Juncker Leaks: »Wenn es ernst wird, müssen wir lügen?«

Fabio De Masi im Interview mit Linksfraktion.de

05.10.2015

Im Interview spricht Fabio De Masi, Europaabgeordneter der LINKEN, über eine Entschuldigung von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, eine geheime Seite in einem Bericht zur Luxemburger Steuerpraxis und die Steuervermeidungspraxis großer Konzerne.
 
Sie haben laut Medienberichten letzte Woche für Wirbel in Brüssel gesorgt. Der Präsident der EU Kommission, Jean Claude Juncker, hat Sie angerufen und sich bei Ihnen entschuldigt. Was war da los?

Fabio De Masi: Ich hatte Herrn Juncker, der viele Jahre Premier und Finanzminister in Luxemburg war, im Europäischen Parlament nach einer geheimen Seite eines Berichts zur Luxemburger Steuerpraxis befragt. Ich hatte ihm sogar angeboten, mit ihm in seinem Keller danach zu suchen. Er behauptete, von der Seite erst 2014 durch ein Interview seines ehemaligen sozialdemokratischen Wirtschaftsministers Jeannot Krecké erfahren zu haben und nicht über die Seite zu verfügen. Herr Krecké hat der Presse und mir jedoch bestätigt, die Seite Herrn Juncker 1997 und ein weiteres Mal kürzlich ausgehändigt und auch mit ihm besprochen zu haben. Somit stand der Vorwurf im Raum, dass Herr Juncker seinem alten Credo "Wenn es ernst wird, müssen wir lügen" treu geblieben ist.
Und was hatte Herr Juncker dazu am Telefon zu sagen?

Er meinte, er habe das übersehen, und ich hätte einen falschen Eindruck von ihm. Der Rest war eher privater Natur. Er hat mir die Seite, die 18 Jahre lang in Luxemburg wie ein Staatsgeheimnis gehütet wurde, nun ausgehändigt. Mir geht es aber nicht um Juncker oder Luxemburg. Ich habe ihn ohnehin nicht gewählt, weil er Regierungschef einer Steueroase war. Das war bereits vor den Luxemburg Leaks – den Steuerdeals mit Konzernen wie Google, Amazon oder Fiat – so. Allerdings waren diese Steuerdeals den Verantwortlichen – auch dem deutschen Finanzminister – bekannt. Die Luxemburger Behörden hatten sogar die deutschen Steuerbehörden informiert, dass etwa deutsche Konzerne Gewinne nach Luxemburg verschieben. Deutschland hat aber nicht reagiert.

Was stand auf der geheimen Seite?

Die war gar nicht so aufregend. Das war ein bisschen wie bei Lefty und Ernie in der Sesamstrasse. Ich habe ein A zu verkaufen. Ein A? Ja, ein A. Psst. Genau. Im Wesentlichen bestätigt die Seite, dass die Luxemburger Steuerbehörden über sogenannte tax rulings oder Steuervorbescheide wie auf dem Basar mit Konzernen über deren Steuerlast verhandelt haben. Das verstößt gegen das Wettbewerbsrecht der EU. Denn die EU hat keine Kompetenzen im Bereich der Steuerpolitik. Wir müssen daher nachweisen, dass Unternehmen statt Steuerzahler diskriminiert wurden. Etwa wenn Amazon ein Prozent und Google null Prozent Steuern auf ihre Gewinne zahlen. Dann ist das eine illegale Subvention für Google. Zahlen beide null Steuern ist übrigens alles in Butter. Absurd? Willkommen in der EU.

War die ganze Aufregung also umsonst?

Nein, überhaupt nicht. Wir verlieren in der EU durch Steuerhinterziehung und -vermeidung etwa eine Billion Euro jährlich. Die große Mehrheit der Bevölkerung leidet unter Kürzungspakten, rackert sich ab und zahlt ehrlich ihre Steuern. Darüber könnte ich mich den ganzen Tag aufregen. Außerdem belegt die Seite: Der damalige Abgeordnete Krecké hat die Luxemburger Regierung und somit Herrn Juncker bereits 1997 vor diesen Auswüchsen gewarnt. Somit kann sich Herr Juncker nicht mehr hinter kleinen Beamten verstecken.

Stimmt es, dass Herr Juncker Ihnen ein Treffen angeboten hat? Nehmen Sie die Einladung an?

Selbstverständlich. Aber nicht in seinem Keller. Ich habe ihm jedoch vorgeschlagen, er solle auch Antoine Deltour treffen. Den Whistleblower und ehemaligen Mitarbeiter der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers, der die Luxemburger Steuerpraxis öffentlich gemacht hat. Er sitzt in Luxemburg auf der Anklagebank und ihm drohen fünf Jahre Haft. Die EU-Kommission senkt indes noch den gesetzlichen Schutz von Whistleblowern. Sie will in einer Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen Unternehmen absolute Freiheit gewähren, was als Geschäftsgeheimnis zu bewerten ist. Also nicht nur Patente oder Ähnliches, sondern auch Steuerdiebstahl.
Was müsste geschehen um den Steuersumpf in der EU auszutrocknen?

Ich nennen nur zwei Maßnahmen: Wir brauchen Mindeststeuern für Konzerne, dazu müssen aber die EU-Verträge geändert werden. DIE LINKE hat diese aus gutem Grund abgelehnt. Außerdem benötigen wir eine konsolidierte Ermittlung der Gewinne der Unternehmen. Dann würde etwa der Konzerngewinn in der EU ermittelt und je nach realer wirtschaftlicher Aktivität – zum Beispiel dem Anteil der Beschäftigten, Umsatz etc. – auf die jeweiligen Länder aufgeteilt und besteuert. Jetzt ist es so: Unternehmen verschieben Gewinne und Verluste über fiktive Zinsen oder Lizenzgebühren innerhalb eines Konzernes über Ländergrenzen. Gewinne werden dabei natürlich in Länder mit niedrigen Steuern und Verluste in Länder mit höheren Steuern verschoben.

Fabio De Masi ist Schattenberichterstatter der Linksfraktion im Europäischen Parlament im Sonderausschuss zu Steuervorbescheiden und Maßnahmen ähnlicher Art oder Wirkung (TAXE). TAXE wurde nach den Luxemburg Leaks eingerichtet, um Steuerdumping in der EU zu Gunsten internationaler Konzerne aufzuklären. DIE LINKE hatte einen echten Untersuchungsausschuss gefordert der jedoch am Widerstand von Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen scheiterte. Die Abgeordneten erhalten daher weiterhin keinen Zugang zu wichtigen Dokumenten der EU Mitgliedsstaaten sowie der EU Kommission.

Das Interview erschien am 5.Oktober 2015 auf Linksfraktion.de