Mehr EU oder mehr Europa?

Ein Artikel von Fabio De Masi im DISPUT 12/2016

19.12.2016
Eurokrise

Der Artikel erschien zuerst im DISPUT 12/2016 auf Seite 7.

Die EU steht am Abgrund: Die Wirtschaft ist wegen der Euro- bzw. Kürzungspolitik im Koma. Brexit, Bankenkrise in Italien, Flüchtlingskrise und faule Deals mit Terrorpate Erdogan. Konzernabkommen wie CETA werden mit der Brechstange durchgesetzt. Der EU-Kommissionspräsident Juncker ist Pate eines Steuerkartells für Konzerne und sein Vorgänger Barroso prostituiert sich bei der Finanzmafia Goldman Sachs.

Die EU ist nicht zufällig wo das große Geld ist. Seit den 1980er Jahren ist die EU vor allem ein Binnenmarkt und sie heizt die Globalisierung künstlich an statt sie zu zähmen. Das ist wie CETA oder TTIP - nur eben ohne Kanada oder USA.

Nicht mal das Europäische Parlament hat etwas zu melden, wenn etwa der Europäische Gerichtshof unter Verweis auf EU-Verträge Tarifverträge oder Strafsteuern auf Finanzflüsse in Steueroasen als Einschränkung des Binnenmarktes aufhebt. Denn die EU ist eine Vertragsgemeinschaft. Wie Ehe ohne Liebe.
In Europa stehen daher die Trumps bereit. Marine Le Pen könnte Frankreichs Präsidentin werden. Die Reaktion der EU? Permanente  Lohn- und Rentenkürzungen sollen über Euro-Technokraten bald überall durchgesetzt werden; Arbeitslose wie Amazon Pakete durch ganz Europa verschickt werden, um einen Job zu finden; nationale Parlamente sollen bei Handelsabkommen zukünftig nichts mehr zu melden haben und die EU mehr in Rüstung investieren und Krieg führen.
Klar ist: DIE LINKE fordert neue EU-Verträge. Dies erfordert die Zustimmung von 28 EU-Mitgliedsstaaten. Es ist aber eher unwahrscheinlich, dass wir in 28 EU-Staaten linke Regierungen haben werden. Daher müssen wir – wie es Verfassungsrechtler fordern – auch bereit sein, Regeln der EU zu brechen, wenn sie zu frech wird bzw. Kompetenzen überdehnt.

Es geht nicht um mehr oder weniger EU, sondern um mehr oder weniger Demokratie und Sozialstaat. Wenn Brüssel direkt in den Haushalt Athens eingreift, dann ist das “mehr EU”, aber auch mehr deutsches Europa, mehr Krise und weniger Demokratie. Und ohne die Beteiligung nationaler Parlamente hätte es keinen Aufstand des gallischen Dorfes Wallonie gegeben und wären CETA oder TTIP bereits in trockenen Tüchern.

Natürlich sind internationale Regeln nötig. Wir bräuchten in der EU zum Beispiel Mindeststeuern für Konzerne wie Apple, die nur 0,005 Prozent Steuern auf ihre EU-Gewinne zahlen. Aber wenn Staaten wie Luxemburg blockieren, sind Strafsteuern (entgegen der EuGh-Meinung) wie von den USA gegen Lichtenstein und Schweiz angedroht oft effektiver. 

Auch im Rahmen der Globalisierung sind Konzerne und Superreiche in nationale Netzwerke und Machtstrukturen eingebunden. Egal, wie viele Briefkästen sie in Steueroasen haben. Auch deswegen lobbyiert die Bundesregierung in Brüssel nach den Abgastricks weiter für VW. Von links lässt sich daher über Wahlen und Protest in Lissabon, Madrid oder Berlin oft mehr Druck aufbauen als in Brüsseler Hinterzimmern. Die bittere Niederlage in Griechenland hat gezeigt: Ohne europäisches Deutschland lässt sich das deutsche Europa kaum überwinden. Wer mehr Europa will, muss daher manchmal auch weniger EU wagen.