Europa vor dem Crash

Von Oskar Lafontaine, Stefano Fassina und Fabio De Masi

07.04.2016
Eurokrise

In einem gemeinsamen Gastartikel, der am 07.04.2016 in der FAZ veröffentlicht wurde, warnen Oskar Lafontaine, Stefano Fassina und Fabio De Masi vor einer weiteren Finanzkrise. Sie fordern, dass die EZB endlich dringend benötigte Investitionen finanzieren solle. Passiere dies nicht, müssten Regierungen wieder selbst eine demokratische Geldpolitik verfolgen. Der Artikel erschien in italienischer Übersetzung am 11.04.2016 in der italienischen Tageszeitung Corriere della Sera. [1]Er ist zudem in englischer Sprache [2]übersetzt worden.

Die nächste Finanzkrise wird kommen. Die Deregulierung der Finanzmärkte, die Privatisierung der Rentensysteme, die wachsende soziale Ungleichheit sowie die Kürzung von Staatsausgaben drängt immer mehr Geld auf die Finanzmärkte, weil es an Nachfrage und Investitionen in der realen Wirtschaft fehlt.

Seit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2007 bemüht sich die Europäische Zentralbank (EZB) den kranken Patienten Europa durch die Politik des billigen Geldes künstlich zu beatmen, während man ihm mit der Kürzung von Staatsausgaben, Löhnen und Renten weiter Blut abzapft. Das billige Geld der EZB landet nicht in der realen Wirtschaft, weil Unternehmen und Staaten trotz Nullzinsen nicht investieren. Die Börsen und die Vermögenden feiern hingegen eine Party, weil die Zentralbanken ihre Papiere aufkaufen und die Kurse stützen. Wie zahlreiche Untersuchungen - etwa von der Bank of England - belegen, hat diese Geldpolitik die Reichen reicher gemacht.

Es ist daher Zeit für eine unbequeme Wahrheit: Wenn die nächste Finanzkrise kommt, sind die Zentralbanken mit ihrem Latein am Ende. Die Diskussion über eine Beschränkung des Bargelds unter dem Vorwand der Terrorfinanzierung wird in Wahrheit geführt, weil die Zentralbanken nicht mehr weiter wissen.

Auch negative Zinsen auf die Guthaben der Banken bei der EZB haben diese nicht veranlasst, mehr Kredite zu vergeben, da es an Investitionsbereitschaft der Unternehmen fehlt. Daher sollen die EU-Bürger nun gezwungen werden, ihr Geld bei den Banken zu parken statt unter Kopfkissen zu horten. Die Banken könnten so die Strafzinsen an die Kunden weiterreichen und diese zum Konsum zwingen. Diese Geldpolitik ist verrückt, untergräbt das Vertrauen in die gesetzliche Einlagensicherung und riskiert einen Sturm auf die Banken.

Die Geldpolitik ist ohne Unterstützung durch die Finanzpolitik überfordert. Viele EU-Staaten stehen wegen des Fiskalpaktes jedoch mit dem Rücken zur Wand. Ihr fiskalischer Spielraum ist zudem wegen des Anstiegs der Staatsverschuldung durch die wachstumsfeindliche Kürzungspolitik, die Bankenrettung sowie die unzureichende Besteuerung hoher Vermögen beschränkt. Die EZB sollte daher dazu übergehen, Investitionen statt Finanzblasen zu finanzieren. Statt den Banken und Vermögenden Wertpapiere abzukaufen und mehr Geld in die Finanzmärkte zu pumpen, sollte die EZB die Wirtschaft ankurbeln.

Mario Draghi könnte dazu unter Berücksichtigung des Ziels der Preisstabilität öffentliche Investitionen finanzieren und somit Euros in die reale Wirtschaft pumpen, bis zum Beispiel die dramatische Jugendarbeitslosigkeit abgebaut ist. Dies würde die privaten Investitionen beleben. Dringende Zukunftsaufgaben wie Bildung und Forschung, hinreichender Wohnraum oder eine dezentrale Energieversorgung werden schon lange vernachlässigt. In der Flüchtlingskrise rächt sich dies mit voller Wucht.

Die EZB müsste sich freilich über das Verbot der monetären Staatsfinanzierung in den EU-Verträgen und die Bundesbank hinwegsetzen. Denn es ist nicht einsichtig, warum Geld für die Banken gutes Geld ist, Geld für den Staat aber schlechtes Geld sein soll. Die Immobilienkrise in Spanien und die Kernschmelze auf den Finanzmärkten haben doch gezeigt, dass Banken nicht klüger mit Geld umgehen als Regierungen.

Die EZB könnte auch per Knopfdruck privaten Haushalten mit geringen Einkommen Guthaben auf ihre Konten einräumen. Dies wäre sogar mit den EU-Verträgen vereinbar. Die Idee geht auf den neoliberalen Ökonomen Milton Friedman zurück, der in seiner Geldtheorie unterstellte, Zentralbanken könnten Geld per Helikopter über der Bevölkerung abwerfen. Eine Finanzierung von Investitionen erscheint uns langfristig jedoch sinnvoller als diese kurzfristig wirksame Geldspritze zur Belebung des Konsums.

Wir wissen, die Umsetzung unseres Vorschlags ist unwahrscheinlich. Vielmehr drehte die EZB Griechenland den Geldhahn zu, weil die Regierung Tsipras sich zunächst weigerte, Löhne und Renten zu kürzen und die Wirtschaft weiter zu zerstören. Deshalb erwarten der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz oder der frühere Präsident der britischen Notenbank, Mervyn King, dass der Euro zerbrechen wird.

Im Zweifel müssen Regierungen daher selbst eine demokratische Geldpolitik verwirklichen. Dies erfordert die Rückkehr zur Auf- und Abwertung nationaler Währungen im Rahmen eines Europäischen Währungssystem (EWS). Würde eine südeuropäische Zentralbank ein Investitionsprogramm finanzieren, würde dies die neue Währung unter Druck setzen und einen Schuldenschnitt erzwingen. Um nicht Opfer der Währungsspekulation zu werden, könnten Euro-Aussteiger daher zunächst dem geltenden EWS mit Dänemark beitreten. Letzteres verpflichtet die teilnehmenden Zentralbanken einschließlich der EZB, bei Abweichung der Wechselkurse von ihrer Bandbreite auf den Devisenmärkten einzugreifen. Eine regelmäßige Anpassung der Wechselkurse wäre dann gemäß der EU-Verträge den Finanzministern überlassen.

Mit einem neuen europäischen Währungssystem und demokratisch kontrollierten Zentralbanken ließe sich die Wirtschaft in der EU wieder aufbauen und Europas Demokratie gegen die Verwüstung der Finanzmärkte schützen.

Die Autoren

Oskar Lafontaine ist ehemaliger Bundesminister der Finanzen und war Vorsitzender der SPD sowie der Partei Die Linke. 

Stefano Fassina ist ehemaliger Vizeminister für Wirtschaft und Finanzen Italiens, arbeitete beim Internationalen Währungsfonds (IWF) und ist Abgeordneter der italienischen Deputiertenkammer (Sinistra Italiana).

Fabio De Masi (Die Linke) ist Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments 

Der Artikel erschien am 07.04.2016 in der Druckausgabe Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf Seite 20.

Links:

  1. https://www.fabio-de-masi.de/de/article/936.futoro-dell-euro-tedesco-e-italiano.html
  2. https://www.fabio-de-masi.de/de/article/944.europe-before-the-crash.html