»Ich wollte nicht zur Komplizin werden«

Ein Interview mit der Whistelblowerin Stéphanie Gibaud

11.12.2015

Jahrelang arbeitete Stéphanie Gibaud für die Schweizer Großbank UBS in Frankreich. Im Jahr 2009 zeigte sie ihren Arbeitgeber wegen des Verdachts auf Geldwäsche und Beihilfe zur Steuerhinterziehung an und brachte einen der größten Steuerskandale der jüngeren Geschichte ins Rollen. Das Interview mit Stéphanie Gibaud erschien in der aktuellen Ausgabe des Fraktionsmagazins Clara (Nr. 38) und wurde am Rande des Treffens zwischen Sahra Wagenknecht, Stéphanie Gibaud und Fabio De Masi am 13.November 2015 geführt.

 

Linksfraktion: Ihre Enthüllungen haben einen der weltweit größten Vermögensverwalter mächtig unter Druck gesetzt. In Frankreich ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen die Schweizer Bank UBS und ihr französisches Tochterunter-nehmen. Wie kam es, dass Sie Whistleblowerin wurden?

Stéphanie Gibaud: Irgendwann habe ich realisiert, dass mein Arbeitgeber möglicherweise zu Steuervermeidung und Geldwäsche in Frankreich beiträgt. Ich wollte mich dabei nicht zur Komplizin machen. Aber das war keine Erkenntnis von einem Tag auf den anderen, sondern ein langwieriger Prozess. 

Wann begann er?

Im Juni 2008 wurde das Büro des Pariser Geschäftsführers durchsucht. Kurz zuvor hatte es einen riesigen Skandal in den USA gegeben, wo gegen die UBS wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung ermittelt wurde. Nach diesen Vorfällen forderte mich mein direkter Vorgesetzter auf, die Inhalte meiner Festplatte zu löschen. Ich befolgte die Anweisung nicht. Später sollte ich auch noch meine schriftlichen Unterlagen vernichten. Da fing ich an, Fragen zu stellen, auch an meine Vorgesetzten, aber ich bekam keine Antworten. Ich brauchte sechs Monate, um alle Puzzleteile zusammenzutragen. Im Jahr 2009 reichte ich dann eine Strafanzeige gegen meinen Arbeitgeber wegen Steuerhinterziehung, Geldwäsche und illegalen Verkaufs von Offshoreprodukten ein. 

Mit welchem Ergebnis?

Nichts passierte, aber zwei Jahre später wurde ich plötzlich von einem Journalisten kontaktiert. Er sagte mir, er recherchiere über die UBS und ihre Aktivitäten und hätte mich gern als Quelle. 

Wie kam der Journalist darauf, Sie zu kontaktieren? Immerhin waren Sie bis dato nicht öffentlich in Erscheinung getreten.

Er sagte, er habe während seiner Recherchen über die Bank von einem französischen Geheimdienstmitarbeiter den Hinweis erhalten, dass man mich überwache: mein Handy, meinen Computer, einfach alles. 

Gaben Sie dem Journalisten Informationen?

Anonym. Sein Buch kam im Jahr 2012 raus und schlug ein wie eine Bombe. Zu dieser Zeit wurde dann auch für meine schon drei Jahre alte Klage ein Richter eingesetzt, der jetzt schon seit mehr als drei Jahren Untersuchungen gegen die UBS und zu ihren Geschäftspraktiken anstellt. Überall in Frankreich wurden Büros durchsucht, einige Kollegen wurden in Handschellen abgeführt, andere angeklagt.

Viele Jahre agierten Sie anonym. Wie kam es zu Ihrem ersten öffentlichen Auftritt?

Über den Autor des Enthüllungsbuchs suchten Journalisten Kontakt zu mir. Das war im Jahr 2013, als der Skandal um UBS in Frankreich richtig groß wurde, und da sprach ich dann erstmals vor Kameras über die Vorgänge. Wegen der ersten Interviews wurde ein Verleger auf mich aufmerksam und bot mir an, ein Buch über meine Geschichte zu schreiben, das im Jahr 2014 veröffentlicht wurde und für Schlagzeilen sorgte. Seitdem kontaktieren mich viele Menschen, die in Botschaften, Banken und Ministerien arbeiten und Skandale öffentlich machen wollen.

Was machen Sie mit diesen Menschen?

Ich unterstütze sie, ich berate sie und vermittle ihnen Kontakte, beispielsweise zu Journalisten, damit ihre Informationen publik werden. Das Hauptproblem ist: Es gibt keinen Schutz von Whistleblowern. Wenn du etwas herausfindest, bist du diejenige, die rausgeschmissen wird. Du als Whistleblowerin bist diejenige, die alles verliert. Die Unternehmen hingegen haben die Macht und die Kraft, vor allem finanziell, weiterzumachen.

Man liest, dass Sie zusammen mit anderen Whistleblowern eine Plattform für Whistleblower gründen wollen. Was verbirgt sich dahinter?

Wir versuchen, eine internetbasierte Plattform für Whistleblower zu entwickeln, damit sie miteinander kommunizieren und Erfahrungen austauschen können. Ich und andere Whistleblower haben die Erfahrung gemacht, wie schwer es ist, vereinzelt zu sein. Die Lehre daraus ist für uns: Whistleblower müssen vereint arbeiten, um voranzukommen, denn ein Whistleblower hat es meistens mit einem übermächtigen Gegner zu tun, einem Filz aus Politik, Wirtschaft und dem großen Geld. Es geht darum, diese Menschen zu unterstützen.

Wie sieht diese Unterstützung konkret aus?

Als Whistleblower ist man immer ein Anfänger. Man weiß vieles einfach nicht: mit wem reden, welchen Anwalt nehmen, wie die riesigen Anwaltshonorare bezahlen, wie sich schützen? Für all das braucht ein Whistleblower Unterstützung, und die wollen wir organisieren. Zudem sammeln wir Spenden und suchen Firmen, die Whistleblowern Jobs anbieten, denn viele verlieren ihre Arbeit und finden keine mehr – so wie ich. 

In Deutschland sagt man: Die Menschen lieben den Verrat, aber nicht den Verräter. Beschreibt das das Problem von Whistleblowern?

Ich sage immer: doppeltes Urteil. Du verlierst deinen Job, die Gesundheit, deine Freunde, eigentlich alles, weil du die Wahrheit sagst und ehrlich bist. Und dann hast du noch die öffentliche Meinung der Menschen gegen dich, die dich dafür verurteilen, dass du etwas verraten hast. Aber Dinge, die von öffentlichem Interesse sind, müssen gesagt und veröffentlicht werden. Dass der Nachbar seine Frau betrügt, ist nicht von Interesse, aber wenn Medikamente Men-schenleben gefährden oder Banken den Staat betrügen, dann muss das publik werden. 

Warum unternehmen Staaten wie Frankreich oder Deutschland nichts, um Whistleblower besser zu schützen?

Weil Whistleblower sehr sensible Themen ansprechen. Im Falle der Finanzindustrie wissen wir jetzt, dass die Top-Politiker extrem eng mit den Banken verbandelt sind. Stichwort Lobbyismus: Der Finanzsektor gibt für Lobbyarbeit nur bei den europäischen Institutionen mehr als 120 Millionen Euro pro Jahr aus. Die einfache Wahrheit lautet: Informationen sind besser geschützt als Whistleblower.

Von welchen Informationen sprechen Sie?

Von Bank- und Staatsgeheimnissen, Verteidigungsgeheimnissen und zukünftig in Europa sogar von Unternehmensgeheimnissen, die per Gesetz geschützt sind. 

Sie meinen die geplante EU-Richtlinie zu Geschäftsgeheimnissen, die schon von Journalistenverbänden und Gewerkschaften heftig kritisiert wurde?

Ja, diese Richtlinie würde es Unternehmen erlauben, um es mal ganz einfach zu sagen, alle internen Informationen, wie etwa illegale Steuertricks oder andere für die Gemeinschaft schädliche Geschäftspraktiken, unter Geheimnisschutz zu stellen. Damit würde sich ein Mitarbeiter, der dies der Öffentlichkeit berichtet, strafbar machen.

Was muss Ihrer Meinung nach passieren?

Wir brauchen endlich Gesetze, die Whistleblower schützen. Von dem Moment an, wo jemand auftaucht und Informationen und Dokumente bereithält, die von generellem Interesse für die Gesellschaft sind, muss sie oder er geschützt werden. 

 

Das Interview führte Benjamin Wuttke. Die gesamte Ausgabe 38 der Clara kann kostenlos als PDF heruntergeladen oder bei der Bundestagsfraktion DIE LINKE bestellt werden.