Gastbeitrag: Die EU muss in die Zukunft investieren

Von Fabio De Masi, Guillaume Balas, Emmanuel Maurel und Curzio Maltese

23.06.2016
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Die EU droht zu scheitern. Die Wirtschaftskrise wird als "verlorenes Jahrzehnt" in Europas Geschichte eingehen. Die Kürzung von Staatsausgaben, Löhnen und Renten hat die Eurozone ins Koma versetzt und die Politik des billigen Geldes neutralisiert. Die EZB pumpt Euros in die Banken, ohne Effekte auf die reale Wirtschaft, weil die Investitions- und Kreditnachfrage zu schwach ist. Die Finanzmärkte wachsen wieder schneller als die Realwirtschaft. Es droht eine neue Finanzkrise.
Gleichzeitig unterzieht die Flüchtlingskrise die EU einem Stresstest. Die Bereitschaft der Bürger zur Aufnahme von Flüchtlingen und eine erfolgreiche Integration von Zuwanderern setzen voraus, dass hinreichend in Bildung, Wohnraum und die Infrastruktur investiert wird und die Vermögenden ihrer Verantwortung gerecht werden. Die öffentliche und private Investitionslücke beträgt in Europa geschätzt zwischen 370 und 640 Milliarden Euro jährlich. In Deutschland sind es etwa 100 Milliarden Euro. Wir vererben eine kaputte Infrastruktur.

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Die EU-Kommission verspricht nun mit dem Juncker-Plan (European Fund for Strategic Investment - EFSI) sowie der Kapitalmarktunion Abhilfe. Öffentliche Garantien und laxere Bilanzierungsregeln für Versicherer sollen Deutsche Bank und Allianz veranlassen, in die öffentliche Infrastruktur zu investieren. Dies ist teurer für die Steuerzahler als öffentliche Investitionen, da sie auch die Rendite der privaten Investoren finanzieren müssen.

Die Kapitalmarktunion umfasst die Deregulierung der Finanzmärkte einschließlich der Förderung der Verbriefung von Schrott-Krediten, welche die Immobilienkrise in den USA begünstigten. Dies ist die falsche Antwort auf die Finanzkrise. Die Finanzierung über die Kapitalmärkte ist gerade für mittelständische Unternehmen teuer und wenig zuverlässig. Anonyme Investoren können die Risiken von Investitionen und die Solvenz der Firmen schlechter einschätzen als regionale Banken und ziehen ihr Geld daher auch schnell wieder ab.

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Staaten sollten anstreben, ihre laufenden Ausgaben durch Steuereinnahmen zu decken. Es wäre daher nur gerecht, die Vermögenden zu besteuern, um soziale Ungleichheit zu verringern und die reichlich vorhandene Liquidität an den Finanzmärkten in die reale Wirtschaft zu lenken. Die Vermögenden in der EU haben jahrzehntelang von Lohndrückerei, Steuergeschenken und Eurorettung profitiert.

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Wir sehen daher zwei Wege, die EU-Wirtschaft wieder anzukurbeln: Die EZB könnte öffentliche Investitionen finanzieren, indem sie Anleihen der Europäischen Investitionsbank kauft. Dies würde nicht gegen die EU-Verträge verstoßen, da die EZB zwar keine Staatsausgaben finanzieren darf, wohl aber öffentliche und private Banken. Allerdings ist die EZB kein dauerhafter Ersatz für eine parlamentarisch kontrollierte Haushaltspolitik, solange sie nicht selbst hinreichender demokratischer Kontrolle unterliegt. Daher sollte ein erster bescheidener Schritt zur Reform der Wirtschafts- und Währungsunion das Schließen der Investitionslücke anstreben, indem eine "goldene Investitionsregel" in den EU-Verträgen verankert wird.

Diese sieht vor, Nettoinvestitionen (Investitionen abzüglich der Abschreibungen) von den Maastricht-Kriterien auszunehmen. Auch die "Wirtschaftsweisen" forderten 2007 im Rahmen der Debatte um die Schuldenbremse solch eine Ausnahme. Es darf nicht nur in "Beton", es muss auch in Bildung oder ökologische Erneuerung der Wirtschaft investiert werden. Gerade angesichts der Flüchtlingskrise wäre es fatal, nicht zu investieren sowie den EU-Bürgern die Dividende von Investitionen zu verweigern. Investiert die EU nicht in ihre Zukunft, fällt sie an ihre Gegner.

Die Autoren sind Europaabgeordnete:

  • Fabio De Masi für Die Linke,
  • Guillaume Balas und Emmanuel Maurel für die französische Parti Socialiste,
  • Curzio Maltese für die italienische Sinistra Ecologia e Liberta.

Der Artikel erschien am 23.Juni in der Druckausgabe der Frankfurter Rundschau. Der vollständige Artikel, welcher hier aus presserechtlichen Gründen gekürzt wurde, kann auf der Webseite der Frankfurter Rundschau kostenfrei abgerufen werden.