FR-Gastbeitrag: EU muss investieren statt aufrüsten

Die Union will mit viel Geld militärische Ordnungsmacht werden. Dafür werden erhebliche Mittel bereitgestellt.

22.01.2017

Die EU-Kommission rüstet auf: Nach dem Referendum für einen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU (Brexit) und der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten will Brüssel mit Deutschland und Frankreich an der Spitze die Verteidigungsunion vertiefen. Die Europäische Union (EU) will endlich als eigenständige und einheitliche Ordnungsmacht in Nordafrika und Osteuropa auftreten

Dazu sollen gemäß den Lissabon-Verträgen etwa nationale Parlamentsvorbehalte bei Militäreinsätzen angepasst werden. So wäre denkbar, dass der Deutsche Bundestag im Rahmen der Beteiligung an den schnellen Eingreiftruppen (EU-Battle Groups) erst nach Entsendung von Soldaten hierüber entscheidet. Die Hürde für Parlamente, Militäreinsätze abzulehnen, läge somit höher.

Wie flexibel die Union sein kann, wenn es um Aufrüstung oder den „militärisch-industriellen Komplex“ geht, zeigen Pläne zur Rüstungsfinanzierung. Rund 90 Millionen Euro sollen für die Rüstungsforschung bis 2020 in einen Verteidigungsfonds fließen. Danach soll der Fonds jährlich mit 500 Millionen Euro gefüllt werden.

Federführend ist ein Mann, der nicht gerade dafür bekannt ist, die Spendierhosen anzuhaben, der finnische Vizepräsident der Europäischen Kommission, Jyrki Katainen. Der Kommissar für Jobs, Wachstum, Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit gilt als eiserner Verfechter des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, der EU-Staaten rigoros auf Etatziele verpflichtet.

Katainen will vor allem Rüstungsvorhaben im Bereich Drohnen, Kriegsschiffe und Cybertechnologie sowie Terrorabwehr und Grenzsicherung vor Flüchtlingen anstoßen. Er betont dabei, dass es bei der Verteidigungsunion um die Prinzipien der Einheitswährung, der Freizügigkeit und der liberalen Demokratie ginge. Der Euro wird nun offenbar bereits am Hindukusch verteidigt.

Dabei schweben Katainen mehrere Finanzierungsformen für die Rüstungsunion vor. Zum einen sollen die EU-Staaten mit Europäischen Verteidigungsanleihen (European Defence Bonds) gemeinsam zu günstigen Konditionen die Kapitalmärkte anzapfen. Diese Anleihen sollen mittelfristig über ein europäisches Schatzamt beziehungsweise ein Vehikel wie den Europäischen Stabilitätsmechanismus zur „Eurorettung“ abgesichert werden. Die Verteidigungsanleihen entsprechen jenen Euroanleihen, die etwa die Bundesregierung immer ablehnte, da sie über die gemeinsame Haftung die Kosten der öffentlichen Kreditaufnahme für südeuropäische Mitgliedsstaaten senken würden.

Außerdem sollen Investitionen in Rüstungsgüter teilweise von den Defizitkriterien des Stabilitäts- und Wachstumspaktes ausgenommen werden. Eine solche goldene Investitionsregel wird bereits länger von Ökonomen gefordert, um auch ohne Änderung der EU-Verträge die Investitionslücke zu schließen und den Verfall des öffentlichen Vermögens zu stoppen. Diese Ökonomen haben dabei aber Investitionen in Bildung, zivile Forschung und Infrastruktur im Sinn. Investitionen schaffen Vermögen und Einkommen für künftige Generationen und können auch über längerfristige Kredite finanziert werden.

Kurzfristig soll aber die Europäische Investitionsbank (EIB) einspringen, die bereits EU-Anleihen für Investitionen in Infrastruktur ausgibt. Eine Erhöhung des EIB-Kapitals durch die EU-Staaten unterliegt nicht dem Stabilitäts- und Wachstumspakt. Ein Schlupfloch, das für sinnvolle öffentliche Investitionen längst hätte genutzt werden können. Doch die EU-Kommission zog es vor, beim Juncker-Plan für strategische Investitionen (der sogenannte EFSI) private Investitionen in teils öffentliche Infrastruktur mit dem Geld der Steuerzahler abzusichern und etwa Public Private Partnerships bei Autobahnen zu unterstützen. Das ist oft teurer für den Staat und Bürger, da den privaten Investoren die Rendite mitfinanziert werden muss und entlässt die öffentliche Infrastruktur aus der demokratischen Verfügungsgewalt. Es steht jedoch im Einklang mit den unsinnigen Regeln des Stabilitätspaktes.

Der Präsident der EIB, Werner Hoyer, findet Katainens Pläne übrigens nicht so lustig. Denn Geldgeber der EIB, Lebensversicherer und Investmentfonds, dürfen nicht in Rüstung investieren. Zudem befürchtet Hoyer eine Aufweichung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Der letzte EU-Gipfel im Dezember 2016 begrüßte die Ideen der Kommission hingegen. Die Staats- und Regierungschef der EU-Mitgliedsstaaten ermahnten die EIB, Schritte zu prüfen, wie sie sich als Rüstungsbank engagieren könne.

Katainen schwebt hier schon eine Lösung vor: Die europäischen Rüstungsgüter sollten „innovativer“ als klassische Rüstungsvorhaben (etwa Artillerie oder Panzer) sein und sich im Grenzbereich ziviler und militärischer Nutzung (Dual Use) bewegen. Dies wäre dann vom Mandat der EIB gedeckt.

Aufrüstung scheint das Gebot der Stunde, denn auch die Bundesregierung hat angekündigt, den Verteidigungsetat schrittweise fast zu verdoppeln. Mehr Sicherheit hat das militärische Engagement von EU-Staaten jedoch nicht geschaffen. Ob Afghanistan, Irak, Libyen oder Syrien: Hunderttausende Tote, Terror, Staatszerfall und Flucht waren das Ergebnis. Aber auf die Idee, angesichts der Flüchtlingskrise – ein Ergebnis auch der europäischen Außen- und Handelspolitik – endlich EU-weit massiv in Schulen, Krankenhäuser und Wohnraum zu investieren, käme Kommissar Katainen wohl nicht. Auch seine Fantasie hat Grenzen.

Der Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau erschien in der Druckausgabe  Sa/So 21/22 Januar, 73. Jahrgang, Nr 18, Seite 10. Der Artikel kann zudem online hier abgerufen[1] werden.

Links:

  1. http://www.fr-online.de/gastbeitraege/29976308,29976308.html