vor, mit dem ein EU-rechtlicher Rahmen für die weiter in mitgliedstaatlicher Verantwortung liegende nationale Investitionsprüfung geschaffen werden soll. In dieser AWG-Novelle wird der Entscheidungsspielraum der Prüfung erweitert, indem künftig eine „voraussichtliche Beeinträchtigung“ der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch unionsfremde Investitionen und nicht eine „tatsächliche Gefährdung“ als Kriterium gelten würde. In einer zu erwartenden Novelle der Außenwirtschaftsverordnung (AWV) soll ein „Katalog“ derjenigen kritischen Technologien definiert werden, für die Meldepflicht und Prüfmöglichkeiten ab dem 10-prozentigem Schwellenwert gelten sollen.

Die Antwort der Bundesregierung auf die vorliegende Anfrage[1] weicht allen politischen Bewertungen zum Thema Investitionsprüfung und Unternehmenserwerb durch unionsfremde Investoren aus. Dabei sind mögliche Übernahmen von Unternehmen gerade in der aktuellen Corona-Krise bei fallenden Aktienkurse eine Herausforderung. Der Bundesregierung liegen keine eigenen Daten zu unionsfremden Investoren in deutschen Unternehmen vor. Prüfungen werden eher formal-juristisch und ohne industriepolitische Strategie dargestellt. Im Ergebnis wurde seit 2010 von ca. 600 Investitionsprüfungen nur eine einzige Übernahme untersagt, das sind weniger als 0,2 Prozent der Fälle. Dies heißt im Ergebnis, dass jegliche Sorge vor technologischer Abhängigkeit in spezifischen Sektoren etwa der Digitalisierung oder auch im medizintechnischen Bereich von der Bundesregierung nicht ernst genommen wird.

 

O-Ton Fabio De Masi, finanzpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Bundestag:

„Die Bundesregierung tappt bei der Prüfung ausländischer Investoren im Dunkeln. Es fehlen umfassende Daten und eine strategische Industrie- und Unternehmenspolitik, die technologische Abhängigkeiten verringert. Wer die Übernahme deutscher Unternehmen verhindern möchte, sollte das Außenwirtschaftsrecht schärfen und staatlichen Einfluss bei Hilfen für Unternehmen sichern. Das ist sinnvoller als Geld aus Unternehmen zu ziehen, um Dividenden auszuschütten oder eigene Aktien zurück zu kaufen. Die Coronakrise hat gezeigt, dass eine zu starke Abhängigkeit von internationalen Herstellern und Lieferketten fatal sein kann. Durch massive öffentliche Investitionen und eine experimentelle Industriepolitik müssen Spitzentechnologien stärker gefördert werden. Bei Unternehmensübernahmen brauchen wir ein Vetorecht für Betriebsräte und Gewerkschaften, um einen Ausverkauf zulasten von Beschäftigen zu verhindern. Im Wertpapierhandelsrecht muss die BaFin Verstöße gegen die Offenlegung von Beteiligungen  wirksam sanktionieren, auch um ein Anschleichen zu verhindern.“

 

Ergebnisse im Einzelnen:

Zum Außenwirtschaftsrecht

  • Es existiert keine exakte Definition von kritischen Technologien, bzw. Schlüsseltechnologien. Deshalb gibt es laut Bundesregierung ihrerseits hierzu auch keine Zahlen. Orientiert wird sich derzeit an der "Aufzählung bestimmter kritischer Technologien" der EU-Screening-Verordnung. Hieran anknüpfend wird die anstehende 16. Novelle der AWV "bestimmte kritische Technologien" definieren. Der Entwurf befindet sich derzeit innerhalb der Bundesregierung in der Abstimmung (Antwort 1).

  • Zu der empirischen Entwicklung unionsfremder Direkt- und Portfolioinvestitionen in kritische Technologie bzw. Schlüsseltechnologie hat die Bundesregierung keine eigenen Erkenntnisse (Antworten 2-4).
  • Unionsfremde Investoren aus dem gleichen Herkunftsland werden im Rahmen der Investitionsprüfung nur dann gemeinsam betrachtet, wenn die entsprechenden Unternehmen als Aktionäre eine Vereinbarung über die gemeinsame Ausübung von Stimmrechten abgeschlossen haben oder zwei miteinander rechtlich in Verbindung stehende Unternehmen (etwa zwei Töchter der gleichen Konzernmutter) Beteiligungen erwerben. Im Fall der Daimler-Investoren Geely und DAIC findet somit keine gemeinsame Betrachtung statt – auch nicht im Rahmen der Diskussion um „kritische Infrastruktur“ (Antworten 6-7).
  • Eine Umgehung der Möglichkeit der Investitionsprüfung über Tochterfirmen in der EU soll nicht möglich sein. Zweigniederlassungen und Betriebsstätten eines unionsfremden Erwerbers gelten als nicht unionsansässig. Auch Erwerbe durch Unionsansässige unterliegen der Investitionsprüfung, wenn es Anzeichen dafür gibt, dass eine missbräuchliche Gestaltung oder ein Umgehungsgeschäft zumindest vorgenommen wurde (Antwort 8)
  • Das für das Ergebnis einer Investitionsprüfung maßgebliche Kriterium der „voraussichtlichen Beeinträchtigung“ öffentlicher Ordnung und Sicherheit ist ebenfalls nicht definiert und im Rahmen der Prüfung „vorausschauend“ auszulegen (Antwort 9). Eine gesonderte Prüfung „technologischer Abhängigkeiten“ wird in der Investitionsprüfung nicht vorgenommen (Antwort 10). Weitere Gründe der Untersagung unionsfremder Investitionen sieht die Bundesregierung nicht (Antwort 13).
  • Von den ca. 600 Investitionsprüfverfahren, die es seit 2010 gab, wurde nur ein Erwerb in 2019 durch die Bundesregierung untersagt. Details zum Einzelfall sind Verschlusssache (Antwort 12). Dies zeigt, dass die o.g. „technologische Abhängigkeit“ bspw. nahezu von der Bundesregierung als Problem gesehen wird.

 

Zu wertpapierhandelsrechtlichen Meldepflichten

  • Nach Auffassung der Bundesregierung steht die Beteiligungspublizität nach Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) nicht im Zusammenhang mit dem Außenwirtschaftsrecht bzw. Investitionsprüfungen. Sie diene vielmehr der Information von Anlegerpublikum und Emittenten über sich ändernde Beteiligungs- bzw. Eigentumsverhältnisse und potenziell-zukünftige Kontrollwechsel in börsennotierten Unternehmen. Daher sieht die Bundesregierung keinen Anpassungsbedarf im WpHG (Antwort 14).
  • Investoren können grundsätzlich durch großen Anteilserwerb mehrere Meldeschwellen auf einmal überschreiten, ohne Meldepflichten zu verletzen. Dies war beispielsweise beim Ausbau der Position an Daimler von Geely im Jahr 2018 von 3 auf knapp 10 Prozent der Aktien geschehen (Antworten 15 und 17-18).
  • Die BaFin verfügt über die rechtlichen und materiellen Mittel, um Verstöße gegen Meldepflichten aufzuspüren und zu sanktionieren (Antwort 16).
  • Zwischen 2010 und 2019 gab es jeweils ca. 50-100 mit Geldbuße abgeschlossene Verfahren wegen Verstößen gegen Meldepflichten. Dabei wurden jährlich Gesamtbußgelder von rund 500.000 bis 5 Mio. Euro fällig. Die Bundesregierung sieht hierbei nicht in nennenswertem Umfang vorsätzliche Verstöße, sondern eher Unkenntnis bei Meldepflichten bzw. notwendige Korrekturen von Meldungen unter Verletzung der Meldefristen etc. (Antwort 19-21).

Links:

  1. https://www.fabio-de-masi.de/kontext/controllers/document.php/384.f/6/0c222c.pdf